Standard hier Reportage/Marie Kermer 26. Oktober 2024
Die Hüterinnen der WildnisNaturschutz: Die Frauen, die den kolumbianischen Regenwald gegen Drogenkartelle verteidigen
Im Amazonas Kolumbiens trotzen Frauen Gewalt und Naturzerstörung, um einen der artenreichsten Orte des Planeten zu erhalten. Es ist ein Beispiel dafür, worauf es bei der diesjährigen Biodiversitätskonferenz ankommt
Es ist ein großer Moment für Laura Silver, als sie ein Eventcenter in Cali, Kolumbien, betritt. Dort findet in diesen Tagen die 16. UN-Biodiversitätskonferenz mit dem Motto "Peace with Nature", also "Frieden mit der Natur", statt. Silver ist aus der Amazonasgegend Putumayo angereist, um auf die gewaltvollen Konflikte in ihrer Heimat aufmerksam zu machen und an Verhandelnde zu appellieren, den Regenwald zu schützen.
Die UN-Biodiversitätskonferenz basiert auf der Konvention für Biologische Vielfalt (CBD), die 1993 ins Leben gerufen wurde und bis heute 193 Staaten unterzeichneten, darunter auch Österreich. Im Groben hat sich die Staatengemeinschaft mit der Konvention darauf geeinigt, den rasch voranschreitenden Artenverlust zu stoppen. Bei der vergangenen COP 15 vor zwei Jahren wurde zusätzlich mit dem Globalen Biodiversitätsabkommen beschlossen, 30 Prozent der Erde bis 2030 unter Schutz zu stellen. Wie das gelingen soll, ist Teil der derzeitigen Verhandlungen.
Gleichgewicht herstellen
Auf der Tagesordnung steht zum Ende der Konferenz hin auch, "Frieden mit der Natur" in einer offiziellen Erklärung zu verankern. Für Silver ist das sehr bedeutsam. "Wir brauchen Klarheit, dass Frieden nicht nur die Abwesenheit von bewaffneten Konflikten ist, sondern dass Frieden die Verbindung und das Gleichgewicht zwischen allen Ökosystemen bedeutet, zwischen allen Akteuren, die in einem Gebiet wohnen", sagt sie. Allerdings könne dieser Frieden in einem Gebiet, das von bewaffneten Konflikten geprägt sei, nicht erreicht werden. Wer in Silvers Heimat, ins kolumbianische Putumayo, reist, beginnt zu verstehen, wie sie das meinen könnte.
Eine Holzhütte im Halbdunklen nahe Mocoa, am Rande des kolumbianischen Amazonas: Die Wände zieren Malereien. Es duftet nach Aromen. Langsam kreisen zwei Frauen um das Feuer herum. Bedacht platzieren sie einen nackten Fuß nach dem anderen auf dem Sand. Ihre Arme schwingen Rasseln. Eine von ihnen ist Sandra Chasoy aus dem Stamm der Inga. Mit halbgeschlossenen Augen entlockt sie ihrer Mundharmonika melancholische Töne. Das Feuer, der Kontakt zum Boden seien Wege, sich mit der Natur zu verbinden, sagt sie.
Eine gerodete Fläche im kolumbianischen Amazonasgebiet, auf der Koka angebaut wird. Die Abholzung des Regenwaldes für illegale Plantagen ist einer der Hauptkonflikte, mit denen sich Umweltschützerinnen wie die "Tejedores de Vida" in der Region konfrontiert sehen.
Hüterinnen der Artenvielfalt
Indigene Frauen wie Chasoy stehen in einer starken Verbindung mit dem Territorium, das ihre Familien seit Generationen bewohnen und pflegen. Auf der COP 16 sollen sie laut Agenda stärker an den Verhandlungstisch geholt werden, weil sie durch besondere Naturkenntnisse einen großen Teil der weltweiten Artenvielfalt hüten.
Chasoy gehört genau wie Silver zu "Guardians del Agua", frei übersetzt Wasserwächterinnen, einer Gruppe von mehr als 100 Frauen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, Flüsse in Putumayo zu schützen. Dazu forsten sie Wälder mit heimischem Saatgut auf und sammeln Plastik ein. Guardians del Agua ist Teil der größeren Allianz "Tejedores de Vida", übersetzt: Weberinnen des Lebens. Tejedores de Vida bildet ein Netzwerk aus rund 65 Frauengruppen, die über das Department verstreut agieren. Vereint sind sie durch das gemeinsame Ziel, Umweltzerstörung und Gewalt gegen Frauen zu trotzen.
Bewaffnete Gruppen
Damit haben die Tejedores de Vida kein leichtes Vorhaben. Das verdeutlicht eine traurige Geschichte, die Chasoy erzählt. Gloria, eine Stammesangehörige und Freundin von ihr, sei im unteren Teil Putumayos ermordet worden, sagt Chasoy. Sie sei dabei gewesen, dort Bäume zu pflanzen. Was genau geschah, weiß Chasoy nicht. Naheliegend ist aber, dass Gloria einer der bewaffneten Gruppen in die Quere kam, die dort den Anbau von Kokasträuchern kontrollieren und in illegalen Goldminen schürfen.
