Dienstag, 11. Juni 2024

„Wir werden zu Geisterfahrern der Verkehrswende“

Focus hier  FOCUS-online-Redakteurin Jacqueline Arend  06.06.2024

Experten erklären, was das Verbrenner-Verbot dem Klima wirklich bringt

Und plötzlich geht die Angst um: Pünktlich zur Europawahl stellen vor allem deutsche Parteien das Verbrenner-Verbot ab 2035 in Frage. Ist das nur ein Wahlkampfmanöver oder ist das Verbrenner-Verbot wirklich Unsinn? FOCUS online Earth hat Expertinnen und Experten gefragt.



"Es wäre wichtig zu kommunizieren, dass Benzinpreise steigen werden"

Felix Creutzig: "'Verbrenner-Aus' ist ein polemischer Begriff, der impliziert, dass man ab 2035 nicht mehr mit Verbrenner fahren darf. Die Maßnahme an sich ist zielführend, um die Umstellung der Flotte auf Elektrofahrzeuge bis 2050 zu erreichen. Das reicht bezüglich der EU-Klimaziele nicht ganz aus, ist aber ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Über den Experten
Felix Creutzig ist Verkehrsforscher und Professor an der Technischen Universität in Berlin, Mitglied des Expertenbeirats für Klimaschutz in der Mobilität des Verkehrsministeriums und forscht am "Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change" (MCC). Creutzig ist Experte für eine nachhaltige Verkehrswende und Mitautor des sechsten IPCC-Berichtes. 

Welche Konsequenzen eine Rücknahme des Verbrenner-Verbotes hätte, ist nicht genau abzusehen. Die Autounternehmen stellen sowieso auf Elektrofahrzeuge um, und auch die deutschen Unternehmen drohen den Anschluss an die internationalen Märkte zu verlieren, wenn sie zu die Transition zu zögerlich umsetzen. Aber als Signal wäre die Rücknahme problematisch - auch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern würde sie Unsicherheit erzeugen.

Insgesamt ist ein 'Phase-Out' von Verbrenner und Diesel zielführend, vor allem in Kombination mit dem europäischen Emissionshandel ETS2. Es wäre wichtig, besser zu kommunizieren, dass die Benzinpreise in Zukunft steigen werden, damit Verbraucherinnen und Verbraucher besser planen können."

"Brüssel und Berlin sind nicht agil genug"

Hildegard Müller: "Klimaneutrale Mobilität zu ermöglichen - in Deutschland genauso wie auf dem Rest der Welt - ist Leitmotiv der deutschen Automobilindustrie. Unsere Unternehmen treiben diese Mission mit hohen Investitionen und Innovationen voran.

Über die Expertin
Hildegard Müller ist Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Zuvor stand sie unter anderem an der Spitze des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Von 2005 bis 2008 war sie Staatsministerin bei der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie gehört der CDU an.

Wir sind überzeugt: Der Hauptbeitrag erfolgt über die Elektrifizierung der Antriebe. Gleichzeitig gilt zweifellos: Wir brauchen globale Lösungen, um beim Klimaschutz entscheidend voranzukommen und haben uns daher immer im Sinne der Technologieoffenheit für unterschiedliche Lösungen auf dem Weg zur Klimaneutralität für unterschiedliche Regionen ausgesprochen. Das gilt auch mit Blick auf die Zukunft des Verbrenners.

Grundsätzlich gilt darüber hinaus: Wie bei jedem Projekt braucht es bei dem Ziel der Erreichung der Klimaneutralität ein entsprechendes Monitoring und Möglichkeiten nachzusteuern, um die Ziele zu erreichen. Der VDA fordert dies seit Beginn der Diskussionen über den Green Deal. Hier braucht es eine ehrliche Analyse der Situation und ein realistisches und pragmatisches Vorgehen. In erster Linie geht es darum, nicht nur Ziele auszurufen, sondern auch die politischen Aufgaben zu erledigen, die für eine erfolgreiche Zielerreichung erforderlich sind - sei es beim Ausbau der Netzkapazitäten, dem Aufbau der Ladeinfrastruktur oder den Zugang zu günstiger Energie und zu den notwendigen Rohstoffen. Hier sind Brüssel und Berlin weder ausreichend strategisch noch agil genug unterwegs."

"Je länger der Wandel hinausgezögert wird, desto teurer wird es"

Wiebke Zimmer: "Voraussetzung für die Verkehrswende und das Erreichen der Klimaziele ist, dass spätestens ab 2035 nur noch Fahrzeuge neu zugelassen werden, die keine Treibhausgasemissionen ausstoßen. Denn Autos bleiben im Durchschnitt etwa fünfzehn Jahre auf der Straße und bis 2050 will Europa in allen Bereichen klimaneutral sein. Deshalb haben die EU-Kommission, das EU-Parlament und die EU-Mitgliedstaaten im Rat entschieden, die Pkw-Flottengrenzwerte schrittweise bis 2035 auf null zu senken. Das schafft Investitions- und Planungssicherheit für alle Akteure.

Über die Expertin
Wiebke Zimmer ist stellvertretende Direktorin von Agora Verkehrswende und Mitglied des Expertenbeirats Klimaschutz in der Mobilität (EKM) des Bundesverkehrsministeriums.

