Samstag, 11. Februar 2023

Was tun mit den Öl-Milliarden?

10. Februar 2023 Klimafreitag hier  Christoph von Eichhorn

Unfassbare 195 Milliarden US-Dollar Gewinn haben die fünf größten westlichen Ölkonzerne im Jahr 2022 gemacht. Die „Big Five“, also Exxon Mobil, Chevron, Shell, BP und Total, erzielten damit pro Sekunde 6100 US-Dollar Profit. Wie diese Gewinne zustande gekommen sind, haben sich meine Kollegen Bastian Brinkmann und Nakissa Salavati genauer angesehen 

Die große Frage lautet nun, was diese Zahlen für den Klimaschutz bedeuten. Schließlich stammen die Gewinne ganz überwiegend aus der Förderung und dem Verkauf fossiler Rohstoffe, der Hauptursache für den menschgemachten Klimawandel. Aufschlussreich ist hier die Reaktion von BP. Der britische Konzern, der sich einmal das Motto „Beyond Petroleum“ auf die Fahnen schrieb, kündigte gleichzeitig mit der Bekanntgabe seines Jahresgewinns von 28 Milliarden US-Dollar an, seine Klimaschutz-Ambitionen herunterzufahren. Statt einer Reduktion der gesamten CO₂-Emissionen um 35 bis 40 Prozent bis 2030 strebt BP nur noch eine Senkung um 20 Prozent an. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der Konzern mehr Öl und Gas fördern möchte, als bislang geplant – womit mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen werden.

Und wohin fließen die Gewinne? Ein großer Teil soll an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Für die Umstellung des klimaschädlichen Geschäftsmodells ist deutlich weniger vorgesehen. Bis 2030 sollen etwa die Investitionen von BP in klimafreundliche Technologien auf jährlich acht Milliarden US-Dollar steigen, etwa für Ladestationen für die Elektromobilität, erneuerbare Energien und Wasserstofftechnologie. Allerdings sind weitere acht Milliarden auch 2030 für Investitionen in die Öl- und Gasförderung vorgesehen. Der Konzern hält also am fossilen Kerngeschäft fest.

Bei den anderen der „Big Five“ sieht es kaum anders aus. Shell etwa steckte laut einem Bericht der Organisation „Global Witness“ im Jahr 2021 nur rund 1,5 Prozent seiner Finanzmittel in Solar- und Windprojekte. Und kaum ein Ölkonzern hat bislang eine Strategie, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Man sollte sich also wohl nicht allzu sehr auf die fossile Energiebranche verlassen, um den Klimawandel zu bremsen.

Angesichts dieser Untätigkeit und der astronomischen Profite zu einer Zeit, in der hohe Energiepreise viele Haushalte belasten, stellt sich auch die Frage, ob die Gewinne vom Staat abgeschöpft werden sollten. Die Kollegen aus dem Wirtschaftsressort haben zusammengetragen, was dafür spricht und was dagegen (SZ Plus). So könnte eine Übergewinnsteuer zwar womöglich der Gesellschaft zügig in einer Krisensituation helfen – ist aber alles andere als leicht und gerecht umzusetzen. 


Süddeutsche Zeitung hier  Von Nakissa Salavati und Marc Beise  8. Februar 2023

Pro und Contra: "Übergewinne" der Ölkonzerne abschöpfen?

Multis wie Exxon, Shell, Chevron und BP erzielen in Zeiten von Energieknappheit und globaler Krise enorme Profite. Soll man solche „Übergewinne“ extra besteuern?


Pro: Ran an die Milliarden

Lassen wir eine Zahl sprechen: 195 Milliarden Dollar. So viel haben die fünf Ölkonzerne Exxon, Shell, Chevron, BP und Total im Jahr 2022 insgesamt Gewinn gemacht. Sie allein ist schon eine Nachricht wert, denn 2022 war nicht irgendein Jahr. Es war das schlimmste Jahr seit Langem, das Europa und die Welt erlebt haben: Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Inflation, Dürren und Flucht.

