Eine Kolumne von Christian Stöcker 19.02.2023
Das sogenannte bürgerliche Lager kennt in Sachen Energie und Mobilität nur eine Richtung: zurück in die Vergangenheit. Das hat sich diese Woche wieder auf dramatisch-komische Weise gezeigt. Lustig ist es nicht.
Das Jahr 2011 war ein Rekordjahr – was den Ausstoß von Kohlendioxid angeht: 34 Milliarden Tonnen wurden damals emittiert, mehr als je zuvor. Unglücklicherweise halten CO₂-Rekorde auf dem Planeten Erde nie länger als ein Jahr. 2022 war der Ausstoß schon auf über 40 Milliarden Tonnen gestiegen .
Schon 2011 waren zwei Dinge klar:
Die Menschheit muss dringend und so schnell wie möglich damit aufhören, fossile Brennstoffe zu verfeuern.
Die Industrie der Zukunft wird eine sein, die, soweit irgend möglich, ohne solche Verbrennungsprozesse auskommt, und zwar weltweit.
Es gab 2011 einen weiteren Rekord: Die Zahl der deutschen Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien war auf 415.000 angewachsen. Zum Vergleich: Im Braunkohlebergbau arbeiteten damals in Deutschland noch knapp 23.000 Menschen.
Zwei Branchen hintereinander aktiv zerstört
2019, acht Jahre später, gab es in Branchen für erneuerbare Energien (EE) aber über 100.000 Arbeitsplätze weniger . Der damalige Wirtschaftsminister Philip Rösler (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hatten gemeinsam das geschafft, woran die deutsche Wirtschaft heute leidet: Sie zerstörten die heimische Solarbranche fast vollständig. Sie schränkten 2012 nämlich die Förderung erneuerbarer Energien massiv ein.
Sicher: Beim Niedergang der deutschen Solarbranche spielte auch eine Rolle, dass China – deutlich weitblickender als deutsche Regierungen – die eigene Industrie massiv förderte und damit die Preise für Solarmodule drückte. Aber der totale Kahlschlag der deutschen EE-Industrien war mindestens in Teilen hausgemacht, und zwar mit Begeisterung.
Röttgens Nachfolger Peter Altmaier (CDU) freute sich im September 2012 , dass »unser gemeinsames Gesetz anfängt zu wirken«. So lobend kommentierte er die Tatsache, dass der Zubau erneuerbarer Energien schon im Sommer 2012 massiv eingebrochen war. Altmaier wertete das als Erfolg. Und er setzte noch einen drauf: Als Wirtschaftsminister betrieb er einige Jahre später sehr erfolgreich auch die Zerstörung der heimischen Windenergiebranche , während er sich parallel von der Kohlebranche über den Tisch ziehen ließ .
Was Christian Lindner unter »Vernunft« versteht
2012 geschah noch etwas Interessantes: Der heutige Finanzminister Christian Lindner (FDP) machte in Nordrhein-Westfalen Wahlkampf mit dem ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten und damals noch aktuellem RWE-Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Clement. Die beiden forderten eine »vernunftgeleitete Industriepolitik«. Und sie meinten damit: weniger EE, mehr Kohlekraftwerke. Wirklich.
Im Jahr 2023 ist die Begeisterung über die Vernichtung der EE-Branchen in Deutschland nicht mehr ganz so groß. Für alle, die aufgepasst haben, kommt es wenig überraschend: China will offenbar den in den letzten zehn Jahren erkämpften Vorsprung in Sachen Sonnenstrom nicht so einfach wieder hergeben.
Maschinen für Rohstoffe und Vorprodukte von Solarmodulen will China den Kollegen Christoph Giesen und Claus Hecking zufolge nur noch in eingeschränktem Ausmaß exportieren. Die USA und Europa sollen nicht so schnell nachziehen können. Chinas Marktanteile bei einer der zwei wichtigsten Energietechnologien der Zukunft liegt bei 75 (Solarmodule) bis knapp 97 (Silizium-Wafer) Prozent.
China hat Zukunftstechnologie gefördert, Deutschland Vergangenheitstechnologie, so einfach ist das. Jetzt stehen wir dumm da.
»Politisch gewollt« – was heißt das genau?
Fast schon lustig liest sich vor diesem Hintergrund ein Papier, das Christian Lindners FDP-Bundestagsfraktion gerade vorgelegt hat. Darin steht dem »Handelsblatt« zufolge : »Eine staatlich gelenkte Industriepolitik läuft Gefahr, dass Technologien und Produkte nicht wegen ihres Innovations- und Wachstumspotenzials gefördert werden, sondern weil sie politisch gewollt sind.«
Und das von der Partei des Mannes, der 2012 den Abbau der EE-Förderung und den Ausbau der Kohleverstromung für »vernunftgeleitete Industriepolitik« hielt.
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