NDR hier Stand: 23.02.23
Es war einer der größte Einsätze der Kieler Feuerwehren seit Jahrzehnten: 2009 brannte eine Abfüllanlage für Paraffin am Ufer des Nord-Ostsee-Kanals, mehrere Tanks waren explodiert. Das Feuer wurde gelöscht, doch der Löschschaum, der damals eingesetzt worden ist, war wohl giftig: Das zeigen Bodenproben, die ein Panorama-Reporter unlängst an der Stelle des Brandes genommen hat. Das Ergebnis der Labor-Analyse des Fraunhofer-Instituts: Der Boden könnte mit PFAS verseucht sein, auch noch knapp 14 Jahre nach dem Brand. Die Chemikalien steckten offenbar im Löschschaum. Weitere Testungen sind wohl notwendig.
Film auf NDR-Seite abrufbarWenn PFAS einmal in die Umwelt gelangt, dann bleibt es dort
Bei den sogenannten PFAS, per- und polyflourierte Chemikalien, handelt es sich eine Gruppe von mehr als 10.000 künstlich hergestellten Stoffen. PFAS sind wasser-, fett- und schmutzabweisend und werden fast überall eingesetzt: Nicht nur in Löschschaum, sondern auch in Regenjacken und beschichteten Pfannen, in Kettenfett, Zahnseide, Burgerpapier, Kosmetik oder Ski-Wachs. Die Stoffe kommen in der Natur nicht vor und können weder durch Wasser, noch durch Licht oder Bakterien zeitnah abgebaut werden.
Das heißt: Je mehr PFAS produziert werden und in die Umwelt gelangen, desto mehr reichern sie sich an, und könnten Tiere und Menschen krank machen. Es wird verdächtigt, Krebs zu verursachen, unfruchtbar zu machen und das Immunsystem zu schwächen. Und wenn es einmal in die Umwelt gelangt, dann bleibt es dort. Für sehr lange Zeit.
2.000 Hotspots mit erheblichen Gefahren für die menschliche Gesundheit
Bislang wird in der Öffentlichkeit vor allem über einige wenige PFAS-Hotspots diskutiert. Über Felder in Rastatt in Baden-Württemberg etwa, auf denen mutmaßlich belasteter Papierschlamm verteilt wurde. Oder über den Düsseldorfer Flughafen, wo bei einem Großbrand PFAS-haltiger Löschschaum in Boden und Grundwasser floss.
Nun haben Panorama-Reporterinnen und Reporter gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" erstmals für Deutschland mehr als 1.500 mit PFAS verschmutzte Orte gefunden, darunter mehr als 300 Hotspots. Und mit 18 europäischen Partnermedien haben sie im "Forever Pollution Project" in ganz Europa mehr als 17.000 Orte mit relevanter PFAS-Verschmutzung lokalisiert, darunter gut 2.000 Hotspots mit erheblichen Gefahren für die menschliche Gesundheit.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90 / Die Grünen) nennt den Umfang der Schadensfälle im Interview mit Panorama "erschreckend" - auch, weil eine Sanierung bei PFAS "fast nicht möglich" sei. "Und deshalb ist das ein so großes Problem und deshalb müssen wir dazu kommen, dass wir sie einschränken."
Fünf EU-Staaten, darunter auch Deutschland, haben vor gut zwei Wochen vorgeschlagen, die gefährlichen Stoffe nach einer Übergangsfrist ganz überwiegend zu verbieten. Lemke betont, dass die ganze Stoffgruppe der PFAS grundsätzlich überprüft und die gefährlichen Stoffe verboten werden müssten, "weil wir uns nicht leisten können, sie weiter in diesem Umfang in die Umwelt zu entlassen - mit teilweise unbekannten Folgen, aber der Sicherheit, dass sie uns Jahrzehnte oder Jahrhunderte begleiten werden."
