Sonntag, 6. Oktober 2024

Greenpeace: eine „gut organisierte Lobby“ , treibt einen unzeitgemäßen Ausbau der Straßen-Infrastruktur voran

 FR  hier  05.10.2024, Von: Joachim Wille

Greenpeace-Bericht entlarvt Lobbydruck hinter Straßenbau-Expansion

Trotz sinkendem Pkw-Verkehr plant Deutschland den Bau von 6000 Kilometern Fernstraßen. Greenpeace sieht Lobbydruck als Hauptursache und warnt vor den Folgen für Klima und Biodiversität.

Bild links: Unterschriftenaktion zwar abgelaufen, es gilt allerdings immer noch

Greenpeace-Report „Asphalt statt Alternativen“  hier

Deutschlands Fernstraßennetz ist eines der dichtesten in Europa – mit rund 13 000 Kilometern Autobahnen und 38 000 Kilometern Bundesstraßen. Trotzdem und trotz des seit Corona gesunkenem Pkw-Verkehrs sollen 6000 Kilometer Fernstraßen neu gebaut werden und 4000 Kilometer Strecke zusätzliche Fahrspuren bekommen, während gleichzeitig das Bestandsnetz zunehmend sanierungsbedürftig ist. Als eine Hauptursache dafür sieht die Umweltorganisation Greenpeace den in Jahrzehnten gewachsenen Lobbydruck der Bauindustrie und anderer Akteure, die von dem Neu- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur profitierten.

Greenpeace hat die Verflechtungen der Straßenbau-Lobby in einem Report analysiert – Titel: „Asphalt statt Alternativen“. Der Report liegt der FR exklusiv vor. Das Interessengeflecht beim Fernstraßenbau reicht danach von den Baukonzernen über die Straßenbauverwaltungen und die Autobauer bis zu den Hochschulen. Es geht dabei für die Unternehmen um gewaltige Umsätze, ansonsten aber auch um Joberhalt und politischen Einfluss. Für die Erweiterung des Netzes sind in den letzten Bundesetats jeweils 2,5 bis drei Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben worden, bei gleichbleibenden Ansätzen betrügen die Kosten bis 2030 also 15 bis 18 Milliarden. Geplant sind insgesamt aber Projekte mit noch weit höheren Kosten.

Warum auch bei IHKs die Geschäftsinteressen von Großunternehmen dominieren
Besonders einflussreich sind laut dem Lobbyatlas große Unternehmen und Verbände. Zwei Drittel aller im Lobbyregister des Bundestages erfassten Akteure im Bereich Verkehrsinfrastruktur sind danach Konzerne und andere Firmen sowie Wirtschafts- und Arbeitgeber-Verbände. Dem Bericht ist weiter zu entnehmen, dass einige wenige Baukonzerne die größten Profiteure des Straßenbaus seien. In den letzten vier Jahren erhielten danach fünf Großunternehmen, darunter Hochtief, Strabag und Max Bögl, Aufträge für Erhaltung, Neu- und Ausbau von Autobahnen, deren Gesamtwert nach Schätzungen mehre Milliarden Euro beträgt und höher liegt als der aller anderen Auftragnehmer zusammen. Laut dem Report summieren sich Aufträge, soweit öffentlich ausgewiesen, auf 1,94 Milliarden Euro. Die Vergabepraxis ist Greenpeace zufolge allerdings in großen Teilen intransparent; für zwei Drittel der Aufträge seien die Summen nicht bekannt.

Laut dem Report dominieren auch bei den Industrie- und Handelskammern (IHKs), die vielerorts einen Ausbau des Fernstraßennetzes fordern, die Geschäftsinteressen von Großunternehmen. Bei sechs untersuchten IHKs, die umstrittene Autobahnprojekte unterstützen, gehört danach die Mehrheit der Präsidiumsmitglieder großen und mittleren Unternehmen an. Kleine Unternehmen, die über 90 Prozent der Mitglieder dieser Organisationen ausmachen, sind nach der Greenpeace-Auswertung in den Präsidien unterrepräsentiert oder gar nicht vertreten.

