Dienstag, 22. Oktober 2024

Warum BUND und NABU so wenig Einfluss auf die Politik haben

Ein Artikel mit großem Diskussionsbedarf. Daher nach meiner Meinung umso lesenswerter. Vielleicht ist tatsächlich unser größtes Problem, dass wir so viele Baustellen haben und uns komplett verheddern - bessere Ideen sind gefragt.
Unten habe ich  nur Auszüge aus dem Artikel wiedergegeben  - am Besten im Original lesen

hier  Freitag Von Matthias Schreiber, Johanna Romberg 21.09.2024  

Warum BUND und NABU so wenig Einfluss auf die Politik haben

Das Artensterben schreitet unaufhaltsam voran. Die großen Naturschutzverbände NABU und BUND könnten es stoppen – doch leider sind sie viel zu zahm geworden. Es gibt nur eine Lösung: Wir Naturfreunde müssen uns neu organisieren. Ein Vorstoß

Feldlerchenpopulation: minus 50 Prozent. Kiebitze: minus 90 Prozent. Innerhalb von nur drei Jahrzehnten ist die Zahl der Brutvögel um 14 Millionen zurückgegangen, die Insektenbiomasse um drei Viertel geschrumpft. Aktuell sind 47 heimische Wirbeltierarten kurz vor dem Aussterben, 1.000 Pflanzenarten stark gefährdet, 60 Prozent aller Ökosysteme in ungünstigem Erhaltungszustand. Das Sterben der Arten und ihrer Lebensräume schreitet auch in Deutschland unaufhaltsam voran. Aber nun soll endlich die Wende kommen.

Die geschädigte Biodiversität soll nicht nur überleben, sondern langfristig auch wieder aufleben dürfen. So sieht es das EU-„Renaturierungsgesetz“ vor, das die Umweltminister:innen der Staatengemeinschaft Mitte Juni mit knapper Mehrheit verabschiedeten. Obwohl es in zweijährigen Verhandlungen stark verwässert wurde, feiern Naturschützer und auch Wissenschaftler das Gesetz als „wichtigsten Meilenstein“ seit Inkrafttreten der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 1992.

Diese verpflichtete die EU-Mitgliedstaaten, ein europaweites zusammenhängendes Schutzgebiet-Netz für gefährdete Lebensräume zu errichten. Mit dem neuen Renaturierungsgesetz sollen es 20 Prozent werden, und diese sollen nicht nur auf dem Papier geschützt, sondern aktiv in einen guten ökologischen Zustand versetzt werden. Man muss kein notorischer Skeptiker sein, um dieses Ziel für sehr ambitioniert zu halten.

Viel zu viele Kompromisse

Denn die gleichen EU-Staaten, die nun der Natur zu neuer Blüte verhelfen sollen, haben ihren Schutz in jüngster Zeit drastisch beschnitten – auf EU- wie auf nationaler Ebene.....

Um diesen Backlash aufzuhalten und umzukehren, braucht es mehr als EU-Gesetze: eine starke Lobby, die sich wirksam für den Schutz der biologischen Vielfalt einsetzt. Eine solche Lobby aber fehlt auch in Deutschland, in den Parlamenten ebenso wie außerhalb.

Selbst in der Partei, die Ökologie als ihr Kernthema versteht, bilden Naturschützer eine kleine, machtlose Minderheit. Die großen NGOs wiederum haben es bisher nicht vermocht, dem Naturschutz politisches Gewicht zu geben. Wir sind daher überzeugt, dass sich die Naturinteressierten in Deutschland von Grund auf neu formieren müssen, um endlich effektive Strategien gegen den anhaltenden Verlust der Biodiversität zu entwickeln.

Doch wie könnte eine solche Neuorganisation aussehen?

