Spiegel Artikel von Anika Freier •20.2.23 hier © Marijan Murat / dpa
Wichtiger Erfolg für die Deutsche Umwelthilfe: Laut dem Verwaltungsgericht Schleswig hat das Kraftfahrt-Bundesamt Autos von VW zu Unrecht genehmigt. Das kann Folgen für die ganze Branche haben.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat im Rechtsstreit mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Sachen Abschalteinrichtungen von Abgasreinigungssystemen in Dieselfahrzeugen einen wichtigen Etappensieg erreicht:
Die Umweltorganisation hatte das KBA vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig verklagt, weil sie der Auffassung ist, dass sogenannte Thermofenster unzulässig sind und die vom KBA im Nachhinein bewilligten Abschalteinrichtungen entfernt werden müssen. Der Autobauer Volkswagen war in dem Prozess beigeladen.
Die Klage sei im Wesentlichen erfolgreich, sagte der Vorsitzende Richter in der Urteilsverkündung am Montagabend. Die Thermofenster in dem genehmigten Umfang seien unzulässig. Der Entscheidung ging eine mehrere Stunden dauernde mündliche Verhandlung voraus.
Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Neben der Berufung wurde eine Sprungrevision zugelassen. Mit einer Sprungrevision kann unter bestimmten Voraussetzungen die Berufungsinstanz übersprungen und direkt das Bundesverwaltungsgericht mit der Sache befasst werden.
Volkswagen betonte nach dem Urteil, »bis zur rechtskräftigen Klärung drohen weder behördliche Stilllegungen von Fahrzeugen noch Hardware-Nachrüstungen wegen des Thermofensters«. Ebenso bleiben nach Ansicht des Unternehmens zivilrechtliche Klagen, »die einen vermeintlichen Schadensersatzanspruch auf das Vorhandensein eines Thermofensters stützen, wie bisher erfolglos«.
Umweltschützer und Autobauer streiten sich seit Jahren über Thermofenster. Die Software verringert die Reinigung der Abgase etwa bei niedrigeren Temperaturen, sodass die Autos dann mehr Schadstoffe ausstoßen. Im konkreten Fall geht es um bestimmte Dieselversionen des VW Golf, die das KBA 2008 und 2009 genehmigte. 2016 billigte das KBA dann die temperaturabhängige Abgasrückführung in den Softwareupdates.
Gefahr ohne Thermofenster?
Das Verwaltungsgericht hatte zuvor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verschiedene Fragen zu dem Thema vorgelegt. Im November hatte der EuGH bereits entschieden, dass die DUH klageberechtigt ist. Außerdem präzisierten die EuGH-Richter damals ihre restriktive Haltung zu den Thermofenstern. Demnach dürfen Abschalteinrichtungen wie die Thermofenster nur zugelassen werden, wenn sie zur Vermeidung einer schweren Gefahr für den Motor und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig sind. Die Autohersteller argumentierten in den vergangenen Jahren häufig, Abschalteinrichtungen seien notwendig, um den Motor zu schützen.
Volkswagen teilte nach der Urteilsverkündung mit, die schriftlichen Entscheidungsgründe des Gerichts abwarten zu wollen und diese sorgfältig zu prüfen. Dann werde über weitere Schritte entschieden. »Unsere Einschätzung bleibt unverändert: Die temperaturabhängige Abgasrückführung in den hier betroffenen Fahrzeugen schützt vor unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigungen oder Unfall. Diese wiegen so schwer, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs darstellen können.«
Aus Sicht des Herstellers wäre es unverantwortlich gewesen, Fahrzeuge mit solchen Risiken auf den Markt zu bringen. »Diese technische und regulatorische Bewertung hat auch das KBA als Marktüberwachungs- und Genehmigungsbehörde stets geteilt und bestätigt.«
»Betrugsdiesel stilllegen oder nachrüsten«
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch ist »sehr zufrieden und glücklich mit dem Urteil«. Allerdings bedauere er, dass es sieben Jahre bis zur Klärung gedauert hatte. Nun heiße es für Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), schnell zu handeln. Resch fordere den Minister als obersten Dienstherrn des KBA dazu auf, »dass er jetzt Sorge trägt, dass alle rund zehn Millionen Betrugsdiesel, die noch auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, entweder still gelegt oder auf Kosten der Hersteller nachgerüstet werden«. Das aktuell verhandelte Verfahren ist eines von rund 120, das die DUH in der Angelegenheit angestrengt hat.
Tausende vermeidbare Todesfälle pro Jahr gingen auf das Konto der illegal ausgestoßenen Abgase, hatte Umwelthilfe-Geschäftsführer Jürgen Resch nach dem EuGH-Entscheid im November kommentiert. Auch die Eigentümerinnen und Eigentümer von mindestens fünf Millionen Autos würden in ihren Rechten gegen das »kriminelle Verhalten der Industrie« gestärkt.
Nach DUH-Angaben stellt das Verfahren das zentrale Musterverfahren in einer Reihe weiterer Auseinandersetzungen der DUH mit dem KBA dar.
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