Dienstag, 18. Juni 2024

„Es ist zu befürchten, dass die Herren Lindner und Wissing ihren nächsten medialen Coup vorbereiten“,

 Süddeutsche Zeitung hier  16. Juni 2024, Von Vivien Timmler, Berlin

Wissing will bei Autobahnen sparen – ausgerechnet

Der Bundesverkehrsminister kürzt die Mittel für Autobahnen und Brücken massiv zusammen, heißt es. Die einen finden das skandalös, die anderen „erfrischend ehrlich“. Was dahintersteckt

Mehr ist mehr, das ist ja klar. Niemand beschwert sich über zusätzliche Finanzmittel aus dem Bundesverkehrsministerium, weder die Kommunen noch die Deutsche Bahn und auch nicht die Autobahn GmbH – aber wehe, es wird gekürzt. Letztere treffe es nun besonders hart, heißt es dieser Tage. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) wolle die Investitionen in Autobahnen und Brücken massiv kürzen, um gut 20 Prozent, berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Das ist nicht direkt falsch. 


Aber es ist auch nicht die ganze Wahrheit.

Zu der gehört einerseits, dass Wissing die Mittel für die Autobahn GmbH
erst für 2024 deutlich erhöht hatte, und zwar um eine halbe Milliarde Euro.
 


Nach 5,5 Milliarden Euro im Jahr 2023 stehen für dieses Jahr mehr als sechs Milliarden Euro für die Autobahngesellschaft zur Verfügung, die seit 2021 die 13 000 Kilometer Bundesautobahnen betreibt. 

Wissing selbst sagte im Mai dem Sender n-tv, er habe „für den Haushalt 2024 so viel Geld zur Verfügung, dass wir an die Grenze des Machbaren kommen im Hinblick auf den Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft“. Schon 2023 konnten nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel verbaut werden.

Nun sollen diese der FAS zufolge für das kommende Jahr auf knapp fünf Milliarden Euro sinken, auch für die Folgejahre ist demnach jeweils eine Milliarde Euro weniger vorgesehen als zuletzt geplant. Tatsächlich sei der Investitionsbedarf „höher als derzeit finanziell darstellbar“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums, auch aufgrund der „Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur durch die letzten Bundesregierungen“. Das betreffe jedoch alle Verkehrsträger, also auch die Schiene und die Wasserstraße.

Betriebsrat warnt vor „finanziellem Desaster“


Ein weiterer Teil der Wahrheit:

Wissing ist der Letzte, der Kürzungen bei Autobahnen wirklich „will“.


 „Wenn wir heute an der Infrastruktur sparen, schwächen wir unsere Wirtschaft und reduzieren die Steuereinnahmen in Zukunft. Das macht keinen Sinn“, sagte Wissing kürzlich. „Die Straße ist unser wichtigster Verkehrsträger. Sie muss selbstverständlich ausreichend ausfinanziert sein“, legte er am Sonntag nach. Das laufende Haushaltsaufstellungsverfahren sei bisher nicht abgeschlossen. „Mein Ziel ist es, dass die Autobahn GmbH für 2025 die Investitionsmittel in voller Höhe bekommt, die sie braucht.“

Die Autobahn GmbH fürchtet schon lange Kürzungen und versucht seit Monaten öffentlichkeitswirksam, sie doch noch zu verhindern. Im April hat sie gar einen zusätzlichen Bedarf in Höhe von 5,5 Milliarden Euro bis 2028 angemeldet. Vor allem die Sanierung maroder Brücken werde teurer als bislang geplant. Vergangene Woche legte der Gesamtbetriebsrat der Autobahn GmbH mit einem offenen Brief an den Bundestag nach, in dem er vor einem „finanziellen Desaster“ warnt für den Fall, dass die Mittel tatsächlich gekürzt würden. Gemeint sind mehr Staus, mehr Tempo-Begrenzungen und gegebenenfalls sogar Vollsperrungen. Aber auch der Erfolg des gesamten Brückenmodernisierungsprogramms stehe auf der Kippe. Geht es nach Wissing, sollen bis 2032 etwa 4000 Brückenbauwerke saniert werden.

Was bezweckt der Verkehrsminister?

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie kritisierte die vermeintlichen Kürzungen scharf. „Die traurige Tradition, dass Deutschland sich seine Straßen und Brücken kaputtspart, setzt sich leider fort“, sagte Verbandspräsident Peter Hübner. Auch NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) warnt vor Sparmaßnahmen bei der Infrastruktur. „Wir zahlen heute die Zeche für diese verfehlte Investitionspolitik der Vergangenheit“, sagte er der Bild. Deutschland brauche vielmehr eine „Sanierungswende“: „Teure Prestigebauten müssen auf den Prüfstand, die Erhaltung der vorhandenen Infrastruktur muss Priorität haben.“

Noch einen Schritt weiter geht Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan. Er bezeichnet Wissings vermeintliche Pläne als „erfrischend ehrlich“ und fordert, der Verkehrsminister müsse nun „alle Neubauprojekte auf Eis legen und überprüfen lassen“. Das knappe Geld müsse für Sanierungen eingesetzt werden. „Mit aktuellen Zahlen, etwa gestiegenen Baukosten, sind die meisten geplanten Projekte nicht mehr wirtschaftlich“, so Stephan. Tatsächlich zeigt eine Greenpeace-Berechnung, dass ein Großteil der aktuell geplanten 6000 Kilometer neuer Fernstraßen nicht wirklich rentabel ist. Demnach steht der erwartete Nutzen des Ausbaus nicht im Verhältnis zu den gestiegenen Baukosten und den erwarteten Umweltnebenkosten.

Der Leiter des Bereichs Verkehrspolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz, Jens Hilgenberg, mag hingegen nicht so recht an echte Kürzungen bei der Autobahn GmbH glauben. 


„Es ist zu befürchten, dass die Herren Lindner und Wissing
mit den angedrohten Kürzungen bei den Brückensanierungen ihren nächsten medialen Coup vorbereiten“


, sagt er. Er fühlt sich erinnert an die von Wissing ins Spiel gebrachten Wochenend-Fahrverbote, die zwar nie wirklich zur Debatte standen, die der Minister nach eigener Lesart dann aber mit der Klimaschutzgesetz-Novelle abwenden konnte. „In diesem Fall versuchen die FDP-Minister wohl ihren Plan eines Infrastrukturfonds mit Geld von privaten Investoren durchzudrücken“, mutmaßt Hilgenberg.

Tatsächlich liebäugelt Wissing mit einem auch aus privaten Mitteln gespeisten Infrastrukturfonds, der das Geld für Straßen, Schienen und Wasserwege langfristig bündeln und sichern soll. Zwischen Verkehrs- und Finanzministerium laufen entsprechende Gespräche. Hilgenberg fürchtet, Wissing versuche „Geld für den naturzerstörerischen und klimaschädlichen Autobahnneubau zu generieren“. Was den Gesamthaushalt angeht, ist der Minister jedoch ein Freund der Priorisierung. Gilt das auch für seinen eigenen Etat, ist die Sache eigentlich klar.
„Die Investitionen in die Straßenverkehrsinfrastruktur des Bundes konzentrieren sich vorrangig auf die Substanzerhaltung des Bestandsnetzes einschließlich der Brückenmodernisierung“ steht dort schwarz auf weiß. Diese habe „Vorrang vor dem Neu- und Ausbau“.

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