Donnerstag, 17. Oktober 2024

Die Welt steht vor einem neuen "Zeitalter der Elektrizität", in dem fossile Brennstoffe an Bedeutung verlieren

hier  Focus Artikel mit dpa-Material  16.10.24

Nur vier Hürden bremsen noch - Jetzt beginnt die unaufhaltsame Ära der Erneuerbaren Energien

Erneuerbare Energien boomen weltweit und treiben die Energiewende mit nie dagewesenem Tempo voran, berichtet die Internationale Energieagentur. Trotz des Wachstums sind die Klimaziele aber weiterhin außer Reichweite - vier Hürden müssen dazu noch überwunden werden.

Für das, was da gerade passiert, hat Fatih Birol einen prägnanten Satz gefunden. „Nach dem Zeitalter der Kohle und dem Zeitalter des Öls tritt die Welt jetzt schnell in das Zeitalter der Elektrizität über“, sagte der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA) anlässlich der Vorstellung des jählichen Weltenergieausblicks.

Der „World Energy Outlook“ gilt als wichtigste Standortbestimmung zur Zukunft der weltweiten Energieversorgung. Und die Analystinnen und Analysten der IEA sagen einen Kipppunkt im globalen Stromsystem voraus: Mehr als die Hälfte des weltweiten Stroms soll bis 2030 aus emissionsarmen Quellen erzeugt werde - also vor allem Wind und Solar, aber auch Kernkraft, Biomasse und Wasserkraft. Die Investitionen in Erneuerbare Energien näherten sich der Marke von zwei Billionen US-Dollar pro Jahr, heißt es in dem IEA-Bericht - mehr als doppelt so viele wie in fossile Energieträger. Für die Energiewende kritische Rohstoffe wie Kobalt oder Lithium werden außerdem immer weiter verfügbar.

„Die Zukunft ist elektrisch“

Die Nachfrage nach den fossilen Brennstoffen Kohle, Öl und Gas werde bis zum Ende des Jahrzehnts ihren Höhepunkt erreichen und dann beständig fallen. Die Folge seien sinkende Preise für Verbraucher, was der Politik wiederum Spielraum verschaffe, sich auf mehr Investitionen in saubere Energien zu konzentrieren sowie auf die Abschaffung ineffizienter Subventionen für fossile Brennstoffe.

In Europa und Nordamerika geht der Ölverbrauch jetzt schon zurück, während er in Märkten wie Indien, Afrika und Südostasien noch ansteigt. Das Verhältnis zwischen erneuerbaren und fossilen Energien, auch das ist ein Fazit des IEA-Berichts, sieht global noch sehr unterschiedlich aus. „In vorherigen Ausgaben des 'World Energy Outlook' hat die IEA klargemacht, dass die Zukunft des globalen Energiesystems elektrisch ist“, sagt Birol. „Jetzt ist es für alle sichtbar.“

Vier große Hürden

Trotz allem sehen die Expertinnen und Experten noch vier große Hürden auf dem Weg in die neue Ära.

1. Globale Spannungen: Der sich zuspitzende Konflikt im Nahen Osten und Russlands anhaltender Krieg in der Ukraine unterstreichen die Risiken für die Energiesicherheit, mit denen die Welt konfrontiert ist. Zwar seien einige der unmittelbaren Auswirkungen der globalen Energiekrise bereits abgeklungen, aber das Risiko weiterer Erschütterungen ist aus IEA-Sicht hoch. 

Die Erfahrung der letzten Jahre zeige, wie schnell sich Abhängigkeiten in Schwachstellen verwandeln könnten, so die Behörde. Das gelte auch für saubere Energieversorgungsketten, bei denen es hinsichtlich Rohstoffen und Technik eine hohe Abhängigkeit von einzelnen Ländern gebe.

2. Es braucht noch mehr Einsatz: Für einen anhaltend schnellen Ausbau sauberer Energie sind aus Sicht der IEA wesentlich höhere Investitionen insbesondere in Stromnetze und Energiespeicher erforderlich. Eine sichere Dekarbonisierung des Stromsektors erfordere, dass Investitionen in Netze und Speicher schneller steigen als die saubere Stromerzeugung selbst. Viele Versorgungssysteme seien derzeit anfällig für die Zunahme extremer Wetterereignisse, was die Bemühungen um mehr Widerstandsfähigkeit und digitale Sicherheit wichtiger mache.

3. Ärmeren Ländern fehlt der Zugang: In einigen Regionen der Welt behindern laut der IEA außerdem hohe Finanzierungskosten und Projektrisiken die Verbreitung kostengünstiger sauberer Energietechnologien - also dort, wo sie am dringendsten benötigt würden. Dies sei vor allem in Entwicklungsländern der Fall, wo diese Technologien den größten Nutzen für die nachhaltige Entwicklung und die Verringerung der Emissionen bringen könnten.

