Montag, 13. Februar 2023

Das tiefe Dilemma der "Letzten Generation"

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Debatte verzerrt, Ziele verfehlt 

Straßenblockaden sind ein Mittel der Wahl für die "Letzte Generation", um gegen die Klimapolitik zu protestieren.

Mit ihren Störaktionen hat die "Letzte Generation" keine Klima-, sondern eine Demokratiedebatte losgetreten - und die wird von Teilen aus Politik und Medien erbarmungslos geführt. Längst stecken die Aktivisten in der Legitimationsfalle, aus der sie nur schwer wieder herauskommen.

Sie wollen keinen Sympathiewettbewerb gewinnen, sagen die Aktivisten der "Letzten Generation" schulterzuckend, wenn sie nach dem blanken Hass gefragt werden, der ihnen entgegenschlägt. Dabei ist die Erkenntnis erschreckend genug: Wer sich auf Straßen festklebt oder Kartoffelbrei auf ein verglastes Kunstwerk schleudert, muss in Deutschland mit Morddrohungen rechnen - oder damit, dass Freunde und Familie belästigt werden. Es sind junge Menschen, Studenten in ihren Zwanzigern, die um ihr Leben fürchten müssen, weil sie Straßenkreuzungen, Auto- oder Landebahnen blockieren, um gegen die aktuelle Klimapolitik zu protestieren.

Politik und Medien, da sind sich die Aktivisten sicher, haben ihren Anteil daran, dass sich die Debatte vom Kern der Proteste entfernt hat. Ganz abwegig ist diese Haltung nicht. Von Extremisten, die die Demokratie verachten, war in der "Bild"-Zeitung die Rede. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt orakelte, die "Letzte Generation" sei auf dem Weg zur "Klima-RAF". Und die AfD strickte das Narrativ einer "Gefahr für Staat und Gesellschaft" am Nachmittag genüsslich in einer Aktuellen Stunde im Bundestag weiter. Auf offener Bühne wurden Klimaaktivisten zu Staatsfeinden stilisiert, für die keine der bisher im Rechtsstaat vorgesehenen Strafen hoch genug sei.

"Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzungen hat in der Demokratie nichts verloren", erklärte FDP-Justizminister Marco Buschmann - und meint damit ausdrücklich nicht Passanten, die mit Fäusten und Tritten auf die Blockierer losgehen, sondern die Aktivisten selbst, die nach wie vor Gewaltfreiheit als ihr Credo bezeichnen. Die politische Debatte wird geführt, als habe eine Radikalisierung der Protestgruppe längst stattgefunden. Für die "Letzte Generation" ist das ein Problem. Nicht nur, weil ihre Forderungen - darunter ein Tempolimit auf Autobahnen und die bundesweite Einführung des 9-Euro-Tickets - im Wutgeschrei der zigtausenden ganz plötzlich aus dem Boden geschossenen Kunst-Fans untergeht.

Vorbeugehaft für Aktivisten statt Terroristen

Problematisch ist vor allem, dass statt über die Klimaschutzziele darüber diskutiert wird, ob der Justiz die richtigen Mittel zur Ahndung solcher Störaktionen zur Verfügung stehen. Der Vorschlag, die bisher nur in Bayern erlaubte Vorbeugehaft auf das gesamte Bundesgebiet auszuweiten, kommt den vehementesten Kritikern der "Letzten Generation" nur gelegen. Doch die Maßnahme ist nicht ohne Grund auch in Bayern hoch umstritten. Sie sollte ursprünglich nur auf potenzielle Terroristen angewendet werden. Nun verhindert sie Straßenblockaden statt Terroranschläge. Die Leichtfertigkeit, mit der die Schranken für politische Haft in Bayern innerhalb kürzester Zeit herabgesetzt wurden, müssten eigentlich nicht nur den Klimaaktivisten Sorge bereiten.

Ohne es zu wollen, hat die "Letzte Generation" mit ihren Aktionen keine Klima-, sondern eine Demokratiedebatte angestoßen. Es sei gefährlich für eine Demokratie, wenn Politiker den Eindruck vermittelten, dass diese perfekt sei, kritisierte Mitgründerin Lea Bonasera bei einer Pressekonferenz am Vormittag. Junge Menschen müssten das hinterfragen dürfen. Die Politik aber versuche, den Protest zu delegitimieren. Der Münchner Aktivist Joel Schmit saß selbst in Vorbeugehaft und hält die Form des Protests für alternativlos. Natürlich würde er lieber auf Demos gehen, sagt er, doch die Geschichte habe gezeigt, "dass Demos die Politik der Bundesregierung nicht verändert haben".

Die Mehrheit ist irgendwo da draußen

Solche Aussagen taugen für Kritiker als Beweis dafür, dass sich die Aktivisten in der Wahl ihrer Mittel bei ausbleibenden Erfolgen zwangsläufig radikalisieren werden. Bonasera versucht, zu beschwichtigen. Ihr sei klar, dass "eine kleine Gruppe keine Gesellschaft und keine Regierung zu etwas zwingen" könne, so die 25-Jährige mit Blick auf die Kritik von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, wonach "jedes politische Ziel in einer Demokratie eine Mehrheit" brauche. Sowohl die evangelische Kirche als auch diverse Schauspieler und Gewerkschaften hätten sich bereits mit der Gruppe solidarisiert, erklärt Bonasera. Und Mehrheiten für 9-Euro-Ticket und Tempolimit gebe es in der Bevölkerung durchaus.

Auf die Dialogebene mit der Politik zurückzukommen, dürfte dennoch schwer werden. Zumindest die Opposition hat sich mit ihrem Feindbild bequem eingerichtet. CDU-Chef Friedrich Merz forderte jüngst Gefängnisstrafen für Wiederholungstäter - allein schon, "damit draußen Ruhe ist". Die AfD stellt die Gruppe auf eine Stufe mit Terroristen. Und die Ampelkoalition steht inzwischen selbst in der Kritik, den angeblichen "Klima-Extremismus" zu verharmlosen.

Indirekt tut die "Letzte Generation" der Politik geradezu einen Gefallen. Denn die muss sich nicht mehr mit der Frage beschäftigen, wie sie den Klimaschutz tatsächlich verbessern kann, sondern kann sich darauf beschränken, die absurdesten Züchtigungsfantasien der Kritiker abzubügeln. Politisch erreicht haben die Aktivisten bislang nur dies: Die Innenminister der Länder lassen von den Sicherheitsbehörden ein bundesweites Lagebild zur "Letzten Generation" erstellen. Und Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte einen Gesetzentwurf an, damit die kritische Infrastruktur - zum Beispiel Flughäfen - künftig besser geschützt werden kann. Vom Klima ist kaum mehr die Rede.

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