Mittwoch, 26. Juni 2024

Diese Klimaklagen sollte die Bundesregierung ernst nehmen

Wirtschaftswoche WiWo  hier  von Cordula Tutt  26. Juni 2024

Ein breites Bündnis an Umweltverbänden will Verfassungsbeschwerden gegen die Bundesregierung und das Klimaschutzgesetz einlegen. Schon einmal hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig entschieden. 

Das Bündnis ist sehr breit, die Anwältinnen und Anwälte sind in Klimaklagen erfahren – und das Bundesverfassungsgericht hat schon einmal eindeutig in einem ähnlichen Zusammenhang entschieden. Die Ampelkoalition sollte die Klimaklagen also sehr ernst nehmen, die heute angekündigt wurden und vor dem obersten deutschen Gericht eingereicht werden sollen.

Insgesamt drei Verfassungsbeschwerden will ein Bündnis aus großen Umweltverbänden wie Greenpeace, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Deutscher Umwelthilfe (DUH) und Germanwatch einbringen. Zusammen mit Einzelklägerinnen richten sie sich gegen das Klimaschutzgesetz, vor allem gegen dessen Novelle, die im Mai vom Bundestag verabschiedet worden war. 

Noch aber hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das neue Gesetz nicht unterzeichnet und damit rechtskräftig gemacht. Sein Amt prüft bei allen Gesetzen formell die Verfassungsmäßigkeit. Zwei der Klimaklagen sollen allerdings auch nach Karlsruhe gebracht werden, sollte die Novelle womöglich nicht in Kraft gesetzt werden.

Das neue Gesetz sei für den Klimaschutz völlig unzureichend und in seiner Wirkung entkernt, begründeten die Kläger in Berlin. Die Bundesregierung breche bindende Vereinbarungen, die sie eingegangen sei, als sie sich international zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels verpflichtet habe. Die Erde soll sich im Vergleich zur vorindustriellen Zeit nicht um mehr als 1,5 Grad erwärmen.

Die Regierung schränke durch eine Aufweichung der Klimaschutzregeln etwa für den Verkehr die Grundrechte der Jungen ein. Sie verschärfe schließlich die Ungleichheit zwischen Armen und Reichen und zwischen Stadt und Land. Die Gruppen würden durch ein Aufschieben von Maßnahmen sehr unterschiedlich getroffen.

Ansage aus Karlsruhe

Bereits im Jahr 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht eindeutig zu Gunsten von Klimaschützern entschieden. Die obersten Richter urteilten, eine zögerliche Klimapolitik bedrohe die Freiheit künftiger Generationen. Das damalige Klimaschutzgesetz (KSG) griff nach dem Urteil zu kurz. Die Karlsruher Richterinnen verpflichteten den Gesetzgeber, verbindlichere und genauere Reduktionsziele für den Ausstoß von Treibhausgasemissionen zu regeln. 

Daraufhin wurden Vorgaben für einzelne Sektoren wie den Verkehr oder das Heizen von Gebäuden geschaffen und die Ziele für die Zeit nach 2030 konkreter gefasst. Beides ist in der jüngsten Novelle von 2024 aber aufgeweicht. Die Ziele für Sektoren, die bei einer Überschreitung Sofortprogramme vorsahen, sind gestrichen. Eine Kontrolle ist seltener veranschlagt.     

„Die Zukunftsaufgabe ist nicht gelöst, wir sind nicht auf dem richtigen Weg“ sagte dazu nun die Umweltrechtlerin Roda Verheyen. Sie hat bereits mehrere Klimaschutzklagen gegen staatliche Stellen und gegen große Konzerne vertreten – und gewonnen. Die Klimapolitik werde ihren Verpflichtungen durch das aktuelle und das auf den Weg gebrachte Gesetz nicht gerecht. Der gesamte Weg, Treibhausgase zu reduzieren und klimaneutral zu werden, sei gefährdet, es entstehe kein Handlungsdruck mehr, wenn etwa der Autoverkehr zu hohe Emissionen ausstoße. Aber auch die grundsätzlich angesteuerten Minderungsziele seien zu ambitionslos. Zum Dritten seien keine Maßnahmen erkennbar vorbereitet, die effektiv wirkten.

