In Kolumbien startet an diesem Montag die COP16 zum Schutz der Biodiversität: Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Artensterben und dem Versuch, dieses wenigstens abzumildern
Wie kann die Zerstörung des Planeten gestoppt werden? An diesem Montag startet die 16. Weltnaturschutzkonferenz in Cali, Kolumbien, die sich nichts weniger als das zur Aufgabe stellt: Bis zum 1. November ringen 196 Staaten um Biodiversität, das Ende des Artensterbens, den Schutz von Meeren, Wäldern, Mooren und die Finanzierung von Naturschutz.
Der Freitag beantwortet die wichtigsten Fragen zu dieser UNO-Konferenz.
Inhalt1. Wie geht es den Tieren auf der Welt?2. Und wie steht es um Wälder und Pflanzen?3. Seit wann ist denn gesichert bekannt, dass der Mensch ein Massenmörder ist?4. Gab es denn ein Friedensangebot der Menschen an die Natur?5. Was passiert auf diesen Vertragsstaatenkonferenzen?6. Und der Beschluss einer solchen COP gilt dann auf der ganzen Welt?7. Worum geht es auf der COP 16 in Kolumbien?
8. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch das Artensterben gestoppt werden kann?9. Und wieso kommt der Klimawandel nun auch noch ins Spiel?10. Gibt es denn gar keine Hoffnung?
1. Wie geht es den Tieren auf der Welt?
Dramatisch schlecht. Vögel, Fische, Amphibien, Säuge- oder Kriechtiere: In den letzten 50 Jahren sind ihre Bestände in der Wildnis weltweit um fast drei Viertel geschrumpft. Das ist das Ergebnis des Living Planet Report 2024, für den die Zoologische Gesellschaft London und der Umweltverband WWF weltweit mehr als 5.500 Wirbeltierarten untersucht haben.
Am härtesten hat es dem Bericht zufolge die Wirbeltiere in Lateinamerika und der Karibik getroffen: Ihre Populationen büßten hier bis zu 95 Prozent ein. In Afrika liegt der Rückgang bei 76 Prozent, in der Asien-Pazifik-Region bei 60 Prozent. Wenig verwunderlich: In dicht besiedelten Regionen wie Europa oder Zentral-Asien ist der Rückgang geringer – einfach weil hier heute schon wesentlich weniger Wildtiere leben.
Vom Massensterben besonders betroffen sind Süßwasserbiotope: Die hier lebenden Arten verloren 80 Prozent ihrer Population. Landökosysteme büßten 69 Prozent ihrer tierischen Bewohner ein, die Ökosysteme in den Ozeanen verloren 56 Prozent. Allerdings nimmt in letzteren das Massensterben gerade Fahrt auf:
Der Weltklimarat IPCC warnt, dass bei einer Erderwärmung um 1,5 Grad weltweit bis zu 90 Prozent aller Korallen vernichtet werden. Und die sind oft Ausgangspunkt für viele maritime Meeresketten. Der Living Planet Report erscheint seit 1998, der aktuelle bescheinigt dem Artenschwund eine Beschleunigung: Zwischen 1970 und 2016 lag der Schwund noch bei 68 Prozent, jetzt sind wir schon bei 73 Prozent.
Und der Befund der Wirbeltiere ist nur exemplarisch: Pro Jahr nimmt die Gesamtbiomasse der Insekten um 2,5 Prozent ab. Studien aus verschiedenen Kontinenten zeigen, dass die Population bei 41 Prozent aller Insektenarten zurückgeht und ein Drittel dieser vom Aussterben bedroht ist.
2. Und wie steht es um Wälder und Pflanzen?
Nicht viel besser: In Europa sind 81 Prozent der Lebensräume in einem unzureichenden bis schlechten Zustand. Durch Flächenversiegelungen, intensive Landwirtschaft und Vergiftung sind weltweit viele Böden degeneriert, obwohl sie doch Wasser reinigen, wichtiger Nährstofflieferant für Pflanzen sind und unerlässlich für die Ernährung der Weltbevölkerung. Die Vermüllung der Natur erreicht immer neue Höchststände, inzwischen finden sich Kunststoffreste überall: in Flüssen, Seen und Böden, in den Meeren, ja mittlerweile sogar in unserem Blut.
Die Entwaldung geht weltweit unvermindert weiter, nie verlor der Amazonas in so kurzer Zeit so viel Fläche wie in diesem Jahr. Nach den Bränden kommen die Bauern, um aus der einstigen Waldfläche Baumwoll-, Soja- oder Maisfelder zu schaffen, um Fleisch oder Viehfutter nach Europa exportieren zu können. Auch um den deutschen Wald steht es nicht gut: In den letzten fünf Jahren starben die Fichten auf 461.000 Hektar, damit nahm ihr Bestand hierzulande um ein Sechstel ab, wie die vierte Bundeswaldinventur zeigt.