Der fehlende Zugang zu Energie ist nach dem IEA-Bericht weiterhin die größte Ungerechtigkeit im heutigen Energiesystem: 750 Millionen Menschen - vor allem in Afrika südlich der Sahara - haben keinen Zugang zu Elektrizität und über zwei Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberen Brennstoffen zum Kochen.

4. Der Klimawandel ist jetzt schon da: Der Klimawandel bringt die Energiesicherheit laut IEA in Gefahr. In vielen Regionen der Welt stellten extreme Wetterereignisse, die durch jahrzehntelange hohe Emissionen verschärft worden seien, bereits jetzt eine große Herausforderung für den sicheren und zuverlässigen Betrieb der Energiesysteme dar. Das betreffe immer heftigere Hitzewellen, Dürreperioden, Überschwemmungen und Stürme.

Der Höhepunkt kommt bald

Trotz der zunehmenden Dynamik bei der Umstellung auf saubere Energien sei die Welt vom Erreichen der Klimaneutralität noch weit entfernt. Entscheidungen von Regierungen, Investoren und Verbrauchern verfestigten allzu oft die Mängel des heutigen Energiesystems, anstatt es auf einen saubereren und sichereren Weg zu bringen, so der IEA-Bericht. Dazu kämen zunehmende Hitzewellen mit einer verstärkten Nutzung von Klimaanlagen, der Vormarsch der auf Rechenzentren angewiesenen Künstlichen Intelligenz, aber auch Effizienzmaßnahmen, die sich auf die künftige Stromnachfrage auswirken könnten.

Ausgehend von den heutigen politischen Rahmenbedingungen werden die weltweiten Kohlendioxidemissionen nach der IEA-Prognose ihren Höhepunkt bald erreichen. Da danach kein starker Rückgang erwartet werde, sei mit einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 2,4 Grad zu rechnen und damit um deutlich mehr als das angestrebte 1,5-Grad-Ziel.


hier  15.10.24

IEA-Chef Birol: Gänzlich andere Energiewelt in Sicht

Öl- und Gasüberschüsse in Sicht. IEA sieht Wendepunkt für fossile Energien. Doch was bedeutet das für die globale Energiezukunft?

Die Welt steht vor einem neuen "Zeitalter der Elektrizität", in dem fossile Brennstoffe an Bedeutung verlieren. Dies geht aus dem neuen World Energy Outlook der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. Die Nachfrage nach Öl und Gas wird demnach noch in diesem Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen.

Überschüsse bei Öl und Gas erwartet

Die IEA prognostiziert, dass es in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zu einem Überangebot an Öl und Flüssiggas (LNG) kommen könnte. "Die Aussicht auf ein größeres oder sogar überschüssiges Angebot würde uns in eine gänzlich andere Energiewelt führen", sagte IEA-Chef Fatih Birol. Das könnte die Preise drücken und Mittel für Investitionen in saubere Energien freisetzen.

Allerdings sei die weitere Entwicklung mit großen Unsicherheiten behaftet. Dafür sorgen laut IEA vorwiegend geopolitische Spannungen, etwa im Nahen Osten und in Russland. Hinzu kommen 2024 Wahlen in Ländern, die für die Hälfte des weltweiten Energiebedarfs stehen. Kurzfristig könnten Konflikte auch zu Engpässen in der Ölversorgung führen.

Rekord bei Erneuerbaren – fossile Nachfrage vor Peak

Trotz dieser Risiken schreitet die Entwicklung sauberer Energien rasch voran. Im Jahr 2022 ging weltweit eine Rekordmenge an sauberer Energie ans Netz, darunter mehr als 560 Gigawatt an erneuerbarer Stromerzeugungskapazität.

Die weltweite Ölnachfrage erreicht nach dem IEA-Szenario auf Basis der aktuellen Politik noch vor 2030 mit knapp 102 Millionen Barrel pro Tag ihren Höhepunkt. Danach sinkt sie bis 2035 wieder auf das Niveau von 2023, hauptsächlich wegen der sinkenden Nachfrage im Transportsektor durch die zunehmende Verbreitung von Elektroautos.

Erneuerbaren-Ausbau muss beschleunigt werden

Um den Übergang zu einer sicheren und sauberen Energieversorgung zu beschleunigen, sind laut IEA jedoch noch stärkere politische Maßnahmen und höhere Investitionen – vorwiegend in Stromnetze und -speicher – erforderlich. Derzeit fließen von jedem Dollar, der in erneuerbare Stromerzeugung investiert wird, nur 60 Cent in die dafür notwendige Infrastruktur.

"In der Energiegeschichte haben wir das Kohlezeitalter und das Ölzeitalter erlebt – und jetzt bewegen wir uns mit großen Schritten auf das Stromzeitalter zu", betont IEA-Chef Birol. Dieses werde künftig das globale Energiesystem prägen – und zunehmend auf sauberen Stromquellen basieren.

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