Donnerstag, 16. Februar 2023

"Abrechnung mit den "Fossilen"

 hier in der Süddeutschen Zeitung  12. Februar 2023  Von Cord Aschenbrenner

Das Politische Buch

Claudia Kemfert hat ein lehrreiches und kämpferisches Buch zur Energiewende geschrieben. Die Ökonomin wettert gegen die "Kräfte der Vergangenheit", den russischen Machthaber Putin und alle, die auf dessen billiges Erdgas hereinfielen.

Claudia Kemfert: Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und Frieden. Campus-Verlag, Frankfurt 2023. 310 Seiten, 26 Euro. E-Book: 23,99 Euro.

Es geht angemessen apokalyptisch los: "Der Showdown des fossilen Zeitalters beginnt. Die Kräfte der Vergangenheit kämpfen ihre letzte Schlacht gegen die Kräfte der Zukunft. Es kämpft Autokratie gegen Demokratie. Es kämpft die Tyrannei eines oligopolistischen Imperiums, dem es nur um eins geht, nämlich um sich selbst, gegen die Freiheit der Medien, der Wissenschaft, der Menschen. Es kämpfen Menschen, die wollen, dass die Welt ihnen gehört, gegen Menschen, die wollen, dass die Welt allen gehört. Es kämpft die Lüge gegen die Wahrheit."

Wäre dies die Untertitelung eines Filmvorspanns, hier müsste die Musik dramatisch anschwellen.

Darauf muss die kampferprobte Energieökonomin Claudia Kemfert in ihrem neuen Buch verzichten, aber Drama gibt es trotzdem genug. Kemfert, Abteilungsleiterin für Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung und zudem noch - neben zahlreichen weiteren Ämtern, die sie innehat - Buchautorin sowie ubiquitäre Kritikerin fossiler Energie und damit auch sogenannter Brückentechnologien wie Gas, nimmt den Angriff Russlands auf die Ukraine und dessen Folgen zum Anlass, mit "den Fossilen" (und einigen ihrer Verfechter) abzurechnen.

Abhängig vom "Monsterimperium"

Genau wie mit der deutschen Energiepolitik und -versorgung, die seit Jahrzehnten wider besseres Wissen und gegen den Widerstand der osteuropäischen Länder, aller US-Regierungen seit Obama (die gerne ihr Fracking-Gas verkauft hätten) und der Europäischen Union gemeinsame Sache mit dem "fossilen Monsterimperium" Russland machte, indem sie auf die Versorgung mit russischem Erdgas vorbei an lästigen Transitländern wie der Ukraine setzte - und sich damit gleichzeitig in die Abhängigkeit dieses Imperiums begab. Das war billig für die Verbraucher, höchst lukrativ für die Importeure, klimaschädlich war es auch und teuer und gefährlich für die Ukraine.

Im Sommer 2022 beendete Russland, ein halbes Jahr nach dem Überfall auf die Ukraine, den Fluss sibirischen Gases nach Deutschland durch die Nord-Stream-1-Leitung, deren Mehrheitseigner der russische Staatskonzern Gazprom ist. Die Inbetriebnahme der Zwillings-Pipeline Nord Stream 2 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz in letzter Minute, zwei Tage vor Kriegsbeginn, gestoppt. Seitdem ängstigen sich die Deutschen vor einer Unterversorgung mit Gas und vor ins Unermessliche steigenden Preisen für das plötzlich knappe Gut. Dass es so nicht sein müsste, hätte Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten weniger auf die Energiekonzerne und mehr auf die Wissenschaft gehört (und damit, kleine Eitelkeit am Rande, auch auf Claudia Kemfert), wird mehr als deutlich.

Was trieb Angela Merkel?

So legt Kemfert mit ihrem Werk zweifellos das Buch der Stunde vor, in dem sie nicht nur faktenreich die Genese der fatalen deutschen Abhängigkeit von russischem Gas nachzeichnet, sondern auch wieder und wieder betont, wie die "Kräfte der Vergangenheit" - siehe oben - , also etwa deutsche Energieunternehmen wie Eon, aber auch große Teile der politischen Klasse, sich vehement und über Jahre gegen eine Wende hin zu erneuerbaren Energien sperrten - die einen aus Profitgier, die anderen aus Kurzsichtigkeit, Ignoranz und Bequemlichkeit und - zumindest was Angela Merkel angeht - aus für Kemfert letztlich unerklärlichen Gründen. "Wollte sie nicht anders? Oder konnte sie nicht?", raunt fragend die Autorin.

Am Verständnis dessen, was aus klimapolitischen Erwägungen bereits zu Beginn von Merkels Amtszeit angebracht gewesen wäre, kann es kaum gelegen haben. Claudia Kemfert erklärt die Notwendigkeit einer Energiewende in einem "simplen Dreischritt", der überall verstanden werde: "Fossile Energien sind knapp. Fossile Energien sind klimaschädlich. Erneuerbare Energien sind unendlich vorhanden und gut fürs Klima."

Einfacher geht's nicht. Es gelingt der Verfasserin auf den 300 Seiten ihres Buches immer wieder, den Kern einer Sache freizulegen. Etwa die Erklärung, warum ein rasches Energieembargo gegen Russland im Frühjahr 2022 weder die deutsche Wirtschaft noch die Energieversorgung hätte zusammenbrechen lassen und warum dies ein "sehr souveräner Akt der Selbstverteidigung" gewesen wäre. Was ja durchaus keine Kemfert'sche Eigensinnigkeit ist, sondern eher wissenschaftlicher Konsens. Dem sich jedoch die Bundesregierung nicht anschloss, vielmehr unterlag sie den Einflüsterungen von Wirtschaft und Industrie. So, durchaus grimmig, stellt Kempfert dies dar und erlaubt damit einen Blick auf die Frustration von Wissenschaftlern, die nicht selten das Gefühl haben, ihre Expertise werde von der Politik zwar bestellt und entgegengenommen, dann aber ignoriert.

Hie und da üppige Selbstzitate

So ist dieses Buch die von Kampfgeist (den sogar das mitgelieferte Lesezeichen versprüht: " Die Lage ist verdammt ernst, aber nicht aussichtslos"), spürbarem Ärger, sogar Wut durchzogene Erzählung von der deutschen Gasabhängigkeit und der fahrlässig verpassten Energiewende - Ärger auf die bräsigen deutschen Regierungen, die es sich mit dem reichlich fließenden Gas aus Russland bequem machten, Wut auf den brutalen Autokraten Putin. Aufgelockert wird dies durch eine Mischung aus persönlicher Erinnerung, ein wenig Minister- und Koryphäen-Namedropping und bisweilen etwas üppigen Selbstzitaten, wenn Kemfert aus diesem Blog, jenem Podcast und nicht zu vergessen noch diesem Interview mit sich selbst zitiert - immerhin dient es stets ihrer Argumentation und ist nicht Selbstzweck.

Alles in allem: ein lehrreiches, direktes und sogar unterhaltsames Buch, geschrieben für Ottilie und Otto Normalgasverbraucher, die längst ahnen und nun erfahren, in welche Abhängigkeiten sich Deutschland begeben hat und dass es jetzt wirklich dringend Zeit wird für die viel besungene Energiewende.

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