Samstag, 11. Februar 2023

Noch immer kein Klimawandel bei der CDU

SPIEGEL Klimabericht   hier   Kurt Stukenberg  Freitag, 10. Februar 2023 

Das Wichtigste zum größten Thema unserer Zeit 

vor etwas mehr als einem Jahr wurde CDU-Politiker Friedrich Merz von der »Klimaunion« eine unbequeme Frage gestellt. Die parteiinterne Gruppierung der Konservativen wollte Merz´ Meinung zu einer Berechnung abfragen, nach der Deutschland ab 2020 noch höchstens 4,2 Milliarden Tonnen CO₂ ausstoßen dürfe.

Dieser auf Deutschland heruntergebrochene Anteil des sogenannten globalen CO2-Restbudgets ist eine wichtige Kenngröße, um zu verhindern, dass bestimmte Temperaturschwellen wie etwa das 1,5-Grad-Limit überschritten werden.

Der damals erst vor wenigen Wochen zum CDU-Parteichef gekürte Merz antwortete, es sei »grundsätzlich mit Ja zu beantworten«, dass dieses Restbudget für Deutschland »eine verbindliche Zielmarke für die Klimapolitik der CDU« darstelle.

Mit diesem Bekenntnis hatte sich Merz urplötzlich an die Spitze der Klimabewegung gestellt: Bei einem CO2-Ausstoß von jährlich rund 810 Millionen Tonnen war die Aussage des CDU-Chefs gleichbedeutend damit, dass die Bundesrepublik bis etwa 2026 klimaneutral sein sollte. Die aktuelle Bundesregierung strebt das für 2045 an, die alte noch unter Führung einer CDU-Kanzlerin wollte das bis vor Kurzem sogar erst 2050 erreichen – 25 Jahre später als Friedrich Merz. Aufgefallen war das der breiteren Öffentlichkeit damals leider nicht (was auch ein Medien-Problem ist, wie ich unter anderem anhand genau dieses Beispiels Anfang letzten Jahres hier beschrieben habe).

Ein fehlender Plan B

Klimachampion Friedrich Merz? Von dieser Illusion ist nach der Recherche der Kolleg:innen Tim Neumann, Jonas Schaible, Sara Sievert und Gerald Traufetter für die aktuelle Ausgabe (S+) des SPIEGEL nicht mehr viel übrig. Bislang erklärt der Parteichef vor allem, was alles nicht geht. Er sagt: »Die Ausbauziele der jetzigen Bundesregierung sind unrealistisch.« – »Wir haben schlicht und ergreifend das Personal nicht, das in der Lage wäre, heute einen exponentiellen weiteren Ausbau der Windenergie und der Solarenergie zu installieren.« – »Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Was tun wir, wenn es realistischerweise nicht so schnell geht?«

Was er nicht sagt: Was die Alternative ist. Konkrete Fragen des SPIEGEL beantwortete er ausweichend. Welche »neuesten Formen der Kernenergie«, von denen immer wieder die Rede ist, meint er zum Beispiel? Wann könnten sie einsatzbereit sein? Die Antwort: »Hierbei geht es uns vor allem um die Technologieoffenheit (siehe dazu hierin der Forschung. Wer auf dem heutigen Stand der Forschung voreilig die Energieproduktion der Zukunft festlegt, spricht unserem Land jede Forschungskompetenz ab.« So weit, so unverbindlich.

Ähnlich lässt sich Jens Spahn ein, immerhin der fürs Klima zuständigen Vizefraktionschef der Union im Bundestag: Die Regierung will bis 2030 vier Fünftel des Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen, ab 2045 den gesamten. Was will die Union? »Es ist das Privileg der Opposition, dass man zweieinhalb Jahre vor der Wahl noch nicht für alles eine Erklärung liefern muss«, sagt Spahn. »Ich kann noch nicht abschließend sagen, wie viel Prozent des Stroms 2040 aus Erneuerbaren kommen kann und wie viel aus anderen Quellen kommen muss.«

Auch wenn die Recherche ziemlich ernüchternd ist: unbedingte Leseempfehlung.


