Donnerstag, 10. Oktober 2024

Essen retten verboten


Wie sieht es denn mit der Gesetzeslage aktuell aus in Deutschland? siehe dazu Infos vom WWF  und den Verbraucherzentralen weiter unten
Anhörung im Bundestag 2023  hier

Bild rechts: Aktion des KlimaCamps in Ravensburg


hier  DER STANDARD aus Österreich  - Klimaklartext

es gibt wenige Dinge, die mein Denken über Nachhaltigkeit so früh und stark geprägt haben wie der österreichische Dokumentarfilm We feed the World. Dort sind Menschen zu sehen, die Backbleche voller Brot aus den typischen Supermarkt-Wägen reißen und auf ein Förderband werfen. Am Ende des Bandes: Ein Berg aus Essen, bestimmt für die Vernichtung. Mein 13-jähriges Ich war schockiert, wütend über diese maßlose Verschwendung.

Einige Jahre später öffnete ich selbst nachts die Mülltonnen von Supermärkten – was ich dort vorfand, bestätigte meine Befürchtungen: Obst und Gemüse mit kleinen Druckstellen, Backwaren vom Vortag – alles essbar, aber für den Verkauf nicht mehr gut genug.

"Dumpstern" oder "Containern" nennt man es in der Szene, wenn man Lebensmittel aus dem Müll holt – und wer es betreibt, könnte in Österreich in Konflikt mit dem Gesetz kommen. Am 20. August wurde der arbeitslose Christian A. in Wien wegen Diebstahls (nicht rechtskräftig) verurteilt, weil er Essen aus dem Müllcontainer eines Supermarktes genommen hatte. Das berichtete mein Kollege Benedikt Narodoslawsky.

Vier Wochen bedingte Haft bekam Christian A. für sein Vergehen, das viele wohl als moralisch richtig empfinden. Es handelt sich laut Experten um einen der ersten bekannten Fälle dieser Art in Österreich. A. will jedenfalls gegen das Urteil Berufung einlegen.

In Österreich und auch Deutschland bewegen sich Menschen, die "containern", in einer rechtlichen Grauzone. Denn ob die Praktik illegal ist, hängt einerseits vom Wert der "gestohlenen" Waren ab, erklärt Strafrechtler Johannes Oberlaber im STANDARD. Einzelne Lebensmittel zu entwenden sei eher nicht strafbar.

Auch weil sich "Mülltaucher" möglicherweise nicht ihres gesetzeswidrigen Handels bewusst sind, könnte der für eine Straftat notwendige Vorsatz fehlen. Viele Supermärkte zeigen sich laut STANDARD-Anfrage aber ohnehin kulant: Wenn der Müllraum zugänglich ist und nicht beschädigt oder verschmutzt werde, gehe das Containern für die Kette in Ordnung.

Trotz dieser Grauzone gibt es in Österreich derzeit keine Pläne, die Rechtslage zu ändern. Das Klimaministerium setzt stattdessen auf Programme zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen direkt an der Quelle.

Dennoch plädiert Benedikt in seinem Kommentar dafür, das Müllfischen zu legalisieren. Es sei unerträglich, dass ausgerechnet jene Menschen kriminalisiert werden, die dem "kranken System" etwas entgegensetzen.

Wie ich persönlich dazu stehe, muss ich Ihnen wohl nicht erklären. Ich habe immer noch die auf dem Fließband kullernden Brotlaibe vor meinen Augen.


Guten Appetit wünscht

Philip Pramer


Standard  Kommentar  von Benedikt Narodoslawsky, 8. Oktober 2024

Legalisiert das Müllfischen!

Ein Gericht verurteilte einen Mann wegen Diebstahls, weil er Lebensmittel aus dem Mistkübel geholt hatte, um sie zu essen und zu verschenken. In was für einem perversen System leben wir?


WWF  hier

Containern soll straffrei werden

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) machen Mitte Januar 2023 mit einem Vorschlag, das Containern nicht länger unter Strafe zu stellen, von sich Reden. Sie wollen, dass der Straf- und Bußgeldkatalog für Containern geändert wird. Menschen sollen, so schreibt die Tagesschau, nicht mehr bestraft werden, „wenn sie noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern holen“. In einem Schreiben an die Justizminister:innen der Länder schlagen Özdemir und Buschmann vor, sich einer Initiative des Landes Hamburg von 2021 anzuschließen.

Allerdings macht Minister Buschmann eine Einschränkung: Straffreiheit soll nur dann gewährleistet sein, wenn zum Hausfriedensbruch keine Sachbeschädigung hinzukommt. Das heißt also: Wird ein Tor aufgebrochen, um an den Container zu gelangen, ist der Vorgang weiterhin strafbar. Muss eine Mauer oder ein Zaun überwunden werden und es entsteht dabei kein Schaden, soll das Containern straffrei bleiben. 

Containern muss überflüssig werden

Die Entkriminalisierung des Containerns ist ein guter und wichtiger Schritt. Jedes gerettete Lebensmittel ist ein positiver Beitrag für die Umwelt, das Klima und den Ressourcenschutz. Zudem kann das „Retten“ von Lebensmitteln Transparenz über das Ausmaß der Verschwendung schaffen und somit zu einem erhöhten Bewusstsein in der Bevölkerung beitragen.