Greenpeace wirft „dieser gut organisierten Lobby“ vor, trotz der Notwendigkeit einer nachhaltigen Verkehrspolitik und anhaltender Klimaproteste einen unzeitgemäßen Ausbau der Straßen-Infrastruktur voranzutreiben. Das schade nicht nur dem Klimaschutz, sondern durch zunehmende Bodenversiegelung und Zerschneidung der Landschaft auch der Biodiversität. Die Verkehrsexpertin der Organisation, Lena Donat, sagte dazu: „Die deutsche Straßenbaumaschinerie betoniert unaufhaltsam und ignoriert dabei nicht nur Umweltbedenken, sondern erschwert auch eine nachhaltige Verkehrswende.“ Es sei dringend erforderlich, dass die Infrastrukturplanung sich künftig an klima- und sozialpolitischen Zielen orientiert und nicht an den Gewinninteressen von einigen wenigen. Donat fordert, Mittel, die für den Ausbau der Fernstraßen geplant sind, in die Sanierung des bestehenden Netzes und Alternativen wie die Bahn zu stecken. „Eine funktionierende Bahn und Straßen ohne Schlaglöcher bringen den Menschen mehr als immer weitere Betonschneisen durch die Landschaft.“

So viele Kilometer Straße gelten in Deutschland als sanierungsbedürftig
Derzeit gelten über 7000 Kilometer des Fernstraßennetzes und 4000 Autobahnbrücken als sanierungsbedürftig, letzteres gilt seit dem Einsturz der Carola-Brücke in Dresden im September als besonders eilbedürftig. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat zwar angekündigt, 400 Brücken im Jahr sanieren lassen zu wollen. Dies wird jedoch bei weitem nicht erreicht. Derzeit wird wegen nicht ausreichender Mittel nur etwa die Hälfte geschafft, wie der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB) Peter Hübner jüngst in einem Interview mit der „FAZ“ beklagte. Wissings „Brückenbooster“ zünde nicht, sagte der Funktionär. „Und wie es heute aussieht, bauen wir ab dem kommenden Jahr noch weniger. Da vor allem die Planungen fehlen.“


STRASSENBAUETAT
Für den Neu- und Ausbau der Fernstraßen waren in den letzten Bundesetats pro Jahr etwa 2,5 bis drei Milliarden Euro eingeplant. Allerdings würde dieses Geld laut Greenpeace bei weitem nicht für die im Bundesverkehrswegeplan (BVWP), der 2016 bis 2030 gilt, enthaltenen Projekte ausreichen. Der aktuelle Kostenstand der Projekte der dringlichsten Stufen („Fest Disponiert“, „Fest Disponiert – Engpassbeseitigung“, „Vordringlicher Bedarf“ und „Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung“) beträgt danach 123,7 Milliarden Euro.

Ausgegeben wurden bis 2023 rund 23,2 Milliarden. Bleiben gut 100 Milliarden Euro, die inklusive eines Nachlaufs bis etwa 2035 verbaut werden sollen. Wollte man in den nächsten zehn Jahren alle Projekte umsetzen, müssten die Mittel auf rund zehn Milliarden Euro jährlich steigen – ohne mögliche Kostensteigerungen. jw

Die Ausbaupläne für die Fernstraßen sind im aktuellen Bundesverkehrswegeplan (BVWP) festgelegt, der 2016 unter der damals regierenden Merkel-Groko verabschiedet wurde und bis 2030 gilt. Sie basieren unter anderem auf Verkehrsprognosen, die als überholt gelten, spätestens seitdem die Corona-Epidemie das Verkehrsverhalten vor allem durch mehr Homeoffice verändert hat. So waren nach einer Analyse des Berliner Thinktanks Agora Verkehrswende 2023 auf den Autobahnen sieben Prozent weniger Pkw unterwegs als 2019, dem letzten Vor-Corona-Jahr. Agora-Vizedirektorin Wiebke Zimmer schloss daraus: „Die Verkehrsdaten bringen einen weit verbreiteten Glaubenssatz der Verkehrspolitik ins Wanken. Trotz leicht steigender Bevölkerungszahlen und einem stetig wachsenden Pkw-Bestand hat der Autoverkehr gegenüber 2019 abgenommen. Verkehrswachstum ist also kein Naturgesetz.“

