Sonntag, 5. Februar 2023

Pläne des Verkehrsministers: breitere Autobahnen für 30 Milliarden Euro

 RND hier    03.02.2023

Autobahnen und Klimaschutz

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will in den nächsten Jahren mindestens 30 Milliarden Euro für die Verbreiterung von Autobahnen auf sechs, acht und zehn Spuren und für den Ausbau von Knotenpunkten ausgeben. Das geht aus einer Analyse der Umweltorganisation BUND hervor, die dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) vorliegt.

Es handele sich dabei um 115 Vorhaben zur sogenannten Engpassbeseitigung, die im Bundesverkehrs­wegeplan (BVWP) als „vordringlicher Bedarf“ und „fest disponierte Projekte“ kategorisiert seien – mit einer Streckenlänge von rund 1300 Kilometern. Für diese will der Minister in der Bundesregierung ein „überragendes öffentliches Interesse“ durchsetzen. Das würde beschleunigte Genehmigungs­verfahren bringen, bei denen unter anderem Güterabwägungen und Prüfungen von natur- und klimafreundlichen Alternativen wegfallen.

Ende Januar hatte der Koalitionsausschuss der Ampel getagt und über den Vorstoß des Verkehrsministeriums verhandelt. Eine Einigung konnte zunächst nicht erzielt werden. Vor allem die Grünen lehnen einen weiteren Autobahnbau ab. In Medienberichten war von insgesamt 144 Projekten die Rede. Die Expertinnen und Experten des BUND gehen deshalb davon aus, dass möglicherweise weitere Vorhaben hinzugefügt oder Projekte neu zugeschnitten wurden.

80 Naturschutzgebiete sind bedroht

Die Auswertungen der Umweltorganisation, die auf Daten des Informationssystems zum BVWP beruhen, ergeben, dass allein durch den Ausbau selbst und den nachfolgenden Betrieb in der Kategorie „vordinglicher Bedarf“ jedes Jahr zusätzlich mindestens 410.500 Tonnen CO₂ in die Luft geblasen werden. Dabei handele es sich „um das absolute Minimum“, da die Emissionen, die durch die Bauarbeiten entstehen, „nicht umfänglich“ abgebildet würden. Zudem würden große Teile des sogenannten induzierten Verkehrs vernachlässigt. Dabei handelt es sich um einen Effekt, der in vielen Studien nachgewiesen wurde: Ein Ausbau von Straßen macht die Nutzung des Pkw und den Gütertransport mittels Lkw attraktiver und erzeugt damit zusätzlichen Verkehr.

Der BUND verweist dabei auf Auswertungen der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages.
Der Effekt des induzierten Verkehrs sei insbesondere dort zu beobachten, wo bereits heute ein erhöhtes Verkehrsaufkommen vorherrsche, heißt es in der Analyse. Ferner würden wertvolle Naturräume in Mitleidenschaft gezogen. BUND-Chef Olaf Bandt betont: „Der Autobahnausbau würde über 80 ökologisch wertvolle Naturschutz­gebiete zerstören.“ Zugleich würden mit der Engpass­beseitigung aber keine Staus verhindert werden.

Denkfabrik sieht massive Mängel im Verkehrswegeplan

Der BUND-Vorsitzende macht zudem darauf aufmerksam, dass die Umsetzung der Vorhaben nicht nur Milliarden Euro verschlingen, sondern auch Planungs­kapazitäten binden würde, die „man dringend für den Erhalt bestehender Brücken, Straßen oder für Verbesserungen im Schienennetz“ brauche. Wenn Wissing tatsächlich Staus verhindern wolle, müsse er auf den Aus- und Neubau von Autobahnen und Bundesstraßen verzichten. Den Bundesverkehrs­wegeplan hält Bandt in seiner jetzigen Form für ein untaugliches Mittel: „Um die Klimaziele zu erreichen, dürfen zukünftig nur noch Verkehrsprojekte umgesetzt werden, welche nachweislich den Ausstoß von Klimagasen verringern.“