Gleichzeitig packt die Regierung das Problem damit nicht an der Wurzel. Es geht hier nur um die bessere Umverteilung der Überschüsse – ganz am Ende der Lieferkette. Der WWF fordert stattdessen konkret, dass die Überschussproduktion schon am Anfang der Lieferkette verhindert wird. Dafür müssen Lebensmittelunternehmen gesetzlich zu einer branchenspezifischen Reduktion verpflichtet werden und darüber transparent berichten.


„Die Entkriminalisierung ist ein guter Schritt.
Mittelfristig muss die Politik aber dafür sorgen, dass das Containern überflüssig wird.“

Dr. Rolf Sommer, Leiter Landwirtschaft & Landnutzungswandel WWF Deutschland


Besonders der Einzelhandel hat dabei eine wichtige Stellung in der Lieferkette und muss in Zusammenarbeit mit den Lieferanten in der Bestellpolitik sowie in den eigenen Märkten und der Kundenkommunikation zur Reduzierung der Verschwendung beitragen.

Auch die Frage nach der Ernährungsarmut in Deutschland ist mit der Möglichkeit des Containerns längst nicht ausreichend geklärt. Einkommensschwache Haushalte können sich derzeit gesunde und nachhaltige Lebensmittel immer weniger leisten. Sie benötigen dabei umfassende Unterstützung. Kurzfristig sollte die Bundesregierung auch deshalb die Mehrwertsteuer auf gesunde Erzeugnisse wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte senken oder gar streichen. Die EU-Kommission ermuntert dazu ausdrücklich. Die Höhe der Sozialleistungen muss entsprechend angepasst werden und die soziale Abfederung neuer Maßnahmen muss von Anfang an mitgedacht werden.


Der WWF fordert von der Politik:

dem Beschluss des Bundesrates umgehend nachzukommen und für alle Wirtschaftsbeteiligten auf allen Herstellungs- und Handelsebenen eine Pflicht zur Reduzierung der Lebensmittel umsetzen.

bei Wirtschaftsbeteiligten darauf hinzuwirken, dass Standards für Obst und Gemüse, die auf ästhetischen Merkmalen basieren, keine Anwendung mehr finden. Voraussetzung dafür ist eine bessere Unterscheidung der auf EU-Ebene gesetzlich vorgegebenen Vermarktungs- und Qualitätsnormen von zusätzlichen freiwilligen Qualitätsstandards.

sich in Brüssel im Rat dafür einzusetzen, dass die geplanten EU-weiten Ziele zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung entlang der gesamten Lieferkette gelten – beginnend mit den Vor-Ernteverlusten.

ein tiefgehendes und verbindliches Daten-Reporting entlang der gesamten Lieferkette für Unternehmen umzusetzen. Ein großes Problem beim Thema Lebensmittelverschwendung ist die unsichere Datenlage, die ausgehend von der Politik verbessert werden muss. Besonders auf den frühen Stufen der Lieferketten sind die Daten ungenau, hier entsteht ein verzerrtes Bild und auch das politische Augenmerkt liegt oft auf den Verbraucher:innen.


Verbraucherzentrale  hier  zum Thema Containern

Das Wichtigste in Kürze:

  • Containern ist rechtswidrig und stellt den Straftatbestand des Diebstahls dar.
  • Anfang des Jahres 2023 hat sich der Bundestag erstmals mit einem Gesetzentwurf befasst, um das Container zu entkriminalisieren.
  • Doch bereits das geltende Recht bietet Möglichkeiten, von einer Bestrafung abzusehen.
  • Der Handel lehnt die Legalisierung des Containerns ab. Unter anderem deshalb, weil Lebensmittel aus Abfallcontainern bei Verzehr die Gesundheit schädigen können und der Handel dafür haftet.

Verbraucherzentralen: Lebensmittelverschwendung vermeiden, Ernährungsarmut bekämpfen
Entsorgte Lebensmittel stehen am Ende der Kette. Viel sinnvoller wäre es, die Lebensmittelabfälle würden gar nicht erst entstehen. Doch Deutschland hat kein ressourcensparendes Lebensmittelsystem: Überproduktion und Überangebot sind an der Tagesordnung.

Sieht mal ein Obst oder Gemüse nicht perfekt aus, kommt es gar nicht erst in den Handel, sondern wird gleich in der Landwirtschaft aussortiert oder untergepflügt. Oder Lebensmittel mit Mindesthaltbarkeitsdatum werden bis zu fünf Tagen vor Erreichen des Datums aus dem Regalen entfernt und entsorgt. Handel und Politik sind also gefordert, Lebensmittelverschwendung gar nicht erst entstehen zu lassen, sowie Ernährungsarmut zu bekämpfen.

Noch nie gab es so viele Bedürftige. Ernährungsarmut ist in Deutschland bittere Realität. Es gibt Bedürftige, die Essen aus Containern holen, weil sie sich den Einkauf nicht mehr leisten können. Tafeln und andere soziale Organisationen geben zwar gespendete Lebensmittel an Menschen mit geringem Einkommen aus. Doch nicht alle wollen oder können sie aufsuchen. Zudem reicht das Angebot der bundesweit 975 Tafeln für die bis zu 2 Mio. Tafelkund:innen an vielen Stellen nicht mehr aus.

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