Rund ein Dutzend Aktivisten haben am Samstag in Stuttgart für Klimaschutz und die Energiewende demonstriert. Konkret richtete sich ihr Protest auch gegen den Kiesabbau im Altdorfer Wald im Landkreis Ravensburg.
Begleitet von der Polizei hat sich der Protestzug von Hauptbahnhof über die viel befahrene Theodor-Heuss-Straße zum Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen bewegt. Dort liegt der Regionalplan des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben zur Genehmigung.
Dieser sieht vor, den Kiesabbau im Altdorfer Wald auszuweiten. Seit zwei Jahren wehren sich Aktivisten in einem Protestcamp in Baumhütten gegen die Pläne.
Schwäbische Zeitung 12.2.23 Kara Ballarin
Windräder im Altdorfer Wald: Das Dilemma der Klimaschützer
Ein Dilemma für den Naturschutz: Wälder binden CO₂ und bieten Raum für Tiere und Pflanzen. Zu welchem Zweck dürfen Bäume also gefällt werden? Bloß nicht zur Förderung von Rohstoffen, zur Erzeugung erneuerbarer Energie durch Windräder aber schon? Diese Frage spaltet die Gruppe der Klimaschutz-Aktivisten, wie das Beispiel Altdorfer Wald bei einer Demonstration am Samstag in Stuttgart zeigt.
Seit zwei Jahren sind einige Klimaschützer im Altdorfer Wald im Kreis Ravensburg buchstäblich auf dem Baum. Mit ihrem Protestcamp in der Höhe wehren sie sich dagegen, dass Teile des Waldes zugunsten weiterer Kiesgruben abgeholzt werden. Diese sind im Regionalplan des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben nämlich vorgesehen.
Nun liegt der Plan zur Genehmigung beim zuständigen Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen in Stuttgart. Dorthin sind am Samstagnachmittag Aktivisten vom Stuttgarter Bahnhof aus gezogen, begleitet von der Polizei, um gegen die Rohstoffförderung zu demonstrieren. Der Organisator aus Wolfegg, der sich selbst Milan nennt, vorneweg im Auto – gefolgt von einem Dutzend Menschen, die mehrheitlich den Klimaaktivisten der sogenannten Letzten Generation und Extinction Rebellion angehören.
Bei der Kundgebung vor dem Ministerium geht Milan mit dem Regionalverband Bodensee-Oberschwaben hart ins Gericht. „Das ist keine demokratisch gewählte Organisation“, sagt er. Sieben Frauen, 49 Männer, die mehrheitlich der CDU oder den Freien Wählern angehörten – all das zeuge nicht von Parität.
Auch darum geht es bei der Demonstration, wie eine Teilnehmerin betont: Sie als junge Frau fühle sich nicht repräsentiert. Milan kritisiert, dass bereits heute viel Kies, der im Altdorfer Wald abgebaut werde, nach Österreich und in die Schweiz exportiert würde. Nach Recherchen der Schwäbischen Zeitung gehen mindestens zwölf Prozent des Rohstoffs ins Ausland.
Aktivisten aus Oberschwaben fehlen
Auffällig an der Demonstration: Unterstützer aus dem Kreis Ravensburg fehlen. Das mag daran liegen, dass die Aktion sehr kurzfristig organisiert wurde. Der Zielkonflikt, die Bäume im Altdorfer Wald gegen Rohstoffabbau zu schützen, sie aber Windrädern zu opfern, ist laut Milan aber der wohl gewichtigere Grund. „Windkraft im Altdorfer Wald ist sehr kontrovers“, sagt er.....
Klares Zeichen für die Windkraft
....Ganz vorne Milan am Steuer eines Verbrenners, direkt dahinter ein Demonstrant zu Fuß mit einem Banner, auf dem „Fossiler Verkehr ist verkehrt“ zu lesen ist. Milan spricht von einem Kompromiss, er habe nicht alles im Auto nach Stuttgart transportieren können – auch nicht das Gerät, mit dem das Windrad zu Fuß geschoben werden sollte.
Das Windrad-Modell als Symbol sei aber wichtig, betont Milan. „Nur über Energiesparen wird es nicht gehen, wir brauchen mehr Erneuerbare“, betont er. Und dazu gehörten eben Windräder – notfalls auch im Altdorfer Wald. Für diese Ansicht erfahre er aus den Reihen der Baumschützer auch massive Anfeindungen, berichtet er. „Aber was ist die Alternative?“, fragt er und verweist auf die jüngsten Konflikte um den Kohleabbau in Lützerath. „Für Windräder ist das Bäumefällen verhältnismäßig.“
Baumbesetzer sind gespalten
Samuel Bosch, einer der prominentesten Baumbesetzer im Altdorfer Wald, bestätigt den Konflikt zur Windkraft. Ein Konsens der Baumbesetzer bestehe darin, den Kiesabbau verhindern zu wollen. „Diesen Konsens gibt es bei anderen Themen nicht“, sagt er. „Die einen wollen die Windräder auf Äckern, die anderen sagen, man muss sie auch in den Wald stellen.“
Diese Frage treibt auch den Verein Natur- und Kulturlandschaft Altdorfer Wald um. „Wir diskutieren noch intern, wie wir uns positionieren“, sagt der Vereinsvorsitzender Thorsten Ray. „Wir sind keine Windkraftgegner und wir sehen es auch so, dass die Energiewende nur mit Erneuerbaren funktioniert.“ Den ausgeweiteten Kiesabbau lehne sein Verein aber klar ab.
Kein gemeinsamer Nenner zwischen Klima- und Naturschutz
Auch die Naturschutzverbände haben sich klar gegen den Kiesabbau positioniert. Beim Bau von Windrädern im Wald ist die Meinung weniger eindeutig. Mitte Januar etwa hat sich die BUND-Ortsgruppe Ravensburg-Weingarten positioniert, nachdem sich viele Menschen gemeldet hätten, die sich verunsichert und verärgert über die Windkraft-Pläne im Altdorfer Wald geäußert hätten.
„Bauvorhaben solchen Ausmaßes sind ein massiver Eingriff ins ökologische Gefüge und dürfen nicht leichtfertig beschlossen werden“, erklärt der BUND auf seiner Homepage. „Die Position des BUND ist jedoch grundsätzlich keine ablehnende gegenüber der Errichtung von Windkraftanlagen im Wald.“ Für die Energiewende sei die Windkraft unerlässlich.
Und: „Windreiche Standorte befinden sich größtenteils in Höhenlagen, die häufig bewaldet sind.“ Jeder Standort müsse genau betrachtet werden, denn „es wird nie gelingen, Klima- und Naturschutz vollständig auf einen Nenner zu bringen. Wir müssen an vielen Stellen das eine gegen das andere abwägen.“
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