Auch die Denkfabrik Agora Verkehrswende attestiert dem BVWP, der insgesamt weit mehr als 1000 Projekte für den Zeitraum 2016 bis 2030 auflistet, in einer aktuellen Studie massive Defizite. „Erst den Kurs auf Klimaschutz ausrichten, dann den Turbo einlegen – das sollte bei der Planung von Straßen, Schienen und Wasserwegen gelten“, so Urs Maier, Projektleiter Energie und Infrastruktur bei Agora. Es sei nicht mehr zeitgemäß und angemessen, die Planung der Verkehrs­infrastruktur auf dieser Grundlage zu beschleunigen. Der BVWP hat ein Gesamtvolumen von mindestens 270 Milliarden Euro.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es vor allem an einer an politischen Zielen orientierten Strategie für die Entwicklung der Verkehrsnetze mangele. Die Prognose für das Jahr 2030 schreibe bestehende Trends fort und gehe von einem immer weiter steigenden Verkehrsaufkommen aus. Eine negative CO₂-Bilanz von Straßenprojekten werde dabei in Kauf genommen. Ferner sei die Finanzierung der zahlreichen Projekte nicht gewährleistet.


Auszüge aus BR  hier  Von   2.2.23

Koalitionsstreit Autobahnausbau: Wissing baut eigene Wege

Im Koalitionsstreit um den Ausbau von Autobahnen ist eine brisante Liste aufgetaucht. Der Bundesverkehrsminister will 144 Autobahnabschnitte beschleunigt ausbauen. ....

Experte: "Die Zeiten des Autobahnausbaus sind vorbei"

"Die Zeiten des Autobahnausbaus sind vorbei", findet der Verkehrsforscher Professor Klaus Bogenberger von der TU München. An einigen Stellen mag es tatsächlich Engpässe geben, so Bogenberger. Jedoch könnte man aus der bestehenden Infrastruktur noch viel rausholen.

Also lieber gut erhalten statt erneuern, schlägt Bogenberger vor. Eine Instandsetzung alleine reiche nicht aus, so die Argumentation des Verkehrsministeriums. Mit dem Ausbau sollen Knotenpunkte entlastet werden. Doch führt mehr Straße wirklich zu einer Stau-Entlastung?

Verkehrsforschung: Mehr Straße führt zu mehr Autos

Die Verkehrsforschung sagt: Mehr Straße führt grundsätzlich nicht zu einer Stau-Entlastung, sondern dazu, dass immer mehr Autos auf der Straße unterwegs sind. "Das ist nachgewiesen", bestätigt Professor Bogenberger.

Hinzu komme: Die Produktion von Zement und die Flächenversiegelung seien extrem umweltschädigend. Bogenberger plädiert dafür, das Schienennetz massiv auszubauen.

Bundesverkehrsministerium bestätigt beschleunigten Ausbau

Josef Seebacher von der Autobahndirektion Südbayern entgegnet: Mehr Autos durch mehr Straße, das sei durchaus gewollt: "Um Regionen zu erschließen und wirtschaftlich zu fördern."

Das Bundesverkehrsministerium bestätigte die geplanten Beschleunigungsverfahren, wollte sich aber zu einzelnen Projekten nicht äußern.

Der Miesbacher Bundestagsabgeordnete Karl Bär (B'90/Die Grünen) hat ausgerechnet: Der Ausbau würde nicht nur extrem teuer werden, sondern er würde auch viel Fläche "fressen". Nämlich achtzig Hektar. "Das ist mehr als zwei durchschnittliche bayerische Bauernhöfe", betont der Grünen-Politiker – und das an Stellen, wo es ohnehin kaum mehr Flächen gibt. Der Irschenberger Bürgermeister Klaus Meixner (CSU) rechnet mit mindestens zehn Jahren Bauzeit und wenig Mehrwert für den Ort. "Ich würde bezweifeln, dass der Ausbau eine Erleichterung bringt, dann sind halt vier Spuren voll."

Wissing: Güterverkehr nur mit Straßenausbau zu bewältigen

Gegenüber BR24 bestätigt das Bundesverkehrsministerium, dass ein Gesetzentwurf zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren erarbeitet wurde. Der zunehmende Güterverkehr sei Wissing zufolge nur mit einem Ausbau von Straßen zu bewältigen. Zu einzelnen Projekten wollte sich das Ministerium nicht äußern.


