Samstag, 18. Februar 2023

Europa soll zum Fahrrad-Kontinent werden

 16.02.2023  |  VON KATRIN PRIBYL WIRTSCHAFT@SUEDKURIER.DE  hier

Frans Timmermans ist nicht nur ein Sozialdemokrat fürs Grüne, sondern auch Niederländer und damit praktisch auf dem Radsattel geboren worden. Deshalb wird der Vizepräsident der EU-Kommission auch als natürlicher Verbündeter all jener Abgeordneten betrachtet, die von der Brüsseler Behörde fordern, erstmals eine europäische Fahrradstrategie zu entwickeln und das Verkehrsmittel in Gesetzgebungsprozesse sowie bei der Vergabe von Geldern zu berücksichtigen. 

Das EU-Parlament will über eine entsprechende Resolution abstimmen. Das Ziel: den Fahrradsektor als Teil der Mobilitätswende in den Mittelpunkt zu stellen und die Zahl der mit dem Velo zurückgelegten Kilometer in Europa bis 2030 auf 312 Milliarden Kilometer pro Jahr zu verdoppeln.

Die Vorteile liegen für die EU-Parlamentarier auf der Hand: gesündere Menschen, weniger Staus und Lärmbelästigung, bessere Luftqualität, Schutz der Artenvielfalt. Gleichzeitig verweisen die Abgeordneten auf die aktuellen Hindernisse. So herrsche ein Mangel an gesicherten Abstellplätzen und Radwegen, aber auch an unzureichenden Maßnahmen zur Verhinderung von Diebstählen. Es brauche, wie es in der Resolution heißt, mehr Synergien mit anderen Verkehrsträgern wie der Bahn, etwa mehr Abstellplätze in Zügen oder sicherere Parkmöglichkeiten an Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs. Zu den Forderungen gehört neben der Ausrufung eines „Europäischen Jahres des Fahrrads 2024“ zudem, die Mehrwertsteuersätze für den Kauf, den Verleih und die Reparatur von Fahrrädern und E-Bikes zu senken.

Vize-Kommissionspräsident Timmermans dürfte weitestgehend auf der Seite der Volksvertreter stehen. „Alles sollte, wo möglich, eine Fahrraddimension haben“, hatte er vergangenen Sommer gesagt. Die EU hatte in den vergangenen Jahren vor allem die Auto- und Wasserstraßen sowie den Schienen- und Flugverkehr im Blick bei ihren verkehrs- und transportpolitischen Entscheidungen im Rahmen des Green Deals. Mit diesem will die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt werden. Das Fahrrad soll seinen Beitrag leisten, doch dafür benötige es „dringend europäische Koordination sowie die nötigen Investitionen“, sagt die Grünen-Politikerin Anna Deparnay-Grunenberg. Die Hälfte der mit dem Pkw gefahrenen Strecken in Europa seien kürzer als fünf Kilometer. „Allein daran wird deutlich, dass auch das Fahrrad die Verkehrswende deutlich voranbringen kann.“

Die Unterschiede zwischen den 27 Mitgliedstaaten und vor allem den einzelnen Städten sind dabei groß. Einer 2020 veröffentlichten Eurobarometer-Studie zufolge schwingen sich die Niederländer am häufigsten auf den Sattel, gefolgt von den Schweden. Das dürfte auch an den Bedingungen liegen. Als Leuchtturm versteht sich neuerdings Paris, wo man vor ein paar Jahren aufs Rad gekommen ist. Die französische Metropole will etwa bis 2026 insgesamt 250 Millionen Euro für neue Fahrradwege ausgeben und 100 000 sichere Parkplätze im Stadtzentrum schaffen.

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