Sie wolle den Neubau von Straßen nicht generell verhindern, sagt Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im SPIEGEL-Gespräch Aber dafür die Standards im Umwelt- und Gesundheitsschutz abzubauen, hielte sie für falsch, »ich habe hier eine Kontroverse mit dem Bundesverkehrsminister«.
Mit diesem Streit endet das erste volle Jahr der Ampelkoalition: Volker Wissing und seine FDP wollen die mit schwimmenden Erdgasterminals eingeführte »Deutschlandgeschwindigkeit« nicht nur auf Schienen und Wasserwege übertragen, auf die Reparatur von Straßen und Brücken – sondern auch für ganz neue Straßen und Autobahnen den Verwaltungs- und Rechtsweg abkürzen. Die Grünen finden das unmöglich. Beide Seiten berufen sich auf den Koalitionsvertrag.
Das Verkehrsministerium beruft sich zudem auf den Bundesverkehrswegeplan. Darin stehen etliche umstrittene Autobahnprojekte wie die A100 in Berlin oder die A20 durch Schleswig-Holstein und Niedersachsen. 46 Straßenbauvorhaben listet der Entwurf für ein Beschleunigungsgesetz auf. Der Gesamtplan wurde doch schon vom Bundestag beschlossen, warum sollte man die wichtigsten Elemente nicht so schnell wie möglich umsetzen?
Tja, warum nicht – vielleicht wegen der Klimaziele, die vor allem im Verkehrssektor unerreichbar scheinen ? Die spielen im Bundesverkehrswegeplan 2030 noch keine Rolle, weil er aus einer anderen Zeit stammt.
Vom politischen Beschluss bis zur fertigen Autobahn, Brücke oder Bahnstrecke vergehen mitunter Jahrzehnte. Der Bundesverkehrswegeplan soll solche Horizonte überblicken, um die Infrastruktur langfristig zu entwickeln. Die aktuelle Fassung trägt das Jahr 2030 im Titel, aber gearbeitet wurde daran seit 2011. Mehr als tausend Projekte sieht das Werk vor, nach damaliger Schätzung für fast 270 Milliarden Euro – davon entfallen 49,3 Prozent auf die Straße und 41,6 Prozent auf die Schiene.Der Bundestag beschloss das Dokument nach mehreren Verzögerungen im Dezember 2016 – in der vorletzten Wahlperiode. Das war, bevor die Große Koalition ein Klimaschutzgesetz beschloss; bevor sie es verschärfte, nachdem das Bundesverfassungsgericht ein Gebot zum Klimaschutz aus dem Grundgesetz ableitete; bevor die Ampelkoalition als Klimaregierung mit dem Anspruch »Schiene vor Straße« antrat. Ein Moratorium, also ein Planungs- und Baustopp für neue Autobahnen und Bundesstraßen wäre laut einem Rechtsgutachten im Auftrag des Naturschutzbundes Nabu verfassungsrechtlich »geboten«. »Es kann nicht sein, dass wir einfach weiter Infrastruktur für eine Zukunft bauen, von der wir weg müssen«, sagt Marissa Reiserer von Greenpeace.
Der Bau selbst sorgt schon für erhebliche Emissionen – für die Schieneninfrastruktur sogar etwas mehr als für Straßen, auf den Personenkilometer umgerechnet. Doch für die Emissionen von Anfang bis Ende fällt der Betrieb viel stärker ins Gewicht als der Bau. Es geht darum, wie Autos, Busse und Bahnen angetrieben werden, wie weit sie fahren und mit wie vielen Insassen sie besetzt sind. Es geht um die Materialien, aus denen sie hergestellt, wie sie entsorgt werden. Die Gesamtbilanz spricht laut Studien klar für den öffentlichen Verkehr. Der ist Autos und Motorrädern im Nahverkehr um den Faktor zwei bis drei überlegen, im Fernverkehr sogar um Faktor vier bis fünf.
Der Bundesverkehrswegeplan lässt aber wenig Raum für Grundsatzentscheidungen über die Wahl der geeigneten Verkehrsmittel. Das Leitmotiv heißt, die erwartete Nachfrage für wachsenden Verkehr zu bedienen. »Es wird davon ausgegangen, dass man sich darauf einzustellen habe, dass der Bedarf an Straßen steigt – obwohl die Politik möchte, dass der Anteil des motorisierten Verkehrs am Gesamtverkehr sinkt«, sagt Stefan Klinski, Professor für Umweltrecht in Berlin. Klinski schlägt eine gesonderte Klimaschutzprüfung für Infrastrukturprojekte vor, so, wie es bereits Prüfungen für den Umwelt- und Naturschutz und für städtebauliche Ziele gibt – Planungsbremse statt Planungsbeschleunigung.
Monolog statt Dialog
Ihre Hoffnung setzten Verkehrs- und Umweltverbände auf ein Versprechen im Ampel-Koalitionsvertrag: Ein »Infrastrukturkonsens« solle im Dialog gefunden werden, »mit dem Ziel einer Verständigung über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden Bundesverkehrswegeplans«. Über laufende Projekte werde man sich abstimmen. Anfang Dezember begann dieser Prozess – mit Unmut der beteiligten Verbände: Wissings Ministerium münze den Dialog auf den nächsten Verkehrswegeplan bis 2040, nicht wie versprochen auf den aktuellen.
