Im Sommer wurde in vielen Regionen Wasser rationiert. Aber kaum in der Landwirtschaft. Sie brauche nur sehr wenig, heißt es. Doch CORRECTIV-Recherchen zeigen, dass die bisherigen Zahlen dazu nicht verlässlich sind.
In Deutschland kommt die Landwirtschaft mit erstaunlich wenig Wasser aus, wenn man den Angaben der Bundesregierung folgt. Nur rund zwei Prozent des deutschen Wasserkonsums sollen auf das Konto der Landwirtschaft gehen. In einer offiziellen Statistik der Europäischen Union sind es sogar weit unter zwei Prozent. Also eine vergleichsweise geringe Menge. So gering, dass sie auch in Zeiten von regional rationiertem Wasser und sinkendem Grundwasser nicht unbedingt begrenzt werden müsste.
Nach Recherchen von CORRECTIV gibt es aber große Zweifel an dieser Zwei-Prozent-Zahl: Sie basiert auf Selbstauskünften der landwirtschaftlichen Unternehmen. Verlässliche, unabhängig erhobene Zahlen gibt es kaum. Und im EU-weiten Vergleich ist der angegebene Verbrauch auffallend niedrig. Auch müssen Landwirtinnen und Landwirte für das genutzte Wasser oftmals nicht bezahlen, wie eine deutschlandweite Anfrage von CORRECTIV nun zeigt. Und das, obwohl die Klimakrise den Kampf um Wasservorräte immer weiter verschärft.
Zweifel an den deutschen Zahlen in der EU
Im Bundeslandwirtschaftsministerium herrscht Unklarheit über den tatsächlichen Wasserverbrauch in der Landwirtschaft. Auch das Umweltbundesamt und der Bauernverband gaben gegenüber CORRECTIV an, keine eigenen Angaben zu den abgepumpten Mengen machen zu können – sie alle müssen sich auf die Zahlen verlassen, die Landwirte an die Wasserbehörden melden, und die schließlich vom Statistischen Bundesamt zusammengeführt werden.
Eine verlässliche Übersicht darüber, wer wie viel Wasser aus dem Boden, Seen und Flüssen entnimmt, wäre aber laut Experten dringend erforderlich.
In vielen vergleichbaren Nachbarstaaten sind die angegebenen Mengen weit höher: Dänemark gibt an, 50 Prozent des Wassers ginge in die Landwirtschaft. Im Nachbarland Frankreich sind es knapp zehn Prozent. Im EU-weiten Durchschnitt wird jeder vierte Liter geschöpftes Wasser für den Ackerbau genutzt – in Deutschland soll es nur jeder fünfzigste Liter sein? Das wäre erstaunlich – auch wenn die Zahlen wegen unterschiedlich großer Flächen für den Ackerbau und anderen Niederschlagsmengen schwer zu vergleichen sind.
In der EU-Kommission scheint man sich bewusst zu sein, dass die publizierten Zahlen aus Deutschland wohl nicht der tatsächlichen Menge entsprechen. „Wir sind auf die Zahlen von den Mitgliedsstaaten angewiesen und führen keine eigenen Kontrollen durch“,sagt eine Sprecherin der Europäischen Kommission. Bislang gebe es EU-weit keine Vorgaben, wie die Entnahme gezählt werden müsse. Die Kommission weist aber auf einen konkreten Widerspruch hin: „Deutschland gibt in seiner Wasserrahmenrichtlinie an, dass der Wasserkonsum die Flüsse nicht beeinträchtigt“. so die Sprecherin. Zugleich aber sei das Grundwasserniveau in zehn Prozent aller Flächen viel zu niedrig.
Tatsächlich zeigte der CORRECTIV Grundwasser-Atlas kürzlich, dass in vielen Regionen das Niveau des Grundwassers stark abgenommen hat.
Wasserkonsum ist eine Blackbox
Der Bauernverband, der größte Interessenverband aller Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland, hat keine eigenen Erhebungen über den Verbrauch – und kann die Zwei-Prozent-Ziffer nur wiederholen. „Bitte wenden Sie sich an das Umweltbundesamt, die Primärquelle“, schreibt der Verband. Das Umweltbundesamt wiederum verweist auf das Statistikamt, das auf einen Anteil von 2,2 Prozent kommt.