Putumayo war in dem 50 Jahre anhaltenden Konflikt zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc-Guerilla besonders betroffen von Gräueltaten. Nachdem die Guerilla und die Regierung 2016 einen historischen Friedensvertrag unterzeichnet hatten, desertierten einige der ehemaligen Farc-Rebellen zu paramilitärischen und anderen bewaffneten Gruppen, die bis heute große Territorien in Putumayo beherrschen. Sie finanzieren sich über Drogenhandel und illegale Goldminen. Wer sich für Natur und Landrechte engagiert, kann mit ihnen in einen verhängnisvollen Konflikt geraten.
Gefährlicher Aktivismus
Auch deshalb ist Kolumbien laut dem "Global Witness"-Report für Umweltschützerinnen und Umweltschützer das gefährlichste Land der Welt. Allein 2023 wurden hier 79 Menschen ermordet, weil sie sich für Natur oder Landrechte engagierten. Putumayo ist mit Cauca und Nariño eines der am stärksten betroffenen Departments.
"In Kolumbien hat der bewaffnete Konflikt nicht nur unsere Gesellschaft stark getroffen, sondern auch die Natur völlig zerstört", sagt Silver. Um Rohstoffe aus Bergminen zu extrahieren, Koka zu pflanzen oder Ölquellen zu erschließen, seien Wälder abgeholzt und Flüsse verschmutzt worden. Zudem ließ die ehemalige Regierung in den 90er-Jahren Glyphosat, ein starkes Unkrautbekämpfungsmittel, mit Flugzeugen in der Luft versprühen, um Kokafelder auszurotten. "Das hat ganze Ökosysteme geschädigt, und viele Menschen starben an einer Vergiftung."
Kampf um Land
Naturzerstörung und Gewalt betreffen Frauen in Putumayo besonders, sagt Silver. Bewaffnete Akteure hätten oft ein Interesse daran, ihr Territorium auszuweiten. Daher müssen sich die Umweltschützerinnen, um die abgeholzten Stellen aufforsten zu können, an abgelegene Orte begeben. Dort werden sie leicht Opfer von geschlechtsspezifischen Gewalttaten. "Viele Frauen von Guardians del Agua wurden von bewaffneten Gruppen vergewaltigt, körperlich misshandelt, beschossen und bedroht." Man wolle sie einschüchtern, fernhalten. Es ist ein Kampf um Land.
Trotz dieser Gefahren reisen Chasoy und Silver über lange Distanzen, teils bis zu neun Stunden mit Bus und Boot, um den Regenwald aufzuforsten. Auch versuchen sie durch verschiedenste Aktionen, die Gewalt gegen Frauen nicht im Schweigen versinken lassen. An einem lauen Mittwochabend im Oktober vor dem Hauptquartier der Tejedores de Vida demonstrieren sie das für die Presse: Die rund zehn Frauen sind in einem Halbkreis aufgestellt und lassen die Schläger in rhythmischen Bewegungen auf große Trommeln prasseln. Das erzeugt Lärm und Aufmerksamkeit. Ein Prozedere, das die Frauen immer wiederholen, wenn eine von ihnen durch männliche Hand versehrt wird. Heute ist Silver unter ihnen, wippt ihren Oberkörper im Takt. Immer wieder gleitet ihr in diesem bestärkenden Moment ein Lächeln über die Lippen.
Von Kriminalität befreien
Rund zwei Stunden Autofahrt südlich von Mocoa liegt die Gemeinde Puerto Caicedo. Dort versucht eine Gruppe ehemaliger Kokapflückerinnen, sich von ihrer durch Kriminalität geprägten Vergangenheit zu befreien. Gleichzeitig lösen sie sich durch eine gemeinsame Fischfarm aus der finanziellen Abhängigkeit von ihren Ehemännern.
Aura Ruiz Morales leitet den Verband für Fisch- und Viehzüchterinnen, der wie die Guardians del Agua eine Gruppe der Tejedores de Vida ist. Wie der Name vermuten lässt, verkaufen die zwölf Frauen Fisch, rund 3500 Kilogramm alle sechs Monate, und Hühner.
Machokultur
An einem Samstagmittag im Oktober wirft Morales Futter in einen Teich, in dem sich Cachama- und Tilapia-Fische tummeln. Innerhalb weniger Sekunden ploppen silber-orange Fischkörper an die Wasseroberfläche, um die Nahrung zu verschlingen. Morales erzählt, wie sie sich an ihre Zeit auf den Kokafeldern erinnert: "Natürlich brachte die Arbeit viel Geld, aber man musste immer Angst haben, in Konflikt mit einer bewaffneten Gruppe zu geraten. Sie wollten die Bauern kontrollieren." Jetzt fühle sie sich die meiste Zeit sicher, sagt Morales. Vielleicht sorgt auch der Bodyguard dafür, der fast unmerklich ein paar Meter weiter steht und mit seinen zwei weiteren Kollegen verschiedene Gruppen der Tejedores de Vida betreut. "Frauen in Führungspositionen werden hier nicht gern gesehen", erklärt eine ihrer Kolleginnen.
Auf die Frage, wie ihre Ehemänner auf ihre Geschäftsidee reagiert haben, antwortet sie: "In einigen unserer Häuser herrscht noch immer eine starke Machokultur, deshalb betrachteten sie es anfangs als Zeitverschwendung. Später haben sie es einfach akzeptiert." (Marie Kermer, 26.10.2024)
Transparenzhinweis: Die Frauen, die zur Allianz der "Tejedores de Vida" gehören, lernte unsere Autorin bei einem Presseausflug des WWF in Putumayo kennen. Die Tejedores de Vida werden vom WWF finanziell und logistisch unterstützt.
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