Der Backlash gegen den Naturschutz hat nicht erst mit Antritt der Ampel-Regierung begonnen. Bereits seit 15 Jahren werden Standards vor allem im Bau- und Planungsrecht sukzessive beschnitten, ebenso wie Einspruchsmöglichkeiten für Bürger und Verbände. Zwar hat Deutschland ein strenges Natur- und Artenschutzrecht, das etwa die Zerstörung von Nist- und Ruheplätzen wild lebender Tiere verbietet und bei Eingriffen in ihre Lebensräume angemessene Ausgleichsmaßnahmen vorschreibt. Doch dieses Recht ist unter Dauerbeschuss durch Naturnutzer, die für ihre Projekte immer mehr Raum und Ressourcen beanspruchen. Bodenabbauunternehmen, Windkraftindustrie, Straßenbaubehörden und ihre sogenannten Fachgutachter haben seit Anfang des Jahrtausends eine Flut von „Leitfäden“, „Arbeitshilfen“ und „Fachkonventionen“ herausgegeben, alle vordergründig mit dem Ziel, Bürokratie abzubauen und Planungen zu vereinfachen. Fachbehörden und auch Gerichte haben diese Handreichungen dankbar aufgegriffen, mit dem Ergebnis, dass Natur- und Artenschutz in der alltäglichen Planungspraxis zusehends ausgehöhlt worden sind.

Die biologische Vielfalt stirbt einen tausendfachen leisen Tod durch „Kompromisse zwischen Ökonomie und Ökologie“, bei denen sie letztlich immer auf der Strecke bleibt. Wer steht bereit, der Natur zu ihrem Recht zu verhelfen? Da Politik und Justiz dieser Aufgabe nicht nachkommen, richtet sich die Frage an die Zivilgesellschaft, allen voran die großen Naturschutzverbände NABU und BUND. „Groß“ sind die Verbände vor allem gemessen an der Zahl ihrer Mitglieder: 940.000 sind es beim Naturschutzbund NABU, rund 675.000 beim BUND, dem „Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland“. Damit verfügen die beiden über mehr Mitglieder als sämtliche im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Trotzdem gelingt es ihnen bis heute nicht, diese Zahlenstärke in politische Wirkungsmacht umzusetzen.

NABU und BUND stehen der Erosion des Naturschutzes weitgehend hilflos gegenüber; ihre zahlreichen Resolutionen, Stellungnahmen und Pressemitteilungen bleiben in der Regel ohne messbare Wirkung. Die Ursachen für diese Machtlosigkeit sehen wir nicht nur, aber auch bei den Verbänden selbst, in ihrer Struktur und ihrer Arbeitsweise. Sowohl NABU als auch BUND kümmern sich um eine Vielzahl von Sachthemen. Die Webseite des NABU-Bundesverbands listet 44, die des BUND 18 Refe-rent:innen auf, die, zum Teil in mehrköpfigen Teams, für jeweils ein Fachgebiet zuständig sind. Darunter finden sich „klassische“ Naturschutzthemen wie Vogel-, Meeres- und Moorschutz, Agrobiodiversität und nachhaltige Waldnutzung, aber auch solche, die eher zum allgemeinen Umweltschutz zählen: Energiepolitik und Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Siedlungsentwicklung, Bioenergie, Nachhaltige Finanzwirtschaft sowie Verkehrspolitik – allein letzteres Ressort beschäftigt beim NABU-Bundesverband neun Fachleute.

Diese Vielfalt ist einerseits verdienstvoll, schon wegen der umfangreichen Informationen, die beide Verbände auf ihren Webseiten bieten. Andererseits birgt die Breite des inhaltlichen Spektrums Gefahr, sich zu verzetteln, zu viele Ressourcen für Themen zu verwenden, die mit der namensgebenden Kernaufgabe beider Verbände wenig zu tun haben. Und die auch von anderen Institutionen vergleichsweise gut „versorgt“ werden: Um viele Bereiche des technischen Umweltschutzes (Wasserwirtschaft, Abfallentsorgung, Chemikalienaufsicht) kümmern sich kompetente, durchsetzungsstarke Fachbehörden; Klimaschutz ist dank des Engagements vieler NGOs und prominenter Wissenschaftler in den Medien dauerpräsent. Und der Ausbau der Erneuerbaren wird nicht nur von der Politik, sondern auch den Fachverbänden der Wind- und Solarbranche energisch vorangetrieben. Für den Schutz der biologischen Vielfalt dagegen gilt das nicht.

Dabei hätte gerade sie effektive und ressourcenstarke Unterstützung zurzeit nötiger denn je.....

