Freitag, 24. Februar 2023

Kemfert greift naive Politik an "BASF hat uns ins Energiedrama geführt"

NTV hier  16.02.2023

In ihrem Buch "Schockwellen" rechnet Claudia Kemfert mit der deutschen Energiepolitik der vergangenen Jahre ab. Die Liste der Fehler ist scheinbar endlos: Dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kreidet die Energieökonomin des DIW eine "fatale" Russlandpolitik an; Peter Altmaier, dass er als Bundesumweltminister mit "angeblichen Schockzahlen" den Ausbau der Erneuerbaren blockiert hat; der Politik insgesamt, dass sie sich von Industrie und Energiebranche auf der Nase herumtanzen lässt. "Aber wie man sieht, ist die Welt auch ohne russisches Gas nicht untergegangen", hält Kemfert im "Klima-Labor" von ntv fest. Das Totschlagargument, das sie immer wieder hört? Arbeitsplätze. Deswegen würden auch heute wieder Technologien der Vergangenheit als angebliche Lösung für die Zukunft verkauft - und von Konzernen wie BASF in China die Fehler aus Russland wiederholt. Ihr hartes Fazit? "BASF gefährdet die Arbeitsplätze der gesamten Volkswirtschaft."

ntv.de: Ihr Buch "Schockwellen" ist eine Abrechnung mit der deutschen Energiepolitik der vergangenen Jahre. Warum?

Claudia Kemfert: Mir war es wichtig, zurückzuschauen, damit wir die Fehler nicht wiederholen. Was hat uns in das Energiedrama mit dieser hohen Abhängigkeit von Russland geführt? Dafür gibt es viele Gründe, aber leider investieren wir schon wieder in fossile Infrastrukturen, die wir in dem Umfang nicht benötigen. Früher waren es Pipelines, jetzt LNG-Terminals. Und immer heißt es: Ohne geht es nicht. Aber wie man sieht, ist die Welt auch ohne russisches Gas nicht untergegangen. Und trotzdem reden wir wieder über Techniken der Vergangenheit als angebliche Lösungen für die Zukunft.

Was waren denn die elementaren Fehler, die wir heute wiederholen?

Ein Fehler war die fatale Außenpolitik von Frank-Walter Steinmeier, der sehr enge Verbindungen mit Russland hatte. Er wollte die russische Aggression mit Gasverträgen besänftigen, hat aber das Gegenteil erreicht. Davor haben wir und viele andere gewarnt, auch in Osteuropa und den USA. Aber Deutschland hat nicht zugehört.

Ein anderes Beispiel sind die angeblichen Schockzahlen, mit denen der ehemalige Umweltminister Peter Altmaier daherkam - und die Lösung, die er gleich mitlieferte: Die Energiewende kostet eine Billion Euro! Wir brauchen eine Strompreisbremse! Diese Strompreisbremse entpuppte sich aber als eine Ausbaubremse für die Erneuerbaren Energien. Deswegen stagnieren Windenergie und Solarenergie. Wir haben 150.000 Industriearbeitsplätze verloren, die wir im Wettbewerb mit den USA und China dringend bräuchten. Wir haben unsere Führungsrolle sehenden Auges aufgegeben und uns stattdessen abhängig gemacht. Das kommt uns heute teuer zu stehen.

Aber resultiert der Wohlstand der vergangenen Jahrzehnte nicht aus diesen Entscheidungen? Es gab doch berechtigtes Interesse an günstiger fossiler Energie.

Diese wirtschaftlichen Interessen werden mantraartig angeführt, aber auch die Bundesregierung wusste, dass die angeblich billige Energie am Ende extrem teuer werden würde. Aktuell zahlen wir mehr als 300 Milliarden Euro für dieses Energiedesaster, weil man die Risiken ausgeblendet und einfach nicht mit einberechnet hat. So ähnlich ist es im Moment auch mit anderen Entscheidungen: Ohne geht es nicht, sonst gehen Arbeitsplätze verloren. Aber dem ist eben nicht so. Das sind Puzzleteile, mit denen Lobbyisten Investitionen rechtfertigen und legitimieren wollen. Wirtschaftliche Vorteile haben die nur für ein paar Unternehmen - zulasten der gesamten Volkswirtschaft.