3. Seit wann ist denn gesichert bekannt, dass der Mensch ein Massenmörder ist?
Seit 1992. Damals fand in Brasilien der Erdengipfel der UNO statt. In Rio de Janeiro trafen Staatsführer wie George Bush, François Mitterrand, Helmut Kohl oder Fidel Castro auf Nobelpreisträger, Vordenker und Visionäre, um den Zustand der Erde zu analysieren. 17.000 akkreditierte Experten und Politiker waren angereist, 8.500 Journalisten schauten ihnen über die Schulter. Erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen wurden Nichtregierungsorganisationen an den Verhandlungen offiziell beteiligt. Und viele Beobachter kritisierten die Ergebnisse damals als viel zu unkonkret. Dabei markierte der Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 eine Zeitenwende: das wichtigste diplomatische Ereignis des 20. Jahrhunderts..... (bei Interesse bitte im Original weiter lesen, hier werden nur Auszüge weiter gegeben)
7. Worum geht es auf der COP 16 in Kolumbien?
Vor zwei Jahren hatten die Vertragsstaaten auf COP 15 beschlossen, weltweit 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Die Zoologische Gesellschaft London fordert nun im Vorfeld, die Mitgliedstaaten müssten nationale Strategien vorlegen, „um von ehrgeizigen Versprechen zur Realität zu gelangen.“ Tatsächlich nämlich müssen die Länder Aktualisierungen ihrer „Nationalen Strategien und Aktionspläne zur Erhaltung der biologischen Vielfalt“ vorlegen.
Zudem wird bis zum 1. November das Konzept der „Rechte der Natur“ beraten werden. Dabei geht es darum, Ökosystemen Personenrechte zuzugestehen. Zudem geht es in der drittgrößten Stadt Kolumbiens um Überwachungsmechanismen, also die Frage, wie beispielsweise Entwaldung überhaupt gemessen wird. Und es geht natürlich um Geld: Naturschutz kostet, aber das sehen die wenigsten Finanzminister ein.
Verhandlungsführer der EU wird der ungarische Ratsvorsitzende sein, Landwirtschaftsminister István Nagy. Für Deutschland verhandelt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnisgrüne).
8. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch das Artensterben gestoppt werden kann?
Leider ausgesprochen gering: Erstens sind die Ziele, die sich die Menschheit gegeben hat, dafür viel zu wenig ehrgeizig. Die Staatengemeinschaft hatte sich vor zwei Jahren auf der COP 15 darauf verständigt, die Rate des Artensterbens auf ein Zehntel bis 2050 zu reduzieren. Das bedeutet: Bis dahin wird weiter gemordet – wenn auch ein wenig weniger brutal. Zweitens ist unklar, ob die Staaten dieses Mal ihre eigenen Beschlüsse ernst nehmen und handeln. Denn die Ziele für 2020 unter der Biodiversitätskonvention wurden allesamt gerissen.
Zudem ist das Artensterben nur ein Nebeneffekt unseres ungezügelten Rohstoffhungers: Der Erdüberlastungstag ist jener Tag, an dem alle Rohstoffe aufgebraucht sind, die ein sich selbst erneuernder Planet in einem Jahr zur Verfügung stellen kann: Bauholz, Erdöl, Eisenerz und Phosphor für die chemische Industrie, aber auch Frischluft, Trinkwasser, Fisch oder jener Platz auf der Müllkippe, den wir zum Abladen unserer Treibhausgase nutzen. In diesem Jahr fiel der Erdüberlastungstag auf den 1. August, und jedes Jahr rückt er immer weiter ein bisschen vor. Naturzerstörung sorgt für Artensterben. Hauptursache sind Ressourcenverbrauch und der Klimawandel......
10. Gibt es denn gar keine Hoffnung?
Doch natürlich! „Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, können Arten zurückkehren und Ökosysteme sich erholen“, urteilt zum Beispiel Meeresbiologin Antje Boetius. Beispiele sieht sie etwa in der Initiative Rewilding Oderdelta, der Aktion Städte wagen Wildnis oder dem österreichischen Projekt Salamander. Auch die Zoologische Gesellschaft London zählt Anzeichen der Hoffnung auf: „Die Zahl der Berggorillas in Zentralafrika hat zwischen 2010 und 2016 aufgrund von Naturschutzbemühungen um jährlich drei Prozent zugenommen.“ Oder die Wisente in Europa: Obwohl die bereits ausgestorben waren, zogen im Jahr 2020 wieder 6.800 Exemplare durch die freie Wildbahn.