RND hier  Frank-Thomas Wenzel  24.01.2023

Rechtliche Lage eindeutig

Autobahnbau: Warum Umweltschützer jetzt die Bundesregierung verklagen

Der BUND zieht wegen Missachtung der Klimaziele vor Gericht. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) steht im Fokus der Kritik. Die Deutsche Umwelthilfe nennt seinen Vorstoß für einen schnelleren Auto­bahnbau Humbug.

Die Bundesregierung verstößt gegen ihre eigenen Klimaschutzziele. Deshalb zieht jetzt die Umwelt­organi­sation BUND vor Gericht. Die Klage richtet sich vor allem gegen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Aber auch für den Wärmesektor sind gesetzlich vorgeschriebene Sofortprogramme zum Schutz des Klimas bislang Fehlanzeige. Bei der Sitzung des Koalitionsausschusses am Donnerstag stehen die Themen auf der Agenda.

BUND-Chef Olaf Bandt nimmt nicht nur Wissing, sondern auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), Bauministerin Klara Geywitz (SPD) und Robert Habeck (Wirtschafts- und Klimaschutzminister, Grüne) in Haftung. Das Quartett schaffe es nicht, das Land auf Klimakurs zu bringen, und breche damit das deutsche Klimaschutzgesetz (KSG). Wenn die Regierung nicht fähig oder willens sei, müsse sie gerichtlich dazu verpflichtet werden. Die Klage wurde vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht.

Stagnation im Verkehrssektor

Tatsächlich ist die rechtliche Lage relativ eindeutig. Das Verfassungsgericht hat den Bund schon 2021 dazu verpflichtet, die Vorgaben des Pariser Abkommens (maximal 1,5 Grad Erderwärmung) einzuhalten. Dies kann nur erreicht werden, wenn in den einzelnen Sektoren Emissionen jährlich heruntergefahren werden. Im Verkehr und bei den Gebäuden (Wärme) war das im Jahr 2021 nicht der Fall. Das wird mit sehr großer Wahr­scheinlichkeit auch für 2022 gelten.

Laut KSG müssen deshalb schnellstmöglich Sofortprogramme beschlossen werden. Doch die Regierung habe noch nicht einmal Entwürfe mit hinreichenden Maßnahmen vorgelegt, so der BUND-Vorsitzende. Der Kanzler müsse nun ein Machtwort sprechen.

Dass der BUND seine Klage nun einreicht, dürfte kein Zufall sein. Am Donnerstag tagt der Koalitionsausschuss der Ampel. Die Sitzung wird von Beobachtern als enorm wichtig für die weitere Klimapolitik angesehen. Im Fokus dürfte Wissing stehen. Er will durchsetzen, dass der Bau von Autobahnen als „überragendes öffent­liches Interesse“ deklariert wird und der Wahrung der öffentlichen Sicherheit dient. Kommt er damit durch, könnten Genehmigungsverfahren beschleunigt und der Naturschutz hintangestellt werden.

Erhalten statt neu bauen

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert die Ampel auf, Wissings Pläne zurückzuweisen. Sein Vorstoß sei „vollkommener Humbug“, betont DUH‑Chef Jürgen Resch. Die öffentliche Sicherheit sei vielmehr durch die Folgen der Klimakrise wie Überschwemmungen und Waldbrände bedroht. Beschleunigte Planungen seien für den Aus- und Neubau sowie für die Elektrifizierung der Schienenwege nötig. Zudem müssten Eisenbahn­brücken saniert werden.

Das überragende öffentliche Interesse war im vorigen Jahr für den Ausbau der erneuerbaren Energien auf Initiative von Habeck festgelegt worden. Der Vorstoß des Verkehrsministers wird von Insidern als eine Art Retourkutsche gewertet.

Eine maßgebliche Gegenspielerin Wissings dürfte bei der Sitzung des Koalitionsausschusses Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sein. Sie sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, man habe zu lange auf den Verkehrs­träger Straße gesetzt. Das führe dazu, dass es jetzt eine Ertüchtigung und Modernisierung des vorhandenen Netzes brauche und nicht eine Konzentration auf Neubauten. Deutschland hat hinter Japan das zweit­dichteste Straßennetz der Welt. Lemke: „Es macht keinen Sinn, irgendwo neu zu bauen und den Wald abzuholzen, während daneben das vorhandene Straßensystem zerbröselt.“

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