In Ihrem Buch nennen Sie als Beispiel dafür BASF. Haben einzelne Unternehmen wirklich so viel Einfluss und können die gesamte Politik lenken?

Es gibt sehr starke Verflechtungen von Politik und Wirtschaft. BASF ist ein Beispiel dafür, russische Unternehmen andere. Bestimmte Entscheidungen wurden deswegen zugunsten bestimmter Unternehmen und Sektoren getroffen, obwohl man wusste, wie gefährlich das am Ende für die Volkswirtschaft werden würde. Wenn man heute sieht, mit welcher Leichtfertigkeit Sigmar Gabriel als Bundeswirtschaftsminister die Entscheidung getroffen hat, den Gasspeicher Rehden an Gazprom zu verkaufen … das ist schockierend.

Wie erklären Sie sich denn, dass es keine Gegenwehr gab?

Das frage ich mich auch. Deswegen dieses Buch, denn ich habe den Eindruck, dass sich nichts geändert hat. Schon wieder werden Entscheidungen durchgewunken, ohne dass jemand aufschreit - abgesehen von der Zivilgesellschaft, die mittlerweile sehr wach ist, und vom Ausland. Es gab ja umfassende wissenschaftlichen Studien zu diesen Themen. Wir haben uns am DIW seit 2014 mit Nord Stream 2 beschäftigt und 2018 noch mal gezeigt, dass sie betriebswirtschaftlich unrentabel, klimapolitisch fatal und energiepolitisch fragwürdig ist. In Deutschland hat sich dafür niemand interessiert, dafür haben ausländische Medien aus Polen, Osteuropa und den USA angefragt.

Aber auch wenn das Ausland erkannt hat, dass wir in Deutschland Fehler und uns abhängig machen: Dort hat der Ausbau der Erneuerbaren auch nicht schneller geklappt. Großbritannien oder andere EU-Länder liegen weit hinter uns zurück.

Das ist richtig, aber hätten wir die Erneuerbaren nicht ausgebremst, hätten sie bereits heute einen Anteil von 80 Prozent an der deutschen Energieversorgung haben können. Wir hätten 150.000 mehr wertvolle Industriearbeitsplätze gehabt, die wir heute dringend brauchen. Wir wären bei Gebäudesanierungen viel weiter - auch das wurde damals gestoppt und gebremst. Wir wären viel weiter bei der Industrie-Transformation. Wir sind gut gestartet, waren weltweiter Spitzenreiter, haben diesen Wettbewerbsvorteil aber vor zehn, zwölf Jahren mit Ansage verspielt - eben wegen dieser Verflechtungen bestimmter Unternehmen mit der Politik. Diese Abhängigkeit von Russland ist weltweit einmalig, das gibt es nur in Deutschland. Jetzt zahlen wir gigantische Beträge, um uns zu befreien - und den verantwortlichen Unternehmen wird sogar geholfen. Das macht mich wütend.

Das lässt sich gut an Manuela Schwesig, der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und einer Studie über die Sinnhaftigkeit von Nord Stream 2 erklären. Diese Studie wurde vom EWI-Institut im Auftrag der Nord-Stream-2-AG erstellt, inzwischen aber von der Webseite genommen. Bei dieser Auftragsstudie wurde geschaut, wie viel Gasbedarf notwendig ist, damit sich die Pipeline rechnet. Am DIW haben wir stattdessen die energiepolitischen und klimapolitischen Ziele von Deutschland der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit von Nord Stream 2 gegenüberstellt. Das sind unterschiedliche Fragestellungen mit unterschiedlichen Ergebnissen. Die Landesregierung hat sich lieber auf die Auftragsstudie verlassen, deshalb war sie für Nord Stream 2. Bei Lützerath ist es ähnlich: Die Landesregierung hat eine Studie in Auftrag gegeben, in die vor allem Zahlen und Berechnungen von RWE eingeflossen sind.

Wirtschaftsminister Robert Habeck reagiert sehr allergisch auf den Vorwurf, mit den LNG-Terminals könnten Überkapazitäten gebaut werden. Er rühmt sich damit, die Energieversorgung gesichert zu haben. Können Sie das nachvollziehen?