Falsche Treue zu den Grünen

Solche Verstöße gegen Buchstaben und Geist der Naturschutzgesetze ließen sich abwehren, zumindest bremsen – hätten die zuständigen Behörden mehr Unterstützung durch Naturschutzverbände, in Form koordinierter, fokussierter Öffentlichkeitsarbeit und juristischer Interventionen.

Die Pressearbeit der Verbände ist jedoch vorrangig durch hektisches Themenhopping geprägt......

Die Bündnistreue der Verbände zu den Grünen trägt mit dazu bei, dass der Naturschutz bis heute ein Nischenthema geblieben ist. Und weil er vorrangig als „grünes Anliegen“ wahrgenommen wird, sehen die übrigen Parteien keine Notwendigkeit, sich dafür zu engagieren.

Lieber framen sie Naturschutz als „Hobby“ weltfremder Öko-Schrate oder Luxusproblem abgehobener urbaner Eliten. Das hilft, die Reihen der eigenen Wähler zu schließen – und macht es leicht, sich selbst aus der Verantwortung für das neben der Klimakrise dringlichste Umweltproblem zu ziehen. Doch wie könnte der Naturschutz aus seiner Nische herauskommen?

Und was können die beiden Verbände, NABU und BUND, dazu selber beitragen? Wir glauben: eine ganze Menge. Als Sofortmaßnahme schlagen wir die Gründung eines „Kompetenzzentrums Natur“ vor. Darin sollten die beiden Verbände Personal und finanzielle Mittel bündeln, um gemeinsame Strategien für den Erhalt von Arten und Lebensräumen zu entwickeln.

Das Zentrum sollte inhaltlich autonom arbeiten, sich methodisch jedoch

• auf wenige wesentliche Naturschutzthemen konzentrieren,

• diese kontinuierlich verfolgen und mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit begleiten,

• dabei Expertise und Engagement lokaler Naturschützer einbinden und

• offen für Dialog mit allen politischen Kräften des demokratischen Spektrums sein.

Ein Thema würden wir dabei ganz oben auf die To-do-Liste setzen: Die Umsetzung des europäischen Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“. Viel ist in den vergangenen Monaten über das EU-Renaturierungsgesetz geschrieben worden und sein Ziel, bis 2030 mindestens 20 Prozent aller Land- und Meeresflächen der EU in einen guten Zustand zu bringen.

Was darüber weitgehend aus dem Blick geraten ist: jene 15 Prozent der deutschen Landfläche, die zumindest formal längst verbindlich geschützt sind, als Vogelschutz- oder FFH-Gebiete. Der Schutz dieser Gebiete, die gemeinsam das Natura-2000-Netz bilden sollen, also das Tafelsilber des europäischen Naturschutzes, steht bis heute jedoch größtenteils nur auf dem Papier. Weil Deutschland es in 40 Jahren nicht vermocht hat, mehr als ein Drittel davon in einen auch nur akzeptablen Zustand zu bringen. Hier könnte eine Kampagne des neuen Kompetenzzentrums ansetzen – mit regelmäßigen, detaillierten Dokumentationen über Versäumnisse und Fortschritte beim Schutz unseres nationalen Naturerbes. Die begleitende Öffentlichkeitsarbeit würde nicht zuerst auf die überregionale Presse zielen, sondern in die Breite wirken, also lokale und regionale Medien motivieren, über den Zustand der Naturschätze in ihrer Nachbarschaft zu berichten.

Ein zweites, ebenso wichtiges „To-do“ für die Mitarbeiter des neuen Kompetenzzentrums: die amtlichen Naturschützer stärker als bisher zu unterstützen. Sie mit dem nötigen Fundus an fachlichem und juristischem Wissen zu versorgen, das ihnen hilft, Naturschutz wieder in die Offensive zu bringen; sich den Begehrlichkeiten von Investoren, Landnutzern und gewerbesteuerfixierten Lokalpolitikern entgegenzustellen. Bei dieser Aufgabe könnten auch an Naturschutz interessierte Wissenschaftler ihre Expertise einbringen, ohne in die Gefahr zu geraten, als „Aktivisten“ verunglimpft zu werden.