Der Kasseler Verkehrsprofessor Helmut Holzapfel kritisierte in dem Greenpeace-Report, in kaum einem anderen Land werde das Fahren über lange Distanzen so gefördert wie in Deutschlandunter anderem durch die Kilometerpauschale, das Dienstwagen-Privileg und die kostenfreie Nutzung fast aller Fernstraßen, letzteres anders als in 16 Ländern Europas, wo es eine streckenbezogene Autobahnmaut gebe, etwa in Italien, Frankreich oder Spanien. „Das wachsende Autobahnnetz bei uns und dessen hohe Attraktivität hängt also auch mit einer massiven Subventionierung großer Entfernungen mit dem Automobil zusammen.“

Holzapfel kritisierte zudem, dass die Verkehrsprognosen und Nutzen-Kosten-Analysen, die die Basis des Bundesverkehrswegeplans bilden, zweifelhaft seien, und „zwar insbesondere bei den veranschlagten Kosten und den Umweltfolgen“. Eine problematische Rolle spiele hierbei die „Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen“ (FGSV), deren Methodik die Verkehrsprognosen in Deutschland stark beeinflusse. Die FGSV arbeite bis heute ohne Einbeziehung von Umweltfachleuten und zivilgesellschaftlichen Organisationen und bewerte neuen Straßenbau durchweg zu positiv. Der Verkehrsexperte, der der Forschungsgesellschaft selbst bis 2015 angehörte, sagte, es sei nicht möglich gewesen, das Gremium von der Notwendigkeit einer Neubewertung des Straßenbaus unter Berücksichtigung von Klima- und Biodiversitäts-Schäden zu bewegen. Sie ebne dem weiteren Straßenbau „entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse“ den Weg.

Wissing hält auch an sehr umstrittenen Fernstraßen-Ausbauplänen fest
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hält an den Fernstraßen-Ausbauplänen trotz der knappen Finanzen im Bundesetat grundsätzlich fest. Darunter auch an sehr umstrittenen Projekten wie dem Weiterbau der A 20 in Norddeutschland, die durch ökologisch und für den Klimaschutz wichtige Moorgebiete führen soll, sowie am Ausbau der A 5 bei Frankfurt/Main auf zehn Spuren, wodurch die erste Autobahn dieser Dimension in Deutschland entstehen würde. Wissing kündigte unlängst ein „Gesamtkonzept“ für die Zehn-Spur-Trasse an und sagte dazu: „Wir haben den Auftrag, dafür zu sorgen, dass Deutschland nicht im Stau steht.“

Die Grünen, die mit der FDP in der Ampel-Koalition sind, sehen die Ausbaupläne kritisch, die aufgrund großen Lobbydrucks zustande kämen. Susanne Menge, Obfrau im Verkehrsausschuss, lobt in diesem Zusammenhang die Greenpeace-Studie. „Die Recherche zeigt eindrücklich, wie das Netzwerk der Pkw-Lobby in so viele gesellschaftliche Bereiche hineinreicht. Auch immer mehr Parteien stellen sich völlig unverbrämt einseitig hinter die Interessen der Autofahrenden.“ Die Grünen hielten weiter dagegen, „auch wenn es auf Bundesebene schwer ist, Unterstützung für eine progressive Mobilitätspolitik zu bekommen“.

Unterdessen kommt Unterstützung für eine neue Sichtweise von unerwarteter Seite. Der Autoclub ADAC überraschte mit einem Statement zum A5-Projekt: Man lehne „einen sofortigen 10-streifigen Ausbau der A5 ab“, meldete der ADAC Hessen-Thüringen. Gründe: Die prognostizierten Verkehrsmengen für 2025 würden voraussichtlich deutlich unterschritten. Zudem seien „die enorm hohen technischen, finanziellen und personellen Aufwände bei gleichzeitig begrenzten planerischen und baulichen Kapazitäten nicht gerechtfertigt“. Solche Äußerungen von einem Autofahrerclub sind bemerkenswert, zumal der ADAC vor Jahren auch schon seinen Widerstand gegen ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen aufgegeben hat.

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