Wichtig ist aber, dass die Politik den richtigen Rahmen setzt. So hat Australien gerade die Fläche des Meeresschutzgebietes bei den Heard- und McDonald-Inseln im südlichen Indischen Ozean vervierfacht . Damit ist das Schutzgebiet mit seinen Vulkanen und Gletschern, Pinguinen, Robben und Albatrossen, jetzt größer als Italien. Außerdem hat die Europäische Union gerade ein Renaturierungsgesetz beschlossen, nach dem in den Mitgliedstaaten bis 2030 mindestens 30 Prozent der zerstörten Lebensräume wiederhergestellt werden müssen, bis 2050 sogar 90 Prozent.
Dafür muss jetzt nur noch Finanzminister Christian Lindner (FDP) die notwendigen Mittel bereitstellen.
RND hier 20.10.2024
„Nicht besser geworden“
COP16 startet: Kommt die Trendwende im Naturschutz?
Klimakrise, Umweltverschmutzung und Raubbau zerstören Ökosysteme und gefährden Wildtiere. Vor zwei Jahren einigten sich die Staaten auf einen ambitionierten Schutzplan. Jetzt geht es an die Umsetzung.
Vor der 16. UN‑Konferenz zur biologischen Vielfalt (COP16) in Cali fordern Umweltschützer mehr konkrete Schritte zum Schutz der weltweiten Artenvielfalt. Vor zwei Jahren hatten sich die Staaten in Montreal auf ein umfangreiches Naturschutzabkommen geeinigt – seitdem ist allerdings nach Einschätzung von Kritikern wenig passiert. „Das historische Weltnaturschutzabkommen droht schon nach zwei Jahren zu scheitern“, sagt Georg Schwede von der Umweltschutzorganisation Campaign for Nature. „Bisher passiert zu wenig, zu langsam und zu viel in die falsche Richtung, um die dringend notwendige Trendwende beim Verlust der Artenvielfalt bis 2030 einzuleiten.“
Im Jahr 2022 verpflichteten sich in Montreal rund 200 Staaten auf 23 Ziele, die bis 2030 erreicht werden sollen. Beispielsweise wurde vereinbart, mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Zudem sollen die Industrieländer bis 2025 jährlich rund 20 Milliarden Dollar für den Schutz der Artenvielfalt bereitstellen. Während es in Kanada vor allem um die politische Einigung ging, liegt der Fokus bei der am Montag in Kolumbien beginnenden COP16 nun auf der technischen Umsetzung.
Wir müssen begreifen, wie eng die Biodiversitätskrise und die Klimakrise miteinander verknüpft sind.
Steffi Lemke,Bundesumweltministerin (Grüne)
„Die Situation ist in den vergangenen zwei Jahren nicht besser geworden“, räumt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ein. „Wir müssen begreifen, wie eng die Biodiversitätskrise und die Klimakrise miteinander verknüpft sind.“ Im laufenden Jahr stellt die Bundesregierung 1,36 Milliarden Euro für den Erhalt von Arten und Ökosystemen in Entwicklungs- und Schwellenländern zur Verfügung. Das sind rund 450 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.
Umweltverbände begrüßen die zusätzlichen Mittel zwar als positives Signal, werfen der Bundesregierung allerdings vor, im eigenen Land nicht mit gutem Beispiel voranzugehen. „Deutschland hinkt hinterher“, sagt der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), Jörg-Andreas Krüger. „Es fehlen auf nationaler Ebene klare, messbare, verbindliche Ziele und wirksame Maßnahmen. Der Artenverlust geht ungebremst weiter, und wir verlieren wertvolle Lebensräume, die für das Wohlergehen zukünftiger Generationen unverzichtbar sind.“
Wildtier-Populationen um 73 Prozent geschrumpft
Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigte zuletzt der „Living Planet Report 2024“ der Umweltstiftung WWF und der Zoologischen Gesellschaft London. Demnach schrumpften die insgesamt 35.000 untersuchten Wildtier-Populationen – darunter Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien – in den vergangenen 50 Jahren um durchschnittlich 73 Prozent. Am stärksten betroffen sind Lateinamerika und die Karibik (95 Prozent), gefolgt von Afrika (76 Prozent) und der Asien-Pazifik-Region (60 Prozent).
„Der Mensch ist für das dramatische Artensterben verantwortlich und reißt sich damit selbst in den Abgrund. Wir müssen uns klarmachen, dass die Beiträge von Wildtieren für unser eigenes gutes und sicheres Leben niemals hinreichend von technischen Alternativen ersetzt werden können“, sagte WWF-Artenschutzexpertin Anne Hanschke. „Der einzige Ausweg ist es, das Artensterben zu stoppen und die Bestände von Wildtieren, die uns in der Natur noch bleiben, zu erhalten und zu stärken. Dazu müssen wir die Arten selbst und ihre Lebensräume schützen und sie vor Übernutzung, Wilderei und illegalem Artenhandel bewahren.“
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