Nun dürfen und müssen Unternehmen auch in Krisenjahren Geld verdienen. Allerdings haben die Ölkonzerne nicht nur gut verdient, sie haben extrem viel mehr verdient als in den Jahren zuvor. Und sie haben besonders von Krieg und Energiemangel profitiert. Manche Staaten wie Spanien oder Italien haben daher früh eine Steuer auf einen Teil der Gewinne von Energieunternehmen eingeführt, um staatliche Hilfsprogramme zu finanzieren. Seit die EU Mitgliedsstaaten dazu verpflichtete, eine Abgabe für Öl- Gas- und Kohleunternehmen einzuführen, muss dies auch Deutschland tun. Richtig so.

Selbstverständlich gibt es Zweifel an einer solchen Abgabe, vor allem formale. Sie sei verfassungsrechtlich schwierig, es werde Klagen geben, zudem dürften Staaten nicht willkürlich und unsystematisch eine Steuer einführen. Nun mag die Übergewinnsteuer nicht die eleganteste Lösung sein, die der reinen Steuerlehre genügt. Muss sie aber auch nicht. Denn die Gesellschaft steckt in einer Krise, in der es zügig Lösungen braucht. Diese zu finden und rechtskonform auszuarbeiten, ist Aufgabe demokratischer Regierungen. Zweifel an der Umsetzung entwerten nicht gleich die Sache selbst.

Die fraglichen Konzerne sind schließlich nicht irgendwelche: Sie bieten Produkte, von denen die Welt noch stark abhängig ist. Sie kontrollieren die Wertschöpfung von Förderung, Handel und Verarbeitung fossiler Energien. Ihre Produktionskosten bleiben niedrig, während sie ihr Erdöl, Gas, Benzin oder Diesel in unsicheren Zeiten teuer verkaufen können.

Nun mag man einwenden, dass Firmen ihren Gewinn nicht in Zukunftstechnologie (dieses Wort!) investieren können, wenn sie zusätzliche Steuern zahlen. Zumindest bei den Ölkonzernen ist das aber nicht der Fall: Sie haben viele Milliarden Dollar verdient, die sie auch bislang nicht im großen Stil in grüne Technik investierten. Überhaupt liegt es nicht in ihrem Interesse, sich in der Klimakrise umzustellen. Und das richtig rentable Geschäft machen sie immer noch mit fossiler Energie. Exxon kalkuliert mit etwas mehr als einer Milliarde Dollar für die Abgaben in der EU, 15 Milliarden Dollar gingen als Dividende an Aktionäre. Da ist noch reichlich Luft für Investitionen.

Der geringe Steuerertrag wird gern auch als Gegenargument verwendet: Denn die meisten Gewinne erwirtschaften die Ölkonzerne nicht in Deutschland und auch nicht in Europa. Darum sei eine höhere globale Unternehmensbesteuerung effektiver und sinnvoller. Das mag sein, dauert aber. Und es ist auch nicht falsch, kluge Reformen zu planen – und gleichzeitig eine befristete, schnell greifende Abgabe einzuführen.

Und überhaupt, was ist eigentlich mit Unternehmen wie dem Impfstoffhersteller Biontech, der während einer Krise sein Produkt verkaufen und hohe Gewinne erzielen konnte? Man kann also, und das hat die EU ja gemacht, sehr wohl zwischen Firmen unterscheiden, die mit viel Aufwand und eine Innovation auf den Markt gebracht haben und solchen, die ohne großen Mehreinsatz von ihrer Marktmacht profitieren. Am Ende geht es aber auch um den symbolischen Wert der Steuer: Wer viel hat, gibt ab. Das gilt besonders in Krisen.