Bei der Umsetzung ihrer Kampagnen könnten die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums auf ein bislang weitgehend ungenutztes Reservoir zurückgreifen: die Mitgliederbasis der Verbände. Diese ist beim NABU in 2.000, beim BUND in mehr als 1.200 Ortsgruppen organisiert, die bislang weitgehend autonom und unverbunden agieren. Die meisten Gruppen betreiben, aus naturschutzfachlicher Sicht, eher „Breitensport“: betreuen Nistkästen, pflegen Streuobstwiesen, laden zu Vogelstimmenexkursionen ein, verteilen „Wildsamenbomben“ bei Gemeindefesten. Es finden sich an der Verbandsbasis aber auch zahlreiche Aktive mit solider naturkundlicher Expertise und der Bereitschaft, diese bei koordinierten Aktionen einzusetzen.

Wie groß diese Bereitschaft ist, hat sich zuletzt Ende der 1990er Jahre gezeigt. Damals folgten Hunderte Naturschutz-Aktive aus ganz Deutschland einem Aufruf der NABU-Kreisgruppe Osnabrück, Gebiete zu benennen, die sie europarechtlich für schutzwürdig hielten. Dadurch wurde das deutsche Natura-2000-Netz um eine Million Hektar größer, als es die Umweltministerien der Länder zunächst geplant hatten. Bislang nutzen die Bundesverbände von NABU und BUND das Potenzial ihrer Basis kaum. Wenn sie ihre Mitglieder zu gemeinsamen Aktionen aufrufen, dann nur zu werbewirksamen Events wie der „Stunde der Gartenvögel“ oder dem „Insektensommer“.

Wie realistisch ist unsere Idee?

Das Kompetenzzentrum Natur gäbe den Mitgliedern von NABU und BUND (und nicht nur diesen) Gelegenheit, sich kontinuierlicher und effektiver zu engagieren. Sie könnten etwa Zustand und Entwicklung der Schutzgebiete ihrer Umgebung detailliert dokumentieren; aufzeigen, welche Gebiete so stark geschädigt sind, dass die Arten, die sie schützen sollen, bereits teilweise oder ganz daraus verschwunden sind; darstellen, welche seltenen, bedrohten Arten im Wortsinn „vogelfrei“ sind, weil sie bei der Ausweisung von Schutzgebieten bis heute überhaupt nicht berücksichtigt werden.

Viele solcher Versäumnisse sind bereits gut dokumentiert. Aber es fehlt an lokalen Akteuren, die sie, gestützt auf Detailwissen aus erster Hand, flächendeckend publik machen. Und dadurch jenen öffentlichen Druck aufbauen, der untätige Fachbehörden und naturignorante Politiker zum Jagen tragen würde. Eine solche Basisbewegung, initiiert und begleitet durch ein Kompetenzzentrum Natur, könnte auch die Naturschutzverbände insgesamt stärken – und sie auf Landes- wie Bundesebene wieder als respektierte politische Verhandlungsmacht etablieren.

„Würde“, „könnte“, „sollte“ – wie so viele Beschreibungen erfolgreicher Naturschutzarbeit steht auch diese im Möglichkeits- und Hoffnungsmodus. Wir wissen nicht, ob unser Vorschlag eines „Kompetenzzentrums Natur“ – oder wie immer es heißen soll – Chancen auf Realisierung hat. Und wenn ja, ob es die von uns erhoffte und in Ansätzen skizzierte Wirkung hätte. In einem Punkt aber sind wir uns sicher: Wenn wir Naturschützer:innen uns nicht endlich aus unserer Bubble herausbewegen, sichtbarer, organisierter und offensiver werden, dann wird in absehbarer Zeit nicht mehr viel übrig sein, was sich noch zu schützen lohnt.


Matthias Schreiber ist seit 35 Jahren als freiberuflicher Biologe tätig und seit Mitte der 1970er-Jahre in verschiedenen Funktionen in Naturschutzverbänden aktiv.

Johanna Romberg war mehr als 30 Jahre Redakteurin bei GEO und hat zwei Bücher über Vogelbeobachtung sowie über Naturschutz publiziert. Sie ist NABU-Mitglied.

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