Spiegel hier   10.02.2023  Von Tim Neumann, Jonas Schaible, Sara Sievert und Gerald Traufetter

Die CDU und der Klimaschutz: Grün gestrichen

Die CDU will sich neu als Klimapartei profilieren. Aber auf zentrale Fragen hat die Union keine Antwort – und ihr Chef Friedrich Merz macht wenig Anstalten, das zu ändern.

Im Grunde hat Friedrich Merz es schon geschafft. Seine Grundsatzrede zur Energiewende vor wohlgesinntem Publikum hat er in einer knappen halben Stunde herun­tergespult. Er hat mit der für ihn typischen Mischung aus Resolutheit und Anklage Sätze wie diesen gesagt: »Wir verbieten zu viel in diesem Land!« Und dafür so großen Applaus kassiert, wie er es auf einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung erwarten durfte. Er hat zwei der drei Fragen beantwortet, die er dem Publikum zuge­standen hat, nach einem Blick auf die Armbanduhr.

Dann aber, als Norbert Lammert, der Vorsitzende der Stiftung und ehemalige Bundestagspräsident, an jenem Donnerstag Ende Januar die dritte und letzte Frage aufruft, bemerkt Merz in der ersten Reihe eine weitere Meldung. Merz murmelt Lammert zu: Klaus Töpfer solle seine Frage auch noch stellen dürfen. Also, Bonusfrage. Töpfer erhebt sich.

Töpfer war unter Helmut Kohl für mehr als sieben Jahre Bundesumweltminister. Er ist einer, den sie in der CDU in Ehren halten, auf den sie gern zeigen, um zu belegen, dass die Union immer schon auch die Umwelt im Blick hatte.

Dieser Töpfer also sagt nun, wenn er den Vortrag so höre, dann »zweifle ich, ob ich noch Mitglied in der Partei sein darf«.

Moment, wie bitte?

Töpfer spielt auf Merz’ Verbotstirade an. »Ich habe nämlich alles ordnungsrechtlich gemacht. Stellen Sie sich vor, wir haben Umweltpolitik gemacht, beispielgebend in der Welt, durchaus, ohne einmal einen Preis zu setzen. Unglaublich.«

Das war jetzt nicht geplant.

»So groß sind die Widersprüche doch gar nicht«, beschwichtigt Merz, »dass das Ordnungsrecht eine Rolle spielen muss, ist doch unbestritten.« Dennoch sei das Mittel der Wahl, um die Wirtschaft zu dekarbonisieren, die Bepreisung, sagt Merz. »Wollen Sie das infrage stellen?«

Töpfer: »Ja.«

Merz: »Gut, dann haben wir einen viel größeren Dissens, als ich ihn befürchtet habe.«

So also sieht es mit den Grundsätzen schon nach der ersten kritischen Nachfrage aus. Alles scheint plötzlich unklar. Wofür steht die CDU eigentlich? Wie schlimm findet sie Verbote? Ist sie sich darin einig? Und haben die Klimabewegten in der Partei überhaupt noch einen Platz?

Später an diesem Tag, an dem die Konrad-Adenauer-Stiftung Christdemokraten, Unternehmer und Wissenschaftler über die Energiewende reden, streiten, lernen lässt, wartet Heinrich Strößenreuther auf Jens Spahn, den fürs Klima zuständigen Vizefraktionschef, der eben in einer Diskussion auf dem Podium saß. Strößenreuther ist Mitgründer und Vorstandsmitglied der Klimaunion, einer parteiinternen Gruppe, die auf Klimafragen aufmerksam machen will. Es gibt sie seit bald zwei Jahren, sie soll etwa tausend Mitglieder haben und war im Wahlkampf reichlich präsent.

