Donnerstag, 9. Februar 2023

Mikroplastic

 kleiner Auszug aus Brand eins hier  Interview und Text: Harald Willenbrock

„Mikroplastik entwickelt sich zu einer allgegenwärtigen Tötungsmaschine“

Früher leitete Eric Liedtke als Vorstand das globale Markengeschäft von Adidas. Jetzt arbeitet er mit einem Start-up an kompostierbarer Kleidung. Sein großes Ziel: die Modebranche nachhaltig umstricken. Ein Gespräch über Greenwashing, Scheinlösungen und die magische Macht des Marketing.

Fast Fashion, big Problems

Die Textilbranche produziert jedes Jahr mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke – doppelt so viele wie vor zwei Jahrzehnten. Gleichzeitig hat sich der Zeitraum, in dem Kleidungsstücke im Schnitt getragen werden, halbiert. Massenhersteller überschwemmen den Markt mit billiger Kleidung. Ein Großteil wird aus Polyester (PET) gefertigt – dem billigsten und populärsten Garn der Welt. Umweltschützer schätzen, dass jedes Jahr bis zu zwölf Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren landen.

brand eins: Herr Liedtke, im Vorstand von Adidas kämpften Sie für den Umstieg des Konzerns auf Recycling-Kunststoffe. Keine zwei Jahre später gründeten Sie eine Textilmarke, die vollständig auf pflanzliche und mineralische Materialien setzt – mit der Begründung, dass Plastik-Recycling „ohnehin nicht funktioniert“. Wie passt das zusammen?

Eric Liedtke: Nun, das eine entwickelte sich aus dem anderen, denn als Hersteller von Textilien begibt man sich auf eine Reise. Sie beginnt bei Neukunststoff, der aus Erdöl gewonnen wird und weltweit in großen Mengen verfügbar, praktisch und billig ist. Jeder in der Modebranche weiß aber, dass Nachhaltigkeit – ich hasse diesen Begriff, daher sagen wir mal: die Kunst, weniger Schaden anzurichten – darin besteht, Dinge auf unschädlichere Art herzustellen. So macht man sich auf die Suche nach weniger giftigen Ausgangsmaterialien. Früher oder später landet man erst bei Recycling-Kunststoffen, dann bei Pflanzen.

Was stört Sie am Begriff Nachhaltigkeit?

Dass es ein unscharfer, erklärungsbedürftiger Begriff ist. Wenn mir jemand sagt, seine Marke sei nachhaltig, frage ich: inwiefern? Ich finde, Unternehmer sollten sehr genau erklären, welche Maßnahmen sie ergreifen und welche nicht.

Ihr Plan als oberster Adidas-Markenmanager war der schrittweise Umstieg des Konzerns auf Recycling-Kunststoffe.

Unser Ziel lautete, bis 2024 komplett auf fabrikneuen Polyester (PET) zu verzichten und stattdessen auf sogenanntes Meeresplastik zu setzen, das die Umweltorganisation Parley for the Oceans für uns aus dem Wasser und von Stränden fischte. Ich bin immer noch stolz auf dieses Vorhaben und darauf, dass Adidas es auch nach meinen Ausstieg Ende 2019 weiterhin verfolgt. Für eine Marke dieser Größe in dieser Branche war das Umsteuern damals ein Meilenstein.

Nebenbei war die Plastiknummer für Adidas und Parley for the Oceans ein beispielloser Marketingerfolg. Präsentiert wurde die Partnerschaft zwischen Sportausstatter und Meeresschützern im Juni 2015 unter dem Dach der Vereinten Nationen (UN). Im Sitzungssaal des UN-Hauptquartiers in New York stellten Eric Liedtke und der Parley-Gründer Cyrill Gutsch auch einen Konzeptschuh vor, dessen Obermaterial aus Resten eines kilometerlangen Treibnetzes bestand. Geborgen hatte es der Umweltaktivist Paul Watson, der einen Piratenfischer über Monate verfolgt und gestellt hatte. Die Story des vom Geisternetz-zu-Recyclinggarn-Sneakers soll Adidas und Parley weltweit sieben Milliarden Kundenkontakte verschafft haben.

Anderthalb Jahre später liefen auch die von Adidas gesponserten Fußballmannschaften Bayern München und Real Madrid in Trikots auf, die Adidas aus Meeresplastik gefertigt hatte. Spieler von Real Madrid hielten Banner mit der Formel „For the Oceans“ in die Fernsehkameras. Mit dem Kauf eines Adidas-Trikots, so die Botschaft, könnte jeder die Ozeane von etwas Müll befreien.

brand eins: Die damalige Lösung erwies sich als Scheinlösung – warum?

Liedtke: PET ist ein ewiges Material, das nie ganz verschwindet. Irgendwann zersetzt es sich zu Mikroplastik und gelangt über Boden, Luft und Gewässer in unsere Nahrungskette, den Blutkreislauf und letztlich unsere Lungen. Mikroplastik entwickelt sich zu einer allgegenwärtigen Tötungsmaschine. Ich könnte mir daher gut vorstellen, dass es künftig nicht mehr erlaubt sein wird, Recycling-Plastik als nachhaltig zu bezeichnen. Mit Unless setzen wir deshalb auf pflanzliche und mineralische Materialien, die sich am Ende ihres Lebens statt in Müll idealerweise in Humus verwandeln.

Hätten Sie das nicht bei Adidas verwirklichen können? Die Wirkung wäre um ein Vielfaches größer gewesen.

Man kann eine 22-Milliarden-Euro-Firma nicht über Nacht auf Lösungen umstellen, die noch nicht wirklich serienreif sind. Für pflanzenbasierte Kleidung fehlte es an Innovationen, Produzenten, Lieferketten und der nötigen Belastbarkeit des Materials.

Mit Unless stellen wir jetzt ein paar Shirts, Hoodies und Shorts aus reiner Baumwolle her. Das ist toll, aber nur ein winziger Teil jenes Sortiments, das Adidas millionenfach bespielen muss.

Sie suchen daher Kooperationen innerhalb der Branche.

Richtig, denn natürlich braucht die Welt nicht noch eine weitere Streetwear-Marke. Mit Unless haben wir auch nichts Neues erfunden, sondern Textilien lediglich konsequent von ihrem Ende her gedacht und Herstellungsprozesse, Ausgangsstoffe und Produkte so angelegt, dass sie sich am Ende ihres Lebenszyklus zu Regenwurmfutter zersetzen. Dieses Wissen möchten wir mit anderen teilen. Wer auch immer mit uns kooperieren will, soll von unserer Erfahrung profitieren und auf regenerative Mode umstellen. Unser Ziel ist es, die Drei-Billionen-Dollar-Modebranche auf den Kopf zu stellen. Das schaffen wir nur zusammen mit anderen.

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Liedtke

Plastik-Boom

* Cradle to Cradle – das Ziel der Kreislaufwirtschaft ist, aus alten Dingen ohne Verlust an Qualität neue zu machen. Das kann klappen, wie ein Pflasterstein und eine Sporthose zeigen (brand eins 12/2022).

** Guppy Friend – mikroskopisch kleine Fasern aus unserer Kleidung sind ein gewaltiges Umweltproblem. Zwei Unternehmer aus Berlin wollen sie mit einem smarten Beutel einfangen helfen (brand eins 10/2016).

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