Verseuchung verursacht astronomische Kosten
Die Kosten für eine Sanierung dieser flächendeckenden Verseuchung sind astronomisch. Eine Studie des Nordischen Ministerrates schätzt die Kosten allein für Europa auf 17 Milliarden Dollar. Die jährlichen Kosten für die Behandlung der gesundheitlichen Folgen in Europa liegen der Studie zufolge sogar noch höher. In Deutschland haben Behörden bisher bei den allerwenigsten Schadensfällen überhaupt mit einer Sanierung begonnen. 2020 schrieb die Bundesregierung, dass bei weniger als einem Prozent aller PFAS-Verdachtsfälle die Sanierung abgeschlossen sei.
Bevölkerung nicht immer informiert
In vielen der zusammengetragenen Fälle haben die Behörden offenbar nicht einmal die Bevölkerung vor Ort informiert. So sind im Hamburger Altlastenkataster etwa 50 mit PFAS belastete Flächen erfasst, informiert wurde bisher offenbar noch kein einziger Anwohner. "Es gab bisher keine relevante Gefährdung oder direkte Betroffenheit von Bürger*innen durch PFAS kontaminierte Flächen, die eine solche Informationspflicht ausgelöst hätte", schreibt die Stadt auf Anfrage.
Wo die Bevölkerung in der Vergangenheit informiert wurde, geschah dies über Pressemitteilungen auf Internetseiten der Behörden oder Flyer in Briefkästen. Zu schwereren Kontaminationen fanden vereinzelt auch Informationsveranstaltungen statt, etwa in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bremen. Mecklenburg-Vorpommern schreibt, es werde "kein PFAS-Monitoring durchgeführt. Demnach erfolgt auch keine Information der Bürger."
Forever Pollution Project: Mehr als 20.000 Orte identifiziert
Dabei gäbe es genügend Orte, an denen Behörden auch in Deutschland nach PFAS suchen könnten. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen lassen etwa vermuten, dass in der Nähe von bestimmten Industrie-Standorten die Gewässer und Böden mit PFAS verunreinigt sein könnten. In verschiedenen US-Staaten und in Frankreich suchen Behörden deshalb in der Nähe solcher Standorte ganz gezielt nach PFAS-Rückständen. In Deutschland wird das bislang nicht systematisch so gemacht. Nur einzelne Behörden, wie etwa das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW, testen regelmäßig in der Nähe solcher Standorte auf PFAS-Rückstände im Wasser.
Das Rechercheteam hat deshalb die in den USA und Frankreich genutzten Kriterien soweit möglich auf Deutschland übertragen. Dadurch haben die Reporter mehrere hundert Orte identifiziert, an denen Boden oder Grundwasser ebenfalls verschmutzt sein könnten. An diesen Stellen haben häufig noch keine Messungen stattgefunden. In ganz Europa hat das "Forever Pollution Project" sogar insgesamt mehr als 20.000 solcher möglicherweise verunreinigter Orte identifiziert.
Auch bei uns in der Region gibt es belastete GebieteIn Deutschland kaum Orte auf PFAS geprüft
Dazu gehören zahlreiche Flughäfen und Militärstandorte, auf denen in der Vergangenheit PFAS-haltiger Löschschaum eingesetzt wurde. Betroffen sind auch Kläranlagen und Deponien, in denen sich PFAS-haltige Abwässer und Gegenstände sammeln - denn bislang ist es selbst mit besonders teuren Verfahren nur schwer möglich, die Giftstoffe herauszufiltern oder zu verbrennen. Dazu kommen Industrien, die teilweise PFAS einsetzen oder mit PFAS kontaminierte Rohstoffe verwenden, wie die Textilindustrie, die Metallveredelung oder Altpapier verarbeitende Betriebe.
Entscheidung über PFAS-Verbot frühestens 2025
Dass PFAS giftig sein könnten, wusste der wichtigste Hersteller dieser Chemikalien schon seit den 1960er-Jahren. Damals entdeckte der Chemieriese DuPont, dass PFAS bei Ratten und Hasen die Leber vergrößerte. Einige Jahre später zeigten Tests, dass sich die Stoffe im Blut der Mitarbeiter anreicherten. Seit langem stehen verschiedene PFAS-Stoffe in Verdacht, Krebs zu verursachen, unfruchtbar zu machen, zur Fettleibigkeit und zu Immunschwächen bei Kindern beizutragen. Trotzdem gibt es bis heute in Deutschland keine Regeln, die den Gebrauch und die Entsorgung von PFAS systematisch begrenzen.