Spahn nimmt Strößenreuthers Visitenkarte. Schaut darauf, schaut Strößenreuther an. Bedankt sich. Geht. Der vielleicht wichtigste Klimapolitiker der Fraktion und ein Vorstand der Klimaunion, sie kennen sich bislang nicht persönlich.

Schon in der Ära Merkel hatte sich die Union nicht immer mit allergrößter Leidenschaft ums Klima gekümmert. »Politik ist das, was möglich ist«, lautete der programmatische Satz der Kanzlerin, was auch heißt: Politik ist nicht unbedingt das, was nötig ist.

Das erste Klimaschutzgesetz unter Merkel wurde vom Verfassungsgericht kassiert und musste eilig nachgeschärft werden. Im Verkehrssektor ging wenig voran, in der Landwirtschaft oder dem Wohnungsbau ebenso wenig. Und nun, in der Opposition, hat die Klimaleidenschaft der Partei noch einmal nachgelassen.

Im Klimaschutz hängt wohl von keiner Partei mehr ab

Allerdings ist die Union nicht irgendeine Oppositionspartei, sondern die wohl stärkste politische Kraft in Deutschland. Der Versuch, eine klimaneutrale Transformation gegen sie durchzusetzen, ist zum Scheitern verurteilt, zu groß ist ihre Macht in Kommunen, in den Ländern, im Bundesrat. Ob Klimaschutz gelingt, hängt von CDU und CSU wahr­scheinlich mehr ab als von jeder anderen deutschen Partei.

Selbst in den eigenen Reihen fürchten mittlerweile einige, dass die Parteiführung der Bedeutung des Themas nicht gerecht wird. Diejenigen, die voll auf Klimaschutz setzen, fühlen sich nicht gehört. Die Parteioberen wiederum scheinen keinen Plan zu haben, wie genau ein christdemokratischer Pfad zur Klimaneutralität aussehen soll. Bislang erklärt der Parteichef vor allem, wie es nicht geht.

»Wir haben schlicht und ergreifend das Personal nicht,
das in der Lage wäre, heute einen exponentiellen weiteren Ausbau der Windenergie und der Solarenergie zu in­stallieren.«

Friedrich Merz

Auf der Bühne in Berlin, vor Töpfers Frage, wiederholt Merz diese Position in immer neuen Varianten. Er sagt: »Die Ausbauziele der jetzigen Bundesregierung sind unrealistisch.« – »Wir haben schlicht und ergreifend das Personal nicht, das in der Lage wäre, heute einen exponentiellen weiteren Ausbau der Windenergie und der Solarenergie zu in­stallieren.« – »Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Was tun wir, wenn es realistischerweise nicht so schnell geht?«

Die große Leerstelle: Der Plan B

Fragen, die Merz auch an die eigene Partei stellen müsste. Schließlich war es die vorherige CDU-Regierung, die die bis heute geltenden Klima­ziele verabschiedet hat, genauso wie den Atom- und den Kohleausstieg. Hat sie sich, was den Ausbau der erneuerbaren Energien anbelangt, verrechnet? Und was wäre die Alternative, wenn es mit den Erneuerbaren nicht so schnell vorangeht wie erhofft?

Das ist die größte Leerstelle der CDU: Merz erklärt bisher nicht, wie sein Plan B für die nächsten 15 Jahre aussieht. Konkrete Fragen des ­SPIEGEL beantwortete er ausweichend. Welche »neuesten Formen der Kernenergie« meint er zum Beispiel? Wann könnten sie einsatzbereit sein? Die Antwort: »Hierbei geht es uns vor allem um die Technologieoffenheit in der Forschung. Wer auf dem heutigen Stand der Forschung voreilig die Energieproduktion der Zukunft festlegt, spricht unserem Land jede Forschungskompetenz ab.« So weit, so unverbindlich.