Contra: Gegen jede Vernunft

Es war Mario Draghi, der viel gerühmte Wirtschaftsversteher, der als Premierminister in Italien im vergangenen Jahr eine Übergewinnsteuer eingeführt hat. Es könne nicht sein, so das Argument, dass einzelne Unternehmen gewaltige Gewinne einheimsen würden, während es der Wirtschaft insgesamt und dem Land schlecht gehe. Zehn Milliarden Euro wollte Draghi auf diese Art und Weise umverteilen, am Ende ist es viel weniger geworden – auch weil viele Unternehmen sich zunächst weigerten zu zahlen und lieber vor Gericht zogen. Das kann man als unternehmerische Renitenz abtun, aber richtigerweise sollte man es als Hinweis auf ein grundsätzliches Problem betrachten: Diese spezielle Steuer ist juristisch umstritten, sie führt zu einem heillosen Durcheinander. Und sie macht es den Kritikern leicht, gegen sie zu opponieren. Sie hilft nicht, sie schadet.

Es ist kein Zufall, dass es im Bundestag trotz seiner eher linken Mehrheit dafür bisher keine Mehrheit gab. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium, der einige der klügsten Finanzexperten des Landes vereint, riet bereits im Juli 2022 „dringend“ von der Einführung einer solchen Steuer ab. Dennoch kommt die Diskussion in diesen Tagen, da insbesondere die großen Energiekonzerne ihre Jahreszahlen vorlegen und teilweise gewaltige Gewinne ausweisen, mit voller Kraft zurück.

Verdächtig ist bereits, dass meist moralische Argumente („es kann doch nicht sein, dass …!)“ im Vordergrund stehen. Das ist immer sehr ehrenwert, aber wenn sich ausgerechnet in der komplexen Unternehmenswelt moralische Überlegungen mit komplizierten Fragen der Steuersystematik vermischen, geht es – Entschuldigung! – leider meistens schief.

Das beginnt schon bei der Frage, was ein Übergewinn eigentlich ist. Etwas Böses, klar, worauf schon der Vorsatz „Über-“ hinweisen soll, aber blickt man genauer hin, stellt man fest, dass ein Übergewinn in der Praxis kaum vernünftig abgrenzbar ist. In der aktuellen Debatte scheint es bereits auszureichen, dass ein Unternehmen in einem Jahr ungewöhnlich gut verdient. Das kann aber schon im kommenden Jahr wieder ganz anders sein – sollen dann die „Untergewinne“ vom Staat umgekehrt kompensiert werden? Es ist eben so, dass wirtschaftlichen Aktivitäten typischerweise großen Schwankungen unterliegen – hier punktuell einzugreifen, geht selten gut.

In der Regel verweisen die Übergewinn-Apologeten auf den Zeitvergleich – aber wie lang soll der sein? Der Gewinn dieses Jahres zu dem des Vorjahres? Oder zum Durchschnitt der Vorjahre? Welcher Vorjahre? In den USA wurde bei einem entsprechenden Gesetzesvorhaben zur Abschöpfung der Übergewinne von Ölfirmen der Ölpreis 2015-2019 als Referenzwert genommen. Für 2011-2015 hätten sich gar keine Übergewinne ergeben.

Ohnehin muss man bei Steuern immer fragen, was sie wirklich bringen. Nur moralische Forderungen zu erfüllen, reicht nicht. Die beste Steuer ist die, die dem Gemeinwesen das notwendige Geld bringt, ohne in wirtschaftliche Aktivitäten einzugreifen. In der Marktwirtschaft sind Preise wichtige Marktsignale. Sind sie in einem Sektor hoch, animiert das mehr Unternehmen, hier tätig zu werden. In der Regel ist das dann auch volkswirtschaftlich sinnvoll.

Vor allem aber widerspricht eine Übergewinnsteuer dem Leistungsfähigkeitsprinzip, das eines der Grundrechte des Steuerrechts ist. Wer hohe Einkommen oder Gewinne erzielt, zahlt höhere Steuern, das leuchtet ein. Wenn aber gleiche Gewinne unterschiedlich besteuert werden, je nachdem wo, wie oder wann sie erzielt werden, dann herrscht die Willkür.

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