Ein offener Brief an Minister Wissing auf Seite 2 im Südkurier.
Ich bin begeistert von der fortschrittlichen Berichterstattung, die mich in ihrer Offenheit zugegebenermaßen ziemlich überrascht hat. Es wäre schön, wenn wir uns daran gewöhnen könnten!
03.02.2023 im Südkurier hier
Sehr geehrter Herr Minister,
Sie wissen schon, wie man es machen muss: Während die Grünen und die Deutsche Umwelthilfe auf Tempolimits drängen, legen Sie noch ne Schippe drauf und fordern mehr Tempo bei Autobahnneubauten. Was für den bitter nötigen Ausbau von Windkraft und Solarenergie gilt, soll auch für Autobahnen festgestellt werden – ein „überragendes öffentliches Interesse“. So treibt man die Preise in der Koalition hoch!
Wer als Autofahrer durch Baustellen und Staus regelmäßig ausgebremst wird, weiß natürlich, dass auch bei Straßen und Brücken großer Sanierungsbedarf herrscht. Aber um das zu beheben, ist kein Freifahrtschein für den Bau neuer Autobahnen nötig. Das deutsche Autobahnnetz ist bereits 13 200 Kilometer lang, seit 1995 ist es um 2000 Kilometer gewachsen. Auch wenn die nicht gleichmäßig über Deutschland verteilt sind, möchte man sagen: Es reicht.
Es ist nämlich nicht so, dass mit wachsender Straßenfläche der Verkehr in den letzten Jahren entspannter geworden wäre. Geschlagene 333 000 Stunden warteten Menschen auf einer der 123 deutschen Autobahnen darauf, dass es weitergeht. Das hat der ADAC gerade berechnet. Bis auf die Verkehrsdelle im Corona-Jahr geht die Staukurve seit Jahren nach oben. Die Menschen richten sich in ihrem Verkehrsverhalten eben an den Möglichkeiten aus: Mehr Straßen bedeuten im Endeffekt, dass mehr Auto gefahren wird. Das geht aus Sicht der Autoindustrie sicherlich in Ordnung. Als Verkehrsminister sollten Sie allerdings eigene Ziele verfolgen.
Wenn Sie den täglichen Verkehrswahnsinn lösen wollten, müssten Sie eigentlich gegensteuern. Das heißt vor allem: Die Bahn muss attraktiver werden. Und zwar nicht primär mit günstigen Tickets, wie das 49-Euro-Ticket, das nun kommen soll. Vor allem müssen Züge zuverlässig und schnell werden: Nur wenn sie Pendlern eine zuverlässige Alternative bietet, die nicht doppelt so lange braucht wie die staugeplagte Straße, lassen die ihr Auto stehen. Das gleiche gilt für Lkw: Solange es billiger ist, die rollenden Warenlager täglich über Deutschlands Autobahnen zu schicken, besteht überhaupt kein Anreiz, Transporte auf die Schiene zu verlagern oder gar wieder Vorratshaltung vor Ort zu betreiben.
Solange das so ist, rückt eine Verkehrswende aber in unendliche Ferne. Allein mit der Elektrifizierung des Straßenverkehrs werden wir nicht klimaneutral werden, weil ja auch der Strom für die Millionen von Autos irgendwoher kommen muss. Dabei sind die Mittel zur Verkehrswende kein Hexenwerk: Man könnte an die Dienstwagen-Besteuerung ran, die Pendlerpauschale auf klimafreundliche Verkehrsmittel ausrichten oder ein Tempolimit auf Autobahnen einführen. Bei Ihnen frage ich mich allerdings, ob Sie das Ziel Klimaneutralität überhaupt verfolgen. Aber belehren Sie mich bitte eines Besseren!
Mit freundlichen Grüßen,
Angelika Wohlfrom Politikredakteurin
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