So verstreiche die Zeit, um die aktuelle Infrastrukturplanung mit den Klimazielen in Einklang zu bringen, kritisiert Greenpeace. »Wir haben gar keinen Dialog wahrgenommen, sondern einen Monolog der Ministeriumsvertreter«, sagt Marissa Reiserer, die für Greenpeace an der ersten Sitzung teilnahm. Wenn es weiter nicht um die aktuellen Projekte gehe, werde man überlegen, ob es überhaupt Sinn ergebe, weiter am Prozess teilzunehmen. »Plaudereien, die einen Klimaschutz im Verkehr weiter verzögern, gehen einfach nicht.«
Verrechnet: Bilanz der Bahn hilft der Straße
Es ist nicht so, dass im Bundesverkehrswegeplan gar nichts vom Klima stehe. Die Treibhausgasbilanz der Projekte wurde kalkuliert – als einer unter mehreren Faktoren einer Nutzen-Kosten-Analyse, die berechnen soll, ob ein Projekt der Gesellschaft mehr nutzt als schadet. Gewonnene Reisezeit, vermiedene Unfallschäden, Folgen der CO₂-Emissionen: Alles wird in Geld umgerechnet und mit den Baukosten verglichen.
Laut der Kalkulation bringt der gesamte Plan sogar einen positiven Klimabeitrag – wenn auch einen geringen. Unterm Strich würden alle Projekte zusammen eine Minderung von 0,4 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr und damit einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 0,3 Milliarden Euro bringen, steht in dem Dokument. »Der Einfluss von Erhalt und Ausbau von Verkehrsinfrastruktur im Bemühen um deutliche Reduktionen von Treibhausgasen ist daher sehr begrenzt.« Also eigentlich egal.
Allerdings wurden für dieses Ergebnis die negativen Beiträge der neuen Straßen (gut vier Millionen Tonnen Treibhausgase zusätzlich) mit den positiven Beiträgen der neuen Schienen und Wasserstraßen verrechnet (fast fünf Millionen Tonnen Treibhausgase vermieden). Und am Ende sei ohnehin mit einem CO₂-Ausstoß des deutschen Verkehrs von rund 190 Millionen Tonnen im Jahr 2030 zu rechnen. Aktuell gilt jedoch ein Ziel von 85 Millionen Tonnen.
Mittlerweile fragen sich Verkehrsplanende selbst, ob dieses Vorgehen so viel Sinn ergibt.
»Es besteht eine ganz grundsätzliche Diskussion, wie aussagekräftig es überhaupt ist, diese Wirkungen zu monetarisieren«, sagt der Ingenieur Stefan Balla, der mit seinem früheren Büro auch an Gutachten für den Bundesverkehrswegeplan 2030 beteiligt war. Aus heutiger Sicht besonders kritisch: Der CO₂-Faktor kommt vielen zu kurz, er wird sowieso nur als einer unter mehreren Schadstoffen betrachtet. »Treibhausgas-Emissionen gehen in der Berechnung unter«, sagt Umweltrechtler Klinski. »Und zwar deswegen, weil die Nutzenfaktoren, wie die kürzere Reisezeit, sehr stark bewertet werden. Überbewertet, würde ich sagen.«
Wer Straßen sät, erntet mehr Verkehr
Wird also ein höherer Treibhausgas-Ausstoß gegen kürzere Autofahrten getauscht? Der Bundesverkehrswegeplan selbst sieht teils »gegenläufige Effekte«: Einerseits entstünden mehr Emissionen, wenn durch zusätzliche Straßen mehr Verkehr ermöglicht werde. Anderseits würden aber auch Emissionen eingespart, wenn Engpässe im Straßennetz beseitigt würden und weniger Stau oder Stop-and-go-Verkehr entstehe. Das sei »Quatsch«, sagt Greenpeace-Aktivistin Reiserer: »Aus Studien weiß man, dass durch bessere Infrastruktur die täglichen Reisezeiten nicht kürzer werden. Die Leute fahren einfach weitere Strecken.« Die Verkehrsforschung hat ein geflügeltes Wort für diesen Effekt: Wer mehr Straßen sät, der erntet mehr Verkehr.
»Grundsätzlich sollten Bund und Länder
keinen Straßenneubau mehr unterstützen.«
Umweltbundesamt, 2010
Die Frage, wie hoch dieser sogenannte »induzierte Verkehr« ist und ob am Ende gar keine Reisezeit gewonnen wird, lässt sich pauschal schwer beantworten. Doch die Konsequenz aus dieser Beobachtung ist eigentlich altbekannt: keine weiteren Straßen mehr. Schon 2010 empfahl das Umweltbundesamt in einer Studie: Bund und Länder sollten grundsätzlich »keinen Straßenneubau mehr unterstützen«, sondern die vorhandene Infrastruktur erhalten und effizienter nutzen. Die Devise »Erhalt vor Aus- und Neubau« ist auch im geltenden Bundesverkehrswegeplan verankert und im Koalitionsvertrag verabredet. Nur manche Neubauten geistern weiterhin durch die Debatte – als Relikte aus vergangenen Zeiten.
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