Vor gut einem Jahr, als Merz sich zum dritten Mal um das Amt des Parteichefs bewarb und gegen den ehemaligen Kanzleramtschef Helge Braun und den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen antrat, verschickte die Klimaunion einen Fragebogen an die Kandidaten.

Die ersten vier Fragen waren offen formuliert. Röttgen und Braun gaben Antworten mit ausführlichen Herleitungen, Merz schrieb als Replik vier knappe Sätze auf alle Fragen: Verweise auf Koalitionsvertrag und Technologieoffenheit, Zweifel, dass CO₂-Vermeidung allein reiche. Auf weitere Fragen ließ er wissen: »Die zutreffende Beantwortung dieser Fragen hängt zu sehr von unbekannten Faktoren ab, als dass ich jeweils eine der vorgegebenen Antworten nennen könnte.«

Erstaunlich klar allerdings war seine Antwort auf die Frage, ob ein Restbudget von 4,2 Milliarden Tonnen CO₂ eine »verbindliche Zielmarke« ab 2020 für die CDU sei. Heißt: Deutschland dürfte nur noch diese Menge an CO₂ ausstoßen, weil sie der faire Anteil an allen Emissionen weltweit wäre, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Merz teilte mit: »Grundsätzlich mit Ja zu beantworten.«

Meinte Merz es ernst mit dieser Antwort, verträte er die radikalste Klimaforderung, die eine relevante Partei in Deutschland zu bieten hat. Da das genannte Restbudget schnell verbraucht wäre, müsste Deutschland in vier Jahren klimaneutral sein. Das aber fordern nicht einmal die Grünen.

Die Antwort der CDU auf die Klimakrise heißt Andreas Jung

Wenn es Merz aber mit dem Klima so ernst wäre, hätte er dann im Herbst noch Wirtschaft, Soziales und Außenpolitik als die Themenfelder identifiziert, um die er sich in der CDU persönlich kümmern will? Es ist eher zu vermuten, dass Merz die Antwort im Fragebogen nicht ganz zu Ende gedacht hat.

Kommen Zweifel an der Kompetenz und Aufrichtigkeit des Parteichefs in der Klimafrage auf, dann ist Andreas Jung gefragt. Jung, 47, ist, was Töpfer früher war: die Standardantwort der CDU auf die Klimakrise.

Jung hat kürzlich mit seinem Fraktionskollegen Thomas Gebhart ein 14-Thesen-Strategiepapier geschrieben, über christdemokratische Klimapolitik.
Es trägt den Titel »Mit dem C zur Klimaneutralität« und beginnt mit einem Bekenntnis: 2045 soll das Land klimaneutral sein, es ist also das Ziel, das die Regierung Merkel formuliert hat. »Nach unserem Selbstverständnis als christdemokratische Union müssen wir alles tun, um unseren Kindern die Welt ein Stück besser zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben«, heißt es vorweg.

Schon das ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist noch nicht lange her, da waren die Fachpolitiker der Union von ganz anderem Schlag. Die Klima- und Energiepolitik bestimmten Männer wie Michael Fuchs, Georg Nüßlein, Joachim Pfeiffer oder Thomas Bareiß.

Die letzten beiden galten als Teil eines »Bermudadreiecks der Energiewende«: ein Ort also, an dem Vorschläge für die Energiewende plötzlich und unrettbar versanken wie einst Schiffe im Atlantik. Das dritte Eck, der Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann, ist heute stellvertretender Parteichef und für die programmatische Neuaufstellung der Union verantwortlich.

Über Jung dagegen sagen selbst Menschen aus der Klimabewegung, er sei im Stoff und meine es ernst. Seit 2005 sitzt er im Bundestag, in der vergangenen Legislaturperiode war er als Fraktionsvize für Klima und Energie zuständig, den Posten trat er nach der Wahl ab, die Themen übernahm Ex-Gesundheitsminister Spahn. Dafür gehört Jung mittlerweile zu den fünf stellvertretenden Parteivorsitzenden.