Vor gut zwei Wochen hat nun die zuständige EU-Behörde ECHA den Vorschlag von fünf Ländern vorgestellt, die gesamte Stoffgruppe der PFAS ganz überwiegend zu verbieten. Bislang sind nur zwei Stoffe der Gruppe verboten, PFOS und PFOA. Die insgesamt mehr als 10.000 Stoffe sollen - mit einer Übergangsfrist von wenigen Jahren - nicht mehr verwendet werden dürfen. Eine Entscheidung über das PFAS-Verbot wird wohl im Jahr 2025 fallen.
Mehr dazu: Auszüge aus dem Bericht
Wie Bayer, BASF & Co für PFAS lobbyieren hier
Erstmals könnte die EU eine ganze Stoffgruppe mit mehr als 10.000 Chemikalien verbieten. Entsprechend massiv ist der Widerstand: Laut NDR, WDR und SZ kämpfen mehr als 100 Industrieorganisationen dagegen - mit teils fragwürdigen Argumenten. | extern
Industrie finanziert Studien
Der Verband pro-K hat dazu Fakten zusammengetragen, Berichte verfasst und diese an die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin BauA übergeben, die als deutsche Behörde an der EU-Regulierung beteiligt ist. Außerdem beruft er sich, wie andere Industrieverbände auch, auf Studien zu Fluorpolymeren, die in wissenschaftlichen Magazinen veröffentlicht wurden - allerdings unter anderem finanziert von Unternehmen der PFAS-Branche wie Chemours, W. L. Gore und Japans AGC.
Die proklamierte Unbedenklichkeit der Fluorkunststoffe sei "eine Mär", sagt hingegen Martin Scheringer, Umweltchemiker an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und seit mehr als 15 Jahren mit dem PFAS-Thema befasst. Vor allem wegen der "Riesenprobleme bei Produktion und Entsorgung”.
Die Branche hält dagegen: Die meisten Fluorkunststoffe ließen sich heute mit fluorfreien Hilfsmitteln herstellen, berichtet etwa Schlipf. Unvermeidbare PFAS-Emissionen könnten komplett in den Fabriken gehalten und Abfälle über Rücknahmesysteme wieder in die Prozesse zurückgeschleust oder in Verbrennungsanlagen zerlegt werden.
Der PFAS-Experte Scheringer würde sich darauf allerdings lieber nicht verlassen. "Bisher ist es doch sehr oft so gelaufen: Selbst wenn ein echtes Verbot drohte, ist die Industrie nicht auf erwiesenermaßen harmlose Substanzen umgestiegen, sondern auf ähnliche, unregulierte Vertreter der gleichen Stoffklasse, die eben auch nicht unbedingt weniger schädlich sind."
Auch ein weiteres Argument der PFAS-Industrie, die Stoffe seien unersetzbar, lässt der Chemiker nicht gelten. In den "allermeisten Konsumentenprodukten” seien die Fluorchemikalien verzicht- oder sofort ersetzbar. Bei Industrieanwendungen gebe es Graubereiche, etwa in der Medizin oder bei der Halbleiterproduktion, wo eine Umstellung schwierig sein könne.
Auch der europäische Verband Plastics Europe kämpft weiter gegen ein Verbot der ganzen Stoffgruppe. Kürzlich fand dazu ein Webinar für Stakeholder statt. Das Ziel: Fallstudien zu sammeln, zur Illustration der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Fluorkunststoffe.
Ein zweites virtuelles Treffen im März 2023 ist schon geplant. Dann startet auch die öffentliche Konsultation, in der Bürger, Organisationen und Industrievertreter zur Regulierung von PFAS Stellung nehmen können. Wie die Beschränkung von PFAS am Ende aussehen kann, bleibt abzuwarten.
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