„Systematische Prokrastination“

Der Anwalt Remo Klinger, ebenfalls Umweltrechtler und in Klimaklagen erfahren, nannte die Politik der rot-grün-gelben Regierung „systematische Prokastination“ – sie schiebe Verpflichtungen systematisch in die Ferne, bis sie nicht mehr einzuhalten seien.


„Die Bundesregierung hat sich im Grunde bis 2029
eine Art Freifahrtschein ausgestellt.“ 
 

Das von mehreren Verbänden und Einzelklägern getragene Vorgehen
hat durchaus Aussicht auf Erfolg. 

„Wir setzen auf die beiden Verfassungsorgane
Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht“

 

sagt der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch. 
Seine Organisation klagt immer wieder gegen aus ihrer Sicht zu schwache oder wirkungslose Umweltvorgaben. 


Das Bündnis sieht sich auch durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ermutigt. Dieser habe den Schutz vor den Folgen des Klimawandels grundrechtlich verankert, erklärten die Verbände. Klagen gegen die Klimapolitik der Bundesregierung hatten zudem etwa vor dem Verwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Erfolg. Sie bezogen sich meist auf das bisherige Klimaschutzgesetz. Auch der Expertenrat der Bundesregierung für Klimafragen hat mehrfach kritisiert, Deutschland sei beim Klimaschutz nicht auf Kurs.
Deutlich kritisierten die Experten die geplante Novelle des Klimaschutzgesetzes.

Vieles spricht also dafür, dass das Bundesverfassungsgericht die Argumente der angekündigten Verfassungsbeschwerden aufgreifen könnte. Wenn fehlender Klimaschutz die Grundrechte der Jungen und der noch nicht Geborenen einschränkt, dann gilt für die Bundesregierung auch, was die Umweltklägerinnen und -kläger heute argumentierten: Wer beim Klimaschutz länger wartet, muss später noch drastischer und vor allem teurer umsteuern. Das sollte die Koalition bei den aktuellen Etatverhandlungen um knappe Mittel einbeziehen. Klimaschutz ist Grundrecht in einer Demokratie. Das haben Gerichte ein ums andere Mal entschieden. 


Utopia hier  Von Ellen Schneider 26. Juni 2024

Luisa Neubauer kündigt Klage gegen Regierung an:
Klimaschutz kein „Häkelclub“

Fünf Umweltverbände und auch Mitglieder von Fridays-For-Future kündigen bei der Bundespressekonferenz an, die Bundesregierung zu verklagen. Luisa Neubauer kritisiert die aktuelle Klimapolitik scharf und fordert Nachbesserungen – sonst könnten die Folgen vor allem Menschen treffen, die in ländlichen Regionen leben.

„Leute es ist ein großer Tag“, schreibt Klimaaktivistin Luisa Neubauer in ihrer Instagram-Story. Der Anlass: Mit der Klimaschutzbewegung Fridays-For-Future (FFF) und einigen Umweltverbänden soll erneut gegen die Bundesregierung geklagt werden. Das wurde bei der heutigen Bundespressekonferenz bekannt gegeben.

Greenpeace und Germanwatch planen eine gemeinsame Sammelklage, genau wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) will außerdem gemeinsam mit dem Solarenergie-Förderverein Deutschland klagen. In einer Mitteilung kündigten die Verbände an: Alle drei Klagen sollen eingereicht werden, sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Änderung des Klimaschutzgesetzes (KSG) unterschreiben. Dieser kann seine Unterschrift verweigern und somit verhindern, dass ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz in Kraft tritt. Im April hatte eine Mehrheit der Abgeordneten eine Reform des Klimaschutzgesetzes beschlossen, die unter anderem ändern würde, wie überprüft wird, ob Klimaziele eingehalten werden. Utopia berichtete.

Luisa Neubauer zu Klage: Klimaschutz kein Häkelclub

„Wir verklagen die Bundesregierung darauf, dass sie Klimaschutzmaßnahmen, die heute möglich und notwendig wären, auch heute umsetzt“, sagte Luisa Neubauer bezüglich der Klage im Interview mit der Zeit. Dabei gehe es vor allem um zwei Punkte: Die Lage im Verkehrsministerium und die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes, in das die Bundesregierung sich in den Augen von Fridays for Future „verfassungswidrige Schlupflöcher“ eingebaut habe. In ihrer Instagram-Story kritisiert Neubauer die Haltung der Regierung zum Klimaschutz scharf. Dieser sei immerhin kein kleiner Häkelclub, den man bei Interesse besuche, auch wenn die Regierung ihn teilweise so behandle, betont die Aktivistin.

