Mittwoch, 30. Oktober 2024

Macht es überhaupt Sinn, eine Prognose zu erstellen, die nicht auf eine Einhaltung der Klimaziele ausgerichtet ist ?

RND  hier  Frank-Thomas Wenzel  24.10.2024

Straßen und Schienen im Jahr 2040: 
Eine Prognose und ihre Probleme

Wie der Minister auf den Verkehr der Zukunft schaut: Das Verkehrsministerium legt seine umfangreiche Prognose für das Jahr 2040 vor – und erntet dafür massive Kritik. Umweltschützer fordern einen grundlegenden Perspektivwechsel. Sie sagen: „Wer Straßen baut, wird Autos ernten.“

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte geahnt, dass es Kritik in nicht geringem Maß geben wird. Deshalb machte er schon im Vorspruch zur Vorstellung der nagelneuen Verkehrsbasisprognose gleich doppelt gemoppelt klar: „Ich möchte ganz deutlich sagen, die Ergebnisse sind nicht von politischen Wünschen geprägt, sondern von Fakten geprägt“, so der Minister. Und er fügte hinzu: „Ich richte meine Verkehrspolitik an der Realität aus, an Zahlen, Daten und Fakten.“

Prompt kam unmittelbar nach der Präsentation des extrem umfänglichen Konvoluts über die Situation des Verkehrs im Deutschland des Jahres 2040 eine Anmerkung von Dirk Flege, Geschäftsführer des Verbändebündnisses Allianz pro Schiene: „Ich glaube, Herr Wissing hängt hier einem antiquierten Ansatz an.“

Runderneuerte Langzeitprognose

Der Reihe nach: Die Verkehrspolitik des Bundes wird seit Jahrzehnten vor allem mit Prognosen über das geprägt, was Experten an Transporten und an Personenbeförderung auf Fernstraßen, Schienensträngen, Flüssen und Kanälen erwarten. Am Anfang steht eine langfristige Vorausschau. Daraus werden über mehrere Stufen immer konkretere Pläne zur Entwicklung der Bundesverkehrswege gestrickt. Das bisher gültige Grundlagenpapier datiert aus dem Jahr 2014 – mit Zahlen von 2010. Eine Runderneuerung war überfällig und wurde bereits mehrfach verschoben. Nun ist sie da.

Die Eckpunkte: Der Verkehr soll insgesamt massiv wachsen, die Fahrten der Lkw in den nächsten 15 Jahren um gut ein Drittel. Ähnlich stark soll auch das Frachtaufkommen auf der Schiene zulegen.


    Ich glaube,
Herr Wissing hängt hier einem antiquierten Ansatz an.


Dirk Flege,Geschäftsführer des Verbändebündnisses Allianz pro Schiene


Auto und Motorrad: Lieblinge der Verkehrsteilnehmer

Beim Personenverkehr soll es ebenfalls mächtig nach oben gehen – um 8 Prozent bis zum Jahr 2040. Den größten Anteil haben die Ersteller der rund 1500 Seiten starken Studie der Bahn zugeschlagen: Sie erwarten ein Plus von 60 Prozent. Für die Straße wird dagegen ein leichtes Minus von einem Prozent prophezeit. Wodurch der Anteil des sogenannten motorisierten Individualverkehrs am gesamten Verkehrsmix spürbar sinken würde.

Wissing warnte beim Aufrufen dieser Zahlen vor falschen Schlussfolgerungen: Das bedeute nicht, dass keine neuen Straßen mehr gebaut würden. Denn es gebe im Straßennetz gleichwohl Defizite und Engpässe, die man angehen müsse. Auto und Motorrad blieben, so der Freidemokrat, die mit Abstand beliebtesten Fortbewegungsmittel in Deutschland. „Zwei Drittel der Wege werden damit zurückgelegt.“

Stolzes Wirtschaftswachstum erwartet

Der Studie zugrunde gelegt wird ein deutlicher Bevölkerungszuwachs und eine Steigerung der Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandsprodukt um 33 Prozent bis 2040. Angesichts der derzeitigen konjunkturellen Lage lägen diese Zahl am oberen Ende der Skala, räumte Tobias Kluth ein. Er ist der Geschäftsführer der Beratungsfirma Intraplan, die federführend die Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums erstellt hat.

Fleges Kritik an den vielen Berechnungen ist eine fundamentale. Für die Langfristprognose sei mit 123 Prämissen hantiert worden. Das renommierte Prognos-Institut habe versuchsweise lediglich 17 davon leicht verändert. „Und es kam etwas völlig anderes heraus“, sagte Flege im TV-Sender Phönix.

 Er erinnerte daran, dass die OECD, der Club der Industriestaaten, allen Verkehrsministern kürzlich geraten habe, sich von einer „antiquierten und reaktiven Art der Verkehrspolitik“ zu verabschieden: Man dürfe nicht länger Prognosen hinterherbauen, sondern müsse stattdessen zielorientiert vorgehen – die Ampel hat sich unter anderem vorgenommen, den Marktanteil der Schiene am Güterverkehr bis zum Jahr 2030 von jetzt knapp 20 auf 25 Prozent zu steigern. An solchen Vorgaben müssten sich die Planungen orientieren.

„Prognosen sind keine Fakten“

Ähnlich argumentieren Umweltschützer: „Prognosen sind keine Fakten“, so Michael Müller-Görnert vom ökologischen Verkehrsclub VCD. Und weiter: „Wahr dagegen ist: Wer Straßen baut, wird Autos ernten. Der Autoverkehr wird nur dann im prognostizierten Maße steigen, wenn auch der Straßenneubau wie bisher weitergeht. Womit dann später weitere neue Autobahnen gerechtfertigt werden. Ein Teufelskreis.“

Auch der BUND betont: Wissing wolle weiterbauen ohne Rücksicht auf Natur, Menschen und Klima. Die Prognose suche offenbar „nach einer Legitimation für neue Autobahnen und Bundesstraßen“, sagte BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Aus dem Zahlenwerk könnten Befürworter des Straßenbaus den Schluss ziehen, dass die im aktuellen Bundesverkehrswegeplan für 2030 enthaltenen über 1000 Aus- und Neubauprojekte weiterhin umgesetzt werden sollen. „Mit Blick auf Sanierungsstau und marode Brücken ist es weder sinnvoll noch realistisch, an den Aus- und Neubauplänen