So wird offenbar immer die gleiche Zahl weiter verbreitet, die lediglich auf vagen Angaben beruht. Eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums verweist in Bezug auf den Anteil des Wasserverbrauches auf die Zahlen des Umweltbundesamts und räumt gegenüber CORRECTIV ein: „Zum Gesamtwasserverbrauch der Landwirtschaft haben wir keine aktuellen Informationen.“
Die Zwei Prozent-Angabe des Statistikamtes wird offenbar auch vom Umweltbundesamt bezweifelt: „Es gibt einen großen Dunkelbereich in der Landwirtschaft, den bislang keiner beziffern kann“, sagt Bernd Kirschbaum, Wasserexperte beim Umweltbundesamt. Dies liege vor allem an den so genannten Bagatellgrenzen: Nur größere Mengen müssen gemeldet werden.
Die wenig verlässlichen Daten sind problematisch für eine gerechte Wasserpolitik. „Bund und Länder brauchen dringend sichere Daten, um die Wasservorräte besser zu managen und sie effizient zu verteilen“, sagt Kirschbaum. Das wird immer dann relevant, wenn wie in den vergangenen Sommern Wasser rationiert werden muss. „Erst mit zuverlässigen Informationen können wir sagen, welche Anbaufrüchte noch Sinn ergeben, wo die Bauern besser über hitzeresistentere Saaten wie Kichererbsen nachdenken sollten und welche Bewässerungstechnik besonders wassersparend ist. Bislang schauen wir da in eine Blackbox.“
Dabei nimmt der Bedarf an Bewässerung in der Landwirtschaft stetig zu. Allein in Brandenburg hat sich das entnommene Grundwasser seit 2003 auf 24 Millionen Kubikmeter verdreifacht. Das entspricht dem jährlichen Trinkwasserbedarf einer Großstadt mit 500.000 Einwohnern. Und bundesweit muss heute 36 Prozent mehr Fläche bewässert werden als noch vor zehn Jahren.
Selbstauskünfte entscheiden, Kontrollen fehlen
Felix Klickermann vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) versucht seit einiger Zeit, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Er forscht zu Wassernot und Konflikten und führt für seine Arbeit Interviews mit Wasserbehörden. Sein erster Befund: „Bei einigen Behörden bestehen Hinweise auf eine hohe Dunkelziffer bei den Grundwasserentnahmen. Das bezeugen etwa einzelne Zufallskontrollen, bei denen mehrere illegale Brunnen entdeckt wurden“, so Klickermann.
Manche Landwirte behinderten den Zugang für Kontrollen oder behaupteten, der entdeckte Brunnen gehöre ihnen gar nicht. „Mein Eindruck ist, in mehreren Wasserbehörden herrscht Überlastung. Sie müssten für ihre Aufgabe besser ausgestattet werden.“ Möglichkeiten der Regulierung sollten laut des Experten häufiger genutzt und rechtliche Bestimmungen zur erlaubnis- und kostenfreien Wassernutzung geprüft werden. Insbesondere, weil das Wasser knapper wird, wie seine Forschung zeigt: In einigen Regionen wird bereits aus zunehmend tieferen Ebenen Grundwasser entnommen.
EU: Wasser muss etwas kosten, um eingespart zu werden
Tatsächlich unterscheidet sich in Deutschland von Wohnort zu Wohnort, ob eine Bäuerin oder ein Landwirt den Wasserkonsum für den Betrieb bezahlen muss oder nicht. Das zeigt eine CORRECTIV-Anfrage an alle zuständigen Landwirtschaftsministerien der Bundesländer.
Dabei schreibt die Europäische Wasserrahmenrichtlinie eindeutig vor, das lebenswichtige Gut etwas kosten zu lassen: Schon ab 2010 sollten Länder angemessene Gebühren für Wasser nehmen. „Die Wassergebührenpolitik soll angemessene Anreize für die Benutzer darstellen, Wasserressourcen effizient zu nutzen, und somit zu den Umweltzielen dieser Richtlinie beitragen.“ Mit anderen Worten: Kostenloses Wasser motiviert kaum, weniger davon zu nutzen.