Jung ist kein Hinterbänkler, aber auch kein Machtzentrum der CDU. Man weiß nicht, wie viel er am Ende zu sagen hat, wenn es nicht nur darum geht, das Allgemeine aufzuschreiben – sondern das Konkrete zu definieren.

Hoffnung auf die Kernfusion

Beispielsweise bei Punkt fünf im neuen Thesenpapier: »Unsere Strategie für die Energie der Zukunft beruht auf den Säulen Effizienz, Erneuerbare, Wasserstoff und CO₂-Abscheidung.« So weit, so unstrittig. Kontrovers wird es, wenn es um das Verhältnis zwischen diesen Säulen geht, zum Beispiel um die Rolle, die man der CO₂-Abscheidung beimisst.

CO₂-Abscheidung, technisch ausgedrückt Carbon Capture and Storage (CCS) oder Carbon Capture and Utilization, bedeutet: Abgase in einer Fabrik oder einem Kraftwerk auffangen, das CO₂ herausziehen und dann auf die eine oder andere Art speichern oder als Rohstoff nutzen. Der Vorteil: Unvermeidliche Emissionen etwa in der Müllverbrennung oder Zementherstellung lassen sich reduzieren. Die Nachteile: Es lassen sich nie alle Emissionen verhindern, ein Rest bleibt immer. Und der Energiebedarf dafür ist hoch, weshalb CCS keine Lösung ist, wenn Energie ohnehin knapp ist.

Kontrovers wird es auch, wenn es um die Kernenergie geht. Es brauche mehr Forschung für Kernfusion oder Kernenergie der nächsten Generation, heißt es im Thesenpapier. Die Frage dabei ist, ob und, wenn ja, wann die Technik überhaupt Energie im großen Stil liefern kann.

Neue Techniken der Kernenergie könnten Windräder und Solarpaneele in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vielleicht ergänzen. Bis 2045, dem Jahr also, in dem Deutschland klimaneutral sein soll, könnten sie allerdings wohl keinen nennenswerten Beitrag zur CO₂-Reduktion leisten. Zu lange würde der Aufbau von Anlagen mit der neuen Technologie dauern. Wenn sie überhaupt je existieren, was etwa bei der Kernfusion vorstellbar, aber nicht garantiert ist.

Es gibt Leute in der Union, die das im vertraulichen Gespräch sofort einräumen. Es gibt aber auch Jens Spahn.

Passt-schon-und-wird-schon-Haltung

Spahn empfängt in seinem Büro im Bundestag. Vor gut einem Jahr war er noch Gesundheitsminister, musste sich mit Inten­sivbettenkapazitäten beschäftigen, Masken beschaffen, Covid-Impfstoff verteilen. Mit Klimaschutz und Energiefragen hatte er nie wirklich zu tun – bis nach der Wahl.

Spahn benötigte einen Posten mit Sichtbarkeit und Einfluss – und in der Union ist es üblich, dass Ex-Minister nicht zu ihren alten Themen arbeiten. Also ist Spahn heute nach dem Parteichef einer der wichtigsten Christdemokraten in Klimaschutzfragen. Dass er in den Details nicht immer sattelfest ist, wischt er beiseite. Dass er sich noch immer einarbeite, nutzt er gern als Argument.

Spahn ist wie sein Parteichef überzeugt, dass erneuerbare Energien allein nicht ausreichen und dass Deutschland nicht genug Strom bekommen wird. »Wenn wir alles auf Strom umstellen, Industrie, Heizungen, Autos – dann muss mal jemand verlässlich darlegen, woher der ganze Strom denn kommen soll.« Spahn setzt dazu auf Wasserstoff, CCS und E-Fuels. Je nach Laune auch auf Atomkraft und Kernfusion.

