Sonntag, 20. Oktober 2024

Werdet erwachsen! Wer die „emotionale Reife“ nicht erlangt, der „erzählt die falschen Geschichten“

Frankfurter Rundschau  hier  Buchbesprechung  20.10.2024, Von: Peter Rutkowski

Buch  „Radikal emotional: Wie Gefühle Politik machen“ 

Maren Urner gibt der Welt einen ziemlich unmissverständlichen Bildungsauftrag.

Maren Urner: „Radikal emotional. Wie Gefühle Politik machen“, Droemer 2024, 288 Seiten, 22 Euro

Die schlechte Nachricht vorab: Es wird weiter geschossen werden. Und das Klima zerstört werden. Irgendwie hat das mit der Aufgabe körperlicher Züchtigung als Lernmittel für die Menschheit nicht recht geklappt: Wir lernen erst, wenn’s zu spät ist und es richtig weh tut. Aber selbst, dass die Welt nicht erst seit gestern mit Wladimir Putin auf dem Vulkanrand eine „Let’s Dance“-Peinlichkeit hinlegt, auch dass nur noch die größten dreistesten selbstsüchtigen Rindviecher die Klimakatastrophe leugnen – das tut komischerweise alles noch nicht ausreichend weh.

Gut, dass es denkende erwachsene Menschen wie die Neurowissenschaftlerin Maren Urner gibt, die dann alles tun, um die Menschheit aus ihrem suizidalen Tran aufzuwecken. Mit zwei „Spiegel“-Bestsellern im akademischen Sturmgepäck („Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ und „Raus aus der ewigen Dauerkrise“) und dem jüngsten brandgefährlichen Bestseller in der Hand.

Urner ist da „a woman with a mission“, die sie mit einer ungemein sympathischen, lockeren, durchdachten und klug unterhaltsamen Medien-Persona kaschiert. Die hat sie auch just erst bei der Buchmesse-Lesereihe „Open Books“ am Samstagabend im Historischen Museum Frankfurt einem voll besetzten Saal im Gespräch mit der kommissarischen FR-Chefredakteurin Karin Dalka (r. im Bild) wieder aufgefahren. Um die wichtigen Erkenntnisse ihrer Denkarbeit uns allen kräftig einzubleuen. Es gilt dabei auch keine Zeit zu verlieren. Urner gibt der Welt nur einen kleinen Fensterspalt, um ... ja, um erwachsen zu werden. Sie umschreibt das mit „emotionaler Reife“.

Die fordert sie im Übrigen sicher zur Freude aller kritischer Medien auch als Eingangstest für Bundestagsmandate. Wer diese „Reife“ nicht erlangt (muss im Kleinkindalter beginnen), der „erzählt die falschen Geschichten“, sprich: Es wird von alters her vorgegeben, nur das Rationale sei ernsthaft, das Gefühl (das Mann gerne schuldhaft den Frauen zuordnet) sei ein schlechter Ratgeber. 

„Die Trennung haben wir gelernt“, konstatiert Dalka. Und dem wird alles untergeordnet, weshalb unsere „Geschichten“ uns nicht weiterbringen: Alles bleibt wie gehabt – in der Regel von Männern vom Lagerfeuer bis zum Plenum vorgegeben – „und das hat uns so viele Probleme gemacht“, moniert Urner. Dabei sei doch eigentlich klar, dass unterschiedliche Bedürfnisse der politisch Agierenden ihre Agenda immer beeinflussen. Und Bedürfnisse sind – Trommelwirbel: – Gefühle.

Die Gefühle, so Urner, wabern in uns ungeordnet umher, aber indem wir sie interpretieren, geben wir ihnen eine gefestigte Architektur, mithin eine „Reife“, mit der es sich arbeiten lässt. Und da der Mensch ein „soziales Wesen“ ist, also kooperativ, brauchen wir solche verlässlichen Grundlagen für vernünftige Politik (denn Vernunft ist auch Gefühl). Aus einer Langzeit-Verhaltensanalyse der Uni Harvard lasse sich folgern: Je egalitärer eine Gesellschaft ist, desto zufriedener ihre Mitglieder. Weil die Machtfrage in sozialen Beziehungen dann nicht mehr zuvorderst steht. Eigentlich alles ganz sonnenklar.

Aber die Distanz der Menschen zu dieser Erkenntnis ist so groß wie von der Erde zur Sonne. Und deshalb wird auch heute weitergeschossen werden. Und das wird morgen nicht aufhören. Aber solange wir noch die Zeit und die Freiheit haben, unter anderem durch Lesen endlich mal erwachsen zu werden – also reif –, so lange müssen wir das auch nutzen. Wir hätten da ein Buch zu empfehlen ... Peter Rutkowski


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