hier FR Joachim Wille 12.10.24
Moderne E-Autos verbrauchen nicht nur Strom, sondern können ihn auch speichern.Mit ihrer Batterie könnten Elektroautos 1,7 Millionen Haushalte versorgen und so das Stromnetz in Deutschland erheblich entlasten.
Erneuerbare Energien wie Wind und Solar liefern heute bereits rund 60 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms. Doch die Strukturen, wie die Elektrizität genutzt wird, sind quasi noch im fossilen Zeitalter stecken geblieben. Ideal wäre es, wenn die Kundschaft ihre Stromverwendung an das fluktuierende Angebot der Öko-Energien anpassen könnte. Das wird bisher kaum so gemacht.
Dabei liegt hier ein enormes Potenzial. Ein Beispiel: Die Batterien von Elektro-Autos könnten künftig auch eingesetzt werden, um Elektrizität zwischenzuspeichern und ins Netz zurückzuspeisen, wenn sie gebraucht wird.
Über diese Flexibilitäts-Option für das erneuerbare Stromsystem wird schon länger gesprochen. Doch nun hat der Stromkonzern Eon die Chancen dafür genauer analysieren lassen. Der Hintergrund ist: Die Zahl der reinen E-Autos (ohne Hybrid-Fahrzeuge) hat inzwischen die 1,5 Millionen-Marke überschritten, und damit steht zumindest theoretisch bereits eine stattliche Pufferkapazität zur Verfügung.
Wo stehen wir im Kampf gegen den Klimawandel?
Schließlich werden Autos üblicherweise pro Tag nur rund eine Stunde gefahren, während sie 23 Stunden lang geparkt sind. In dieser Zeit könnten sie quasi als gigantische, virtuell zusammengeschaltete „Schwarmbatterie“ für das Stromnetz zur Verfügung stehen. Obwohl erst gute zehn Prozent der 1,5 Millionen E-Autos – nämlich 166 000 – so ausgerüstet sind, dass sie Strom nur aufnehmen und später wieder zurückspeisen können, kommt damit bereits eine stattliche Kapazität zusammen. Das Fachwort dafür lautet „bidirektionale“ Nutzung. Kürzel: „Bidi“.
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Eine Schwarmbatterie aus diesen Fahrzeugen könnte laut der Eon-Kalkulation rechnerisch bereits genug Strom speichern, um 1,75 Millionen Haushalte abends und nachts, das heißt zwölf Stunden lang, mit Energie zu versorgen.
Für die Berechnung wurde die durchschnittliche Batteriegröße der E-Autos von 61 Kilowattstunden zugrunde gelegt und angenommen, dass nachts maximal 60 Prozent der Akku-Kapazitäten flexibel zur Verfügung stehen, damit der Strom morgens noch für die anstehenden Fahrten reicht.
Bidirektionales Laden: Ein Auto könnte zehn Haushalte versorgen
Daraus ergibt sich ein Speicherpotenzial für das bidirektionale Laden von knapp 5500 Megawattstunden (Mwh), also 5,5 Millionen Kilowattstunden. Selbst wenn nur ein Viertel der Akkukapazität freigegeben wären, könnten rund 2300 MWh genutzt werden – Eon zufolge genug, um 730 000 Haushalte eine Nacht lang zu versorgen. Auch wenn man die Kapazität eines einzelnen E-Auto anschaut, ist das Potenzial beeindruckend. Es könnte laut der Modellrechnung mit seiner Batterie abends und nachts rechnerisch mehr als zehn Haushalte versorgen.
Dabei ist zugrunde gelegt, dass der Stromverbrauch eines deutschen Durchschnittshaushalts zwischen 17.30 Uhr und 5.30 Uhr rund 3,12 Kilowattstunden beträgt und der E-Pkw in dieser Zeit an eine entsprechend ausgerüstete Wallbox angeschlossen ist, wobei 60 Prozent der Akku-Kapazität freigegeben sind.
