Freitag, 17. Februar 2023

Technische Innovationen: Die Erfindung des Alten

 hier in der Zeit  Von Nils Markwardt  3. Februar 2023


Ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft legen viele Menschen nur noch in technische Erfindungen. Dabei schaffen die oft keine neue Welt, sondern erhalten die alte.

In der Serie "Politisch motiviert" ergründen unsere Autorinnen und Autoren politische Themen der Woche. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 05/2023.

Dass die Welt absehbar zu einem angenehmeren Ort wird, mag kaum noch jemand glauben. Dafür läuft das Klima zu heiß, kommen die Kriege zu nah, drehen sich die alltäglichen Hamsterräder zu schnell. Nur in einem gesellschaftlichen Bereich hat sich die utopische Energie gehalten: Technologie. Ob Kernfusion, Elektromobilität oder künstliche Intelligenz – hier ist das Neue für viele noch Verheißung, eine potenzielle Lösung zivilisatorischer Probleme.

Technologie ist seit je der Dynamo moderner Fortschrittsversprechen. Von Henry Fords Traum des totalen Individualverkehrs über Lenins Diktum vom Kommunismus als "Sowjetmacht plus Elektrifizierung" bis zu Elon Musks Vision eines dekarbonisierten Kapitalismus. Auf den zweiten Blick allerdings erstaunt diese technologische Erlösungssehnsucht. Denn in Wahrheit schaffen bahnbrechende Erfindungen oft gerade keine neue Welt, sondern erhalten die alte.
Zugespitzter: Technologie ist konservativ.  

Dies diagnostizierte bereits Joseph Weizenbaum. Der Pionier der Informatik und KI-Forschung, der das erste computergestützte Sprachprogramm entwickelte, bemerkte 1985 in einem Interview mit dem RIAS, dass die Erfindung des Computers vor allem die bestehenden Verhältnisse gerettet habe. Sein Beispiel: Weil das Finanz- und Bankenwesen durch die ökonomische Wachstumslogik immer weiter anschwoll, war es durch händische Überweisungen und Schecks kaum noch beherrschbar. Der Computer löste dieses Problem. Alles ging weiter wie zuvor – nur eben digitalisiert und damit noch schneller.

Ein vergleichbarer Fall findet sich schon im 14. Jahrhundert. Da das Wirtschaftsleben stetig komplexer wurde, herrschte in mittelalterlichen Städten eine ohrenbetäubende Kakophonie. Die Soziologin Alexandra Schauer beschreibt das in ihrem jüngst erschienenen Buch Mensch ohne Welt: Universitäten, Kirchen, Zünfte, Gilden und Rathäuser verfügten über je eigene Glocken- und Signalsysteme, mit denen sie die Arbeitsabläufe und -zeiten koordinierten. Es bimmelte und gongte ständig und an jeder Ecke. Dieses nervenaufreibende Durcheinander konnte erst durch die Installation öffentlicher Schlaguhren beendet werden – und das Arbeitsleben so gleichermaßen geordneter wie eng getakteter fortfahren.

Diese Beispiele zeigen, dass technologische Innovationen eben nicht nur Probleme lösen, sondern gleichzeitig deren zugrunde liegende Ursachen konservieren können. Sie haben also nicht nur negative Nebeneffekte, so wie die Uhr erst das Zuspätkommen oder der Computer den 404-Fehler in die Welt brachte, sondern ermöglichen das Weiter-So. Oder wie es Joseph Weizenbaum formulierte: Technische Innovationen verhindern "soziale Erfindungen".

Das gilt auch heute: Elektromobilität etwa mag im Vergleich zum fossilen Individualverkehr zwar umweltfreundlicher sein. Doch wenn am Ende nur ein Antrieb durch den anderen ausgetauscht wird und die SUV dabei noch größer werden, ist für den ökologisch notwendigen Umstieg auf die Schiene noch nichts getan. Im Gegenteil. Ähnlich verhält es sich bei Mark Zuckerbergs Metaverse, dessen vermeintlich disruptives Zukunftsversprechen darin besteht, dass man auch virtuell shoppen gehen kann. Schließlich zeigt sich Weizenbaums Beobachtung auch an ChatGPT und Co.: Sollte künstliche Intelligenz vor allem dazu dienen, Arbeitsverhältnisse noch prekärer zu gestalten und einen intellektuellen midcult zu stärken, sind wir am Ende womöglich alle dümmer als zuvor.

Deshalb braucht man nicht gleich den Glauben an die zivilisatorische Kraft von Innovationen zu verlieren. Denn noch fataler als ein blinder Techno-Evangelismus ist reflexhafte Technophobie. Aber die Klimakatastrophe oder ein kollektiver Burn-out wird nicht verhindert werden ohne jenen sozialen Wandel – veränderte Mobilität, andere Konsumgewohnheiten, familienfreundliche Arbeitsverhältnisse –, der durch technologische "Fortschritte" mitunter eher behindert denn befördert wird.

Dafür müsste man mit dem brechen, was Joseph Weizenbaum den "Imperialismus der instrumentellen Vernunft" nannte. Einfacher gesagt: Viele technologische Innovationen mögen heute ökonomisch nützlich sein, sie sind aber nicht zivilisatorisch sinnvoll. Da man den Märkten schwerlich vorwerfen kann, dass sie en gros lieber SUV und virtuelle Shoppingmalls als Verbesserungen des ÖPNV oder kostengünstige Medizintechnik entwickeln, braucht es eine Stärkung öffentlich finanzierter Forschung und staatlicher Subventionen. Immerhin: Der amerikanische Inflation Reduction Act sowie der europäische Green Deal Industrial Plan sehen genau das vor. 

Allein: Sozial handeln müssen wir dann schon selbst. 

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