E-Fuels allerdings brauchen zur Herstellung wiederum Strom, und zwar viel Strom, zudem sind Verbrennungsmotoren um ein Vielfaches ineffizienter als Elektromotoren. Wie also sollen andere Treibstoffe als Strom den Energiebedarf im Verkehrssektor dauerhaft senken? CCS braucht auch reichlich Energie, wird die Stromknappheit damit nicht verschärft? Und entpuppt sich der Traum von neuer Kerntechnik nicht als Illusion?

»Ich kann noch nicht abschließend sagen,
wie viel Prozent des Stroms 2040 aus Erneuerbaren kommen kann
und wie viel aus anderen Quellen kommen muss.«

Jens Spahn

Ach was, sagt Spahn: »Wir müssen offen sein für neue Technologien, mir ist das alles zu technologiefeindlich. Wir dürfen uns keine Wege zur Klimaneutralität verbauen: Vielleicht werden E-Fuels noch effizienter, vielleicht kommen neue Formen der Kernenergie schneller, vielleicht kann man dann sogar mal Kohle mit CCS verantwortbar klimaneutral machen, vielleicht führen wir in ein paar Jahren eine ganz andere Diskussion.«

Dann also konkret gefragt. Die Regierung will bis 2030 vier Fünftel des Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen, ab 2045 den gesamten. Was will die Union? »Es ist das Privileg der Opposition, dass man zweieinhalb Jahre vor der Wahl noch nicht für alles eine Erklärung liefern muss«, sagt Spahn. »Ich kann noch nicht abschließend sagen, wie viel Prozent des Stroms 2040 aus Erneuerbaren kommen kann und wie viel aus anderen Quellen kommen muss.«

Das immerhin ist entwaffnend ehrlich. Einen Plan also gibt es nicht, er soll erst bis zur nächsten Wahl vorliegen. Einstweilen genügt Regierungskritik. Spahns Zugang zum Klimaschutz ist eine Mischung aus Gelassenheit und Zukunftsvertrauen. Eine Passt-schon-und-wird-schon-Haltung, mit der er nicht allein ist.

Selbstlob aus Bayern

Ein Tag im vergangenen September, Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, steht im Plenum im Bundestag am Rednerpult und erklärt selbstbewusst: »An der Spitze der erneuerbaren Energien aller Bundesländer steht das Bundesland Freistaat Bayern. Erste Feststellung.« Das ist, gemessen an der installierten Leistung und in absoluten Zahlen, richtig.

Nur ist Bayern das flächengrößte Bundesland, das mit den zweitmeisten Einwohnern, eines der reichsten und eines mit viel Industrie und Stromverbrauch. In der Gesamtschau des Ausbaus von erneuerbaren Energien liegt Bayern nach verschiedenen Maßstäben tatsächlich im Mittelfeld. Rechnet man das Ziel, bundesweit zwei Prozent der Fläche für Windenergie zu nutzen, in installierte Leistung um, liegt der Freistaat sogar auf dem letzten Platz.

Der Ausbau von Windrädern war nach Einführung strenger Abstandsregeln massiv eingebrochen. Auch der Bau von Trassen, um Strom aus dem Norden nach Bayern zu transportieren, verschleppte die CSU-Landes­regierung lange, weshalb selbst die bayerische Industrie langsam nervös wird.

Klimaschützer und Verharmloser der Klimakrise in einer Partei

Merz, Spahn, Dobrindt und die anderen Führungskräfte der Union haben es nicht leicht. Sie stehen an der Spitze einer Partei, die überzeugte Klimaschützer und Verharmloser des menschengemachten Klimawandels in sich vereint – ebenso wie alle Positionen dazwischen.

