RND hier Frank-Thomas Wenzel 24.10.2024
Straßen und Schienen im Jahr 2040:Eine Prognose und ihre Probleme
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte geahnt, dass es Kritik in nicht geringem Maß geben wird. Deshalb machte er schon im Vorspruch zur Vorstellung der nagelneuen Verkehrsbasisprognose gleich doppelt gemoppelt klar: „Ich möchte ganz deutlich sagen, die Ergebnisse sind nicht von politischen Wünschen geprägt, sondern von Fakten geprägt“, so der Minister. Und er fügte hinzu: „Ich richte meine Verkehrspolitik an der Realität aus, an Zahlen, Daten und Fakten.“
Prompt kam unmittelbar nach der Präsentation des extrem umfänglichen Konvoluts über die Situation des Verkehrs im Deutschland des Jahres 2040 eine Anmerkung von Dirk Flege, Geschäftsführer des Verbändebündnisses Allianz pro Schiene: „Ich glaube, Herr Wissing hängt hier einem antiquierten Ansatz an.“
Runderneuerte Langzeitprognose
Der Reihe nach: Die Verkehrspolitik des Bundes wird seit Jahrzehnten vor allem mit Prognosen über das geprägt, was Experten an Transporten und an Personenbeförderung auf Fernstraßen, Schienensträngen, Flüssen und Kanälen erwarten. Am Anfang steht eine langfristige Vorausschau. Daraus werden über mehrere Stufen immer konkretere Pläne zur Entwicklung der Bundesverkehrswege gestrickt. Das bisher gültige Grundlagenpapier datiert aus dem Jahr 2014 – mit Zahlen von 2010. Eine Runderneuerung war überfällig und wurde bereits mehrfach verschoben. Nun ist sie da.
Die Eckpunkte: Der Verkehr soll insgesamt massiv wachsen, die Fahrten der Lkw in den nächsten 15 Jahren um gut ein Drittel. Ähnlich stark soll auch das Frachtaufkommen auf der Schiene zulegen.
Ich glaube,
Herr Wissing hängt hier einem antiquierten Ansatz an.
Dirk Flege,Geschäftsführer des Verbändebündnisses Allianz pro Schiene
Auto und Motorrad: Lieblinge der Verkehrsteilnehmer
Beim Personenverkehr soll es ebenfalls mächtig nach oben gehen – um 8 Prozent bis zum Jahr 2040. Den größten Anteil haben die Ersteller der rund 1500 Seiten starken Studie der Bahn zugeschlagen: Sie erwarten ein Plus von 60 Prozent. Für die Straße wird dagegen ein leichtes Minus von einem Prozent prophezeit. Wodurch der Anteil des sogenannten motorisierten Individualverkehrs am gesamten Verkehrsmix spürbar sinken würde.
Wissing warnte beim Aufrufen dieser Zahlen vor falschen Schlussfolgerungen: Das bedeute nicht, dass keine neuen Straßen mehr gebaut würden. Denn es gebe im Straßennetz gleichwohl Defizite und Engpässe, die man angehen müsse. Auto und Motorrad blieben, so der Freidemokrat, die mit Abstand beliebtesten Fortbewegungsmittel in Deutschland. „Zwei Drittel der Wege werden damit zurückgelegt.“
Stolzes Wirtschaftswachstum erwartet
Der Studie zugrunde gelegt wird ein deutlicher Bevölkerungszuwachs und eine Steigerung der Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandsprodukt um 33 Prozent bis 2040. Angesichts der derzeitigen konjunkturellen Lage lägen diese Zahl am oberen Ende der Skala, räumte Tobias Kluth ein. Er ist der Geschäftsführer der Beratungsfirma Intraplan, die federführend die Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums erstellt hat.
Fleges Kritik an den vielen Berechnungen ist eine fundamentale. Für die Langfristprognose sei mit 123 Prämissen hantiert worden. Das renommierte Prognos-Institut habe versuchsweise lediglich 17 davon leicht verändert. „Und es kam etwas völlig anderes heraus“, sagte Flege im TV-Sender Phönix.
Er erinnerte daran, dass die OECD, der Club der Industriestaaten, allen Verkehrsministern kürzlich geraten habe, sich von einer „antiquierten und reaktiven Art der Verkehrspolitik“ zu verabschieden: Man dürfe nicht länger Prognosen hinterherbauen, sondern müsse stattdessen zielorientiert vorgehen – die Ampel hat sich unter anderem vorgenommen, den Marktanteil der Schiene am Güterverkehr bis zum Jahr 2030 von jetzt knapp 20 auf 25 Prozent zu steigern. An solchen Vorgaben müssten sich die Planungen orientieren.
„Prognosen sind keine Fakten“
Ähnlich argumentieren Umweltschützer: „Prognosen sind keine Fakten“, so Michael Müller-Görnert vom ökologischen Verkehrsclub VCD. Und weiter: „Wahr dagegen ist: Wer Straßen baut, wird Autos ernten. Der Autoverkehr wird nur dann im prognostizierten Maße steigen, wenn auch der Straßenneubau wie bisher weitergeht. Womit dann später weitere neue Autobahnen gerechtfertigt werden. Ein Teufelskreis.“
Auch der BUND betont: Wissing wolle weiterbauen ohne Rücksicht auf Natur, Menschen und Klima. Die Prognose suche offenbar „nach einer Legitimation für neue Autobahnen und Bundesstraßen“, sagte BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Aus dem Zahlenwerk könnten Befürworter des Straßenbaus den Schluss ziehen, dass die im aktuellen Bundesverkehrswegeplan für 2030 enthaltenen über 1000 Aus- und Neubauprojekte weiterhin umgesetzt werden sollen. „Mit Blick auf Sanierungsstau und marode Brücken ist es weder sinnvoll noch realistisch, an den Aus- und Neubauplänen bei Autobahnen und Bundesstraßen festzuhalten“, betonte Hilgenberg.
Die Frage der Finanzierung
Es stellt sich denn auch die Frage, wo das Geld für die vielen Projekte herkommen soll. Eine am Donnerstag vorgestellte Studie des renommierten Ökonomen Lars Feld beziffert die nötigen Mittel allein für die Straßeninfrastruktur für die Jahre 2025 bis 2028 auf mehr als 57 Milliarden Euro. Für die Bahn würden 63 Milliarden Euro in diesem Zeitraum benötigt. „Deutschlands Infrastruktur lebt fast nur noch von ihrer Substanz“, sagte Feld, der Wissings Parteifreund und Finanzminister Christian Lindner berät.
In seiner Studie, die im Auftrag der Fondsgesellschaft Union Investment erstellt wurde, kommt der Wissenschaftler zu dem Schluss, dass staatliche Investitionen seit Langem nicht mehr reichten, „um den Bestand zu sichern“. Er empfiehlt deshalb, private Investoren einzubinden – etwa über Infrastrukturfonds. Wenn privatrechtlich organisierte Gesellschaften mit Staatsbeteiligung – wie die Autobahn GmbH – mit Kompetenzen wie einer eigenen Kreditfähigkeit ausgestattet würden, könnten attraktive Geschäftsmodelle entstehen, die sich auch als Anlageobjekte für Fonds anböten, so Feld.
Tagesspiegel hier 25.10.2024, DPA
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