"Ein Schlag ins Gesicht junger Menschen":
Ampel-Beschluss erzürnt Klimaschützer:innen

Mit der im April bekannt gegebenen Reform des Klimaschutzgesetzes soll die Einhaltung der Klimaziele nun nicht mehr rückwirkend nach Sektoren kontrolliert werden, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Entscheidend ist dann, dass Klimaziele insgesamt erreicht werden.

Auf die Änderung hatte vor allem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gedrängt. Denn: Im vergangenen Jahr verfehlten der Verkehrs- sowie der Gebäudebereich die Vorgaben. Der FDP-Politiker hatte mit drastischen Einschnitten für Autofahrer:innen gedroht, falls die Ampel-Koalition sich nicht zügig auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes einigen würde. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bezeichnete die Gesetzesreform in einer Pressemitteilung als „Schlag ins Gesicht junger Menschen und zukünftiger Generationen“ und kündigte an „alle rechtlichen Mittel zur Durchsetzung wirksamen Klimaschutzes zu prüfen und zu ergreifen.“

Auch Menschen aus dem ländlichen Raum beteiligen sich diesmal vermehrt als Mitkläger:innen an dem Vorhaben, wie Luisa Neubauer im Zeit-Interview hervorhob. Für sie haben die Entscheidungen der Regierung mitunter weitreichende Auswirkungen. Besonders betroffen seien Pendler:innen, für die es aktuell keine Busanbindung gebe. Auch Baro Vicenta Ra Gabbert, Greenpeace-Sprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit, betont: Handle das Verkehrsministerium jetzt nicht, seien in Zukunft umso härtere, unverhältnismäßige Maßnahmen erwartbar. „Besonders betroffen sind dann Menschen auf dem Land mit geringem Einkommen, die bereits heute kaum Mobilitätsangebote haben und vom sozialen Leben abgeschnitten sind, sagt die Sprecherin.
Dabei dürfe Freiheit nicht vom Geldbeutel abhängen.

Verbände fordern höhere Priorität von Klimaschutz in der Regierung

Auch die anderen Kläger:innen machen in einer Mitteilung des BUND deutlich: Mit dem neuen Klimaschutzgesetz verstoße die Bundesregierung nach Auffassung der Kläger:innen gegen das Grundgesetz. Maßstab des Handelns müsse die rechtlich verankerte Grenze von global 1,5 Grad maximaler Erderhitzung sein. „Die Lösungen im Kampf gegen die Klimakrise sind da, aber die Umsetzung braucht endlich Priorität in der Regierung. Bislang bleibt sie die erforderlichen Maßnahmen schuldig. Und weil die Bundesregierung nicht ausreichend handelt, handeln wir“, schreiben die Verbände in der Mitteilung.

Bei den Klagen handelt es sich jeweils um Sammelklagen. Das heißt: Die Verbände klagen nicht allein, sondern mit zahlreichen Einzelpersonen aus allen Bereichen der Gesellschaft. Auch mehrere Mitglieder von Fridays for Future sind beteiligt. Greenpeace ruft auf der Internetseite der Organisation dazu auf, mitzumachen. Die Umweltrechtlerin Dr. Roda Verheyen biete an, alle in Deutschland lebenden Menschen bei einer Klage gegen die Klimapolitik der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht zu vertreten, heißt es auf der Website. Auch die Deutsche Umwelthilfe sucht noch Mitkläger:innen und schreibt in einer Mitteilung, sie wünschten sich „100.000 Klimahelden, die sich unserer Verfassungsbeschwerde anschließen und damit ein starkes Signal nach Karlsruhe senden.“

2021 hatten Verbände bereits Erfolg mit Klage

Bereits 2021 haben die Verbände gegen die Bundesregierung geklagt. Damals hatten sie Erfolg: Die Bemühungen des Staates in Sachen Klimaschutz wurden vom Bundesverfassungsgericht als unzureichend eingestuft. Daraufhin musste die Regierung das Klimaschutzgesetz verschärfen.


Verwendete Quellen: BUND, Greenpeace, Deutsche Umwelthilfe, Zeit, Bundesverfassungsgericht, Instagram/ luisaneubauer

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