Da ist der Landtagsabgeordnete aus Sachsen, der sagte: »Jedes zusätzliche Windrad im Land schwächt die Situation der Braunkohle.« Da ist die Berliner Landespolitikerin, die mit dem Slogan wirbt: »Wald wirklich schützen, keine Windräder.« Da ist die ehemalige Bundestagsabgeordnete, die Sätze des renommierten Klimaforschers und Ex-Beraters von Angela Merkel, Hans Joachim Schellnhuber, mit »Ökofaschismus« in Zusammenhang brachte.

Noch immer ist die CDU die politische Heimat von Milieus, in denen es üblich ist, die Energiewende für eine spinnerte Idee von ein paar verschreckten Ökos zu halten. Sie werden sich nur darauf einlassen, wenn die Union klarmacht, dass die Klimakrise auch für sie ein Menschheitsproblem ist. Stellt sich die Union der Verantwortung, die daraus erwächst?

Wiebke Winter wünscht sich das. Sie gehört zu den führenden Köpfen der Klimaunion, sitzt immerhin im Bundesvorstand der CDU und mahnt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, man müsse »an dem Ziel Klimaneutralität bis spätestens 2045 festhalten, um die Pariser Klimaziele einzuhalten«.

Natürlich solle man offen für andere Technologien bleiben und Forschung unterstützen, sagt sie. Aber sie sagt auch: »Vorrangig auf den Durchbruch bei der Kernkraft oder Kernfusion zu vertrauen ist eine Wette für die junge Generation, die ich persönlich nicht bereit bin mitzugehen.«

Winter und ihre Mitstreiter sind überzeugt, dass die Partei längst bereit ist für mehr. Dass sie die Rufe jener Unternehmer hört, die fürchten, dass Deutschland zu langsam für grünen Strom sorgt und sich abhängen lässt im Wettbewerb mit den USA oder China. Sie plädieren dafür, dass die CDU einfach nur im Bund wiederholen muss, was sie im Lokalen seit Jahrzehnten selbstverständlich tut.

Klimaneutraler Landkreis

Bertram Fleck, 73, zeigt im kleinen Örtchen Kirchberg im Rhein-Hunsrück-Kreis in Rheinland-Pfalz auf Haufen von Ästen, Blättern und Zweigen. Ein großer Teil davon wird nach dem Trocknen verbrannt. Mit der Wärme beheizt der Kreis nicht nur in Kirchberg mehr als 30 Schulen, Sporthallen und Seniorenwohnheime.

Fleck führt heute Besucher durch den Landkreis, dessen Bilanz für Wärme und Strom klimaneutral ist und der mehr als dreimal so viel Strom erzeugt, wie er verbraucht. Interessenten aus 83 Ländern waren schon da, erzählt Fleck, ehemaliger Landrat, 26 Jahre im Amt, CDU-Mitglied, ausgezeichnet mit dem Landesverdienstorden.

Anfangs konnten die Anwohner im Gemeindehaus ihre alten Glühbirnen gegen LED-Lampen austauschen, später Strom schluckende Kühlschränke. Der Kreis installierte Solarpaneele auf öffentlichen Gebäuden, stellte Windräder auf, baute ein Verwaltungsgebäude, das mehr Energie gewinnt, als es verbraucht: »Ein Windrad ist nicht links oder rechts oder grün«, sagt Fleck. »Für das Dorf bringt es Einnahmen, und es reduziert CO₂.«

Als Fleck 1989 Landrat wurde, leitete Klaus Töpfer seinen Kreisverband. Also jener Mann, der sich heute fragt, ob in der CDU noch Platz für ihn ist. »Wenn der erzählte, war das faszinierend. Da dachte ich, Menschenskinder, so einer in der CDU, das ist toll.« Noch heute habe er Kontakt zu Töpfer, erzählt Fleck und meint dann: »Den kann man anrufen. Ein Herr Merz könnte den auch anrufen.«

Nach dem Aufeinandertreffen bei der Konrad-­Adenauer-Stiftung muss man allerdings bezweifeln, dass Friedrich Merz darauf allzu große Lust hat. 

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