Ich kann verstehen, dass er wahnsinnig unter Druck steht. Gerade in einer Situation, die Robert Habeck und die Grünen in keinster Weise zu verantworten haben, die Suppe aber auslöffeln müssen. Trotzdem wiederholen wir die Fehler von früher. Das müssen wir aufzeigen. Sicherlich bekommt er auch massiven Druck aus der gasintensiven Industrie. Wir kennen die Einflüsterer mit den guten Verbindungen in die Politik. Die erwecken den Eindruck, dass Deutschland ohne die Terminals untergeht. Schaut man sich aber die Zahlen an, wäre selbst in Deutschland vom ersten Tag des Krieges ein Gasembargo möglich gewesen. Die Preise wären natürlich gestiegen, wir hätten viel sparen müssen, gar keine Frage. Der Druck auf die Regierung wäre viel höher gewesen. Aber diese Flüssiggasterminals sind vollkommen überdimensioniert. Einfach, weil mit einem riesigen Gasbedarf geplant wird, der schon in der Vergangenheit immer künstlich hochgerechnet wurde. Für diese wissenschaftliche Aussage werden unsere Studien seit über 15 Jahren lächerlich gemacht, aber am Ende des Tages haben wir immer recht behalten. Das wird bei den Flüssiggasterminals genauso sein.

Aber wie passt das denn zusammen? Sie sagen, wir bauen riesige Überkapazitäten auf; BASF sagt, die Energieversorgung in Deutschland sei nicht gesichert - und baut genau mit diesem Argument eine neue Fabrik in China.

Gerade BASF war schon immer Teil des Problems. Die präsentieren der Politik seit Jahren Mondzahlen für den Gasverbrauch und haben uns damit in dieses Energiedrama hineingeführt. BASF wird aber nicht zur Verantwortung gezogen, sondern indirekt sogar entschädigt. Ich halte die Expansion in China für einen Fehler, das ist auch in der Führungsebene des Konzerns nicht unumstritten. Denn auch dort sind problematische Entwicklungen und militärische Konflikte möglich. Dann ist BASF wieder das erste Unternehmen, das nach Hilfe und Entschädigungen ruft. Es kann nicht sein, dass Konzerne mit ihren Hochrisikoinvestitionen die gesamte Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Und anstatt BASF zu kritisieren, erstarren wir in Schockstarre. Eigentlich müsste man sagen: Viel Spaß, bitte lasst unsere Volkswirtschaft in Ruhe.

Ja, BASF führt die Regierung an der Nase herum. Dieser Konzern hat einen direkten Draht in die höchsten politischen Ämter und maßgeblich zu unserer Abhängigkeit von Russland beigetragen. Das sieht man auch an der Übergabe des Gasspeichers von der BASF-Tochter Wintershall an Gazprom. Das wurde damals mit ein paar Seiten Papier im Bundeswirtschaftsministerium durchgewunken. Aber für eine Genehmigung für eine Windkraftanlage braucht es 20 Aktenordner? Am Ende werden wieder alle dafür bezahlen, nur nicht BASF. Im Gegenteil, dort wird wieder so getan, als wenn gleich die Lichter ausgehen.

Es sind Arbeitsplätze gefährdet.

Das ist ein Totschlagargument, das kenne ich jetzt seit 15 Jahren. Aber BASF gefährdet die Arbeitsplätze der gesamten Volkswirtschaft.

Weil uns in China die gleichen Abhängigkeiten wie in Russland drohen?

Das ist ein ähnliches Szenario. Es ist auf jeden Fall nicht klug, die Abhängigkeit zu erhöhen. Niemand weiß, was passieren wird, aber wir sollten alle aus Russland lernen. Stattdessen gehen BASF und einige Autokonzerne erneut hochriskante Investitionen ein. Wenn das schiefläuft, wird es für Deutschland schwierig. Deswegen warnt Wirtschaftsminister Habeck auch völlig zu Recht vor China. An der Stelle hat er die richtigen Alarmglocken an.


Mit Claudia Kemfert sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.

Claudia Kemfert ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität in Lüneburg. Seit 2004 leitet sie die Abteilung "Energie, Verkehr, Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

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