Dennoch ist die landwirtschaftliche Bewässerung in knapp der Hälfte der deutschen Bundesländer gebührenfrei, wie unsere Recherche zeigt.
Ausgerechnet in den extrem trockenen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg dürfen Landwirtinnen und Landwirte Wasser bislang nahezu kostenlos abpumpen und verteilen. Auch in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zahlen sie nichts für das Wasser in ihren Beregnungsanlagen. In vielen weiteren Ländern sind die Gebühren sehr niedrig und liegen etwa in Bremen bei weniger als einem Cent pro Kubikmeter Wasser. In Niedersachsen, wo massiv Kartoffelfelder bewässert werden, zahlt die Landwirtschaft rund 1 Cent pro Kubikmeter. Die Begründung des Hannoveraner Ministeriums: Es sei eine geringe Gebühr festgelegt worden, weil „die Betriebe in den traditionellen Beregnungsgebieten des Landes – insbesondere in der Lüneburger Heide – große Wassermengen für die Feldbewässerung benötigen.“
So verhindern manche Bundesländer Anreize, dass Wasser eingespart wird: Ausgerechnet in Niedersachsen zahlen die großen Konsumenten, diejenigen also, bei denen angepasste Anbaumethoden besonders viel bringen würden, nur wenig. Manche Experten befürchten daher, dass Landwirte und Bäuerinnen nur wenig darüber nachdenken.
Und dass, obwohl künftig Verteilungskämpfe drohen: Nach unseren Recherchen steigt schon jetzt die Anzahl der Gerichtsverfahren um künftige Wasserentnahmen - und zudem sichert sich die Industrie, vom Chemiegiganten BASF bis zum Kohlekonzern RWE, ihre Rechte häufig auf Jahrzehnte. Ausgerechnet die existentiell notwendige Landwirtschaft könnte dann den Kürzeren ziehen.
Schuld ist auch die EU-Agrarpolitik, die wassersparende Anbaumethoden nicht belohnt. Tatsächlich sind die Subventionen der EU die wichtigste Einkunftsquelle in der Landwirtschaft – allerdings verteilt Brüssel den Großteil seiner Milliardenhilfen nach der Größe des Ackers und nicht nach der Anbauweise. Dabei wäre es möglich, die Subventionen etwa davon abhängig zu machen, ob ein Bauer eine Mindestanzahl von Früchten anbaut, damit die Felder nicht unbedeckt der Hitze ausgesetzt sind und Humus aufbauen, der wiederum Niederschläge speichern kann. Darüber wird aber erst mit der nächsten Agrar-Reform in Brüssel entschieden – also in rund fünf Jahren. Der Europäische Rechnungshof hatte schon im Herbst 2021 bemängelt, dass die EU „allzu oft einen stärkere Wassernutzung fördere.“
Weniger Wasser – gleicher Ertrag
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, für den gleichen Ertrag weniger Wasser zu nutzen. Auch der Humusgehalt ist entscheidend – je mehr Humus ein Boden enthält, desto mehr Wasser kann er speichern. Und dafür wiederum, so schreibt es auch das Landwirtschaftsministerium, sei die biologische Anbauweise besonders günstig: Die im Öko-Landbau häufig angewendeten Mulchverfahren tragen zu geringerer Verdunstung bei – dabei wird der Boden beispielsweise mit Grünschnitt bedeckt. Auch durch den verpflichtenden Anbau von Leguminosen – also Hülsenfrüchten – werde die Bodenstruktur verbessert.
Hilfreich ist, verschiedene Früchte anzubauen und nicht nur durstigen Mais. Auch Wintergetreide ist günstig, ebenso wie Hirse und Sorgho – Kartoffeln hingegen benötigen sehr viel Niederschlag für relevante Ernten.
In einer Dürre müssten die Wasserbehörden entscheiden, wer das verbliebene Wasser nutzen darf. Aber das, so zeigt diese Recherche, müssten sie tun, ohne überhaupt zu wissen, wer wie viel Wasser braucht.
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