Bidirektionales Laden
Beim bidirektionalen Laden von E-Autos fließt der Strom in zwei Richtungen. Das Fahrzeug bezieht Strom aus dem Energienetz und wird aufgeladen, kann ihn aber bei Bedarf an das Haus (Vehicle-to-Home, V2H) oder in das öffentliche Netz (Vehicle-to-Grid, V2G) einspeisen. Dazu braucht es aber jeweils einen Zwischenschritt.
E-Autos fahren nämlich mit Gleichstrom, während im Netz Wechselstrom fließt. Die Umformung erfolgt durch eine Gleich- beziehungsweise einen Wechselrichter. Durch eine intelligente Steuerung können dann viele E-Autos-Batterien zu einem „virtuellen Kraftwerk“ zusammengeschlossen werden.
Nicht nur Eon, auch andere Unternehmen haben die Möglichkeiten der Nutzung der E-Auto-Flotte zur Flexibilisierung des Stromnetzes im Blick. Der südwestdeutsche Netzbetreiber Transnet BW zum Beispiel erprobt derzeit in einem großangelegten Versuch das Laden von Elektroautos, um Netzengpässe zu bewältigen. Bei hoher Netzbelastung meldet Transnet BW dies an das Partnerunternehmen Octopus Energy, das daraufhin die Ladevorgänge von bis zu 1500 E-Autos in günstigere Zeiten verschiebt.
Die Autofahrer:innen in dem Test profitieren dabei von niedrigen Preisen für den Ladestrom. Besonders interessant sind laut der Eon-Modellrechnung die positiven Folgen für das Klima.
Bei einem künftigen flächendeckende Einsatz des „Bidi-Ladens“ könnte danach die Nutzung von flexiblen Gaskraftwerken, um Stromknappheit wegen mangelnder Wind- und Solareinspeisung auszugleichen, deutlich heruntergefahren werden. Bereits beim aktuellen „Bidi-“Fahrzeugbestand und einer Freigabe von 60 Prozent der Batteriekapazität würde die verfügbare danach Energie ausreichen, um 2,9 Millionen Haushalte fünf Stunden lang mit Energie zu versorgen.
Das entspreche fast der Leistung von vier großen Gaskraftwerken, die dafür stillstehen könnten. „Fast eine Million Kubikmeter Erdgas und somit 2000 Tonnen CO2 pro solch einem Einsatz könnten so gespart werden“, so der Konzern. Denkbar, dass bei einer künftigen breiten Anwendung weniger zusätzliche Gaskraftwerke als Mittel gegen die berüchtigten „Dunkelflauten“ gebaut werden müssten. Immerhin soll die Zahl der E-Autos bereits bis 2030 deutlich ansteigen. Die Bundesregierung plant in ihrer Kraftwerksstrategie insgesamt 12,5 Gigawatt an Gaskraftwerken und 500 Megawatt an Wasserstoff-Langzeitspeichern.
Eon-Chef Filip Thon sieht sich durch die Untersuchung darin bestätigt, wie sinnvoll es sei, „den ohnehin vorhandenen E-Auto-Akku nicht nur für das Fahren, sondern als integrierten Teil unseres Energiesystems zu nutzen“.
Zwei Probleme müssen dazu allerdings noch gelöst werden. Erstens muss die gesamte E-Neuwagenflotte mit „Bidi-Laden“ ausgerüstet werden. Denn bisher hatten vor allem Hersteller aus Asien das entsprechende Batteriemanagement angeboten. Und zweitens müssten „bidirektional-fähige“ Wallboxen und intelligente Stromzähler zum Standard werden.
„Bidi“-Wallboxen stehen derzeit erst vor der Markteinführung, der ADAC schätzt, dass sie anfänglich drei-bis viermal teurer sein werden als die üblichen „Stromtankstellen“ für zuhause. Und auch die modernen Stromzähler sind nur wenig verbreitet; erst rund ein Prozent der Haushalte verfügt über einen solchen.
Laut einer Eon-Umfrage, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut Civey, gibt es her jedoch großes Potenzial. Denn 79 Prozent der E-Autofahrer:innen mit eigenem Haus zeigten sich darin offen für das bidirektionale Laden. Bei denjenigen, die eine Photovoltaikanlage auf dem Dach haben, waren es sogar 83 Prozent.
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