Die Industrie hat damals signalisiert, dass sie mit diesen Rahmenbedingungen gut arbeiten kann. Technologisch läuft es bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen auf batterieelektrische Fahrzeuge hinaus, weil mit ihnen Klimaneutralität am effizientesten und günstigsten zu erreichen ist. Voraussetzung für Klimaneutralität in der Elektromobilität ist die Umstellung der Stromversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035. Bei diesem Vorhaben geht es gut voran.

Wer die EU-Flottengrenzwerte für Pkw abschwächt, muss die Frage beantworten, wie dann trotzdem die Klimaziele im Verkehrssektor erreicht werden sollen. Eine Lockerung der Klimaziele ist keine Option, denn es geht um fundamentale Werte unserer Gesellschaft. Der Schutz des Lebens, der Gesundheit und der natürlichen Lebensgrundlagen ist verfassungs- und völkerrechtlich garantiert. Die schnelle Transformation zur Elektromobilität ist dafür entscheidend. Das zeigen mittlerweile viele wissenschaftliche Gutachten und Szenarien.

Je länger dieser Wandel hinausgezögert wird, desto teurer und schwieriger wird es für die Gesellschaft und die Industrie, die Klimaziele zu erreichen. Jedes emissionsintensive Fahrzeug, das nach 2035 noch neu auf den Markt kommt, wird die Klimabilanz im Verkehrssektor auf Jahre belasten. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es im Verkehrssektor besonders schwer wird, Klimaneutralität zu erreichen. Je länger die Politik abwartet und der Verkehr Mehremissionen produziert, desto weniger werden anderen Sektoren in der Lage sein, den immer weiter anwachsenden Rückstand im Verkehrssektor auszugleichen. Bremsen bei den Klimazielen im Verkehr hat einen hohen Preis."

"Ohne Verbrenner-Verbot würde sich ein typisch deutscher Weg fortsetzen"

Andreas Knie: "Keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren neu zuzulassen wäre ein klares Signal der internationalen und nationalen Politik, den eingeschlagenen Weg der Transformation der Autoindustrie konsequent fortzusetzen. Wenn wir die Pariser Klimaziele noch erreichen wollen, dann geht das nur mit weniger Autos - und die müssen überwiegend batterieelektrisch betrieben werden.

Über den Experten
Andreas Knie ist Sozialwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) und Professor für Soziologie an der TU Berlin. Am WZB leitet der die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung".

Die Rücknahme des Verbrennerverbotes wäre ein klares Eingeständnis, dass die Politik selbst nicht an die eigenen Ziele glaubt. Sollte es so kommen, dann wird man mit sehr vielen Klagen rechnen müssen, da sich ja selbst das Bundesverfassungsgericht dezidiert geäußert hat und eine größere Anstrengung bei dem Erhalt der Klimaziele fordert. 

Damit würde sich auch ein typisch deutscher Weg in der Industriepolitik fortsetzen. Man glaubt, man habe die Schlüsseltechnologie in der Hand und müsse diese gegen allen Widerstand in der Welt verteidigen, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Das ging immer schief, hat Milliarden an fehlgeleiteten Subventionen gekostet und endete im völligen Desaster.

Die fortschrittlichen Kräfte in der Autoindustrie brauchen klare Zeichen: Technische Entwicklungen benötigen immer Randbedingungen, unter denen sie funktionieren können. Wenn diese dauernd geändert, abgeschwächt und verwässert werden, dann wird sich keine Zukunftstechnologie durchsetzen."

"Festhalten an sterbender Technik wird die deutsche Branche nicht retten"

Hans-Peter Kleebinder: "Es geht hier weniger um eine faire und faktenbasierte Debatte, sondern eher um eine kurzfristige (und sehr durchsichtige) tendenziöse Wahl-Kampagne. Durch kurzfristige Wahlversprechen sollen Stimmen gewonnen werden auf Kosten langfristiger Nachhaltigkeitsziele und auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit unserer Automobilindustrie. 

Das Verbrenner-Aus ist eine notwendige Voraussetzung für einen nachhaltigere Mobilität. Die Antriebswende ist ein wichtiger Bestandteil der Verkehrswende, neben besserer Auslastung durch Sharing-Konzepte und automatisierte Mobilität. Ohne diesen Drei-Klang wird der Verkehrs-Sektor weiterhin keinen Beitrag zur Erreichung unsere Klimaziele leisten. Eine Rolle rückwärts würde die notwendige Transformation in Frage stellen, mit Auswirkungen auf andere Sektoren wie Energie und Ernährung. 

Andere Regionen eilen Deutschland davon - wir werden so zu Geisterfahrern der Verkehrswende in Europa und weltweit nicht mehr wettbewerbsfähig mit unserer Automobil- und Zuliefererindustrie. Deutsche Autobauer sollten sich dringend darauf konzentrieren, nicht den Anschluss an die Konkurrenz aus China und den USA zu verlieren. BYD und Tesla haben 2023 mehr E-Autos hergestellt als alle Autokonzerne Europas zusammen. Protektionismus mit Strafzöllen und Festhalten an sterbender Technik werden die deutsche Branche nicht retten."

Über den Experten
Dr. Hans-Peter Kleebinder ist Mobilitäts-Experte mit den Themen Smart Mobility, Smart Cities und Smart Data. Er ist Studienleiter des Executive Programms „SMART Mobility Management“ an der Universität St. Gallen und wissenschaftlicher Fachbeirat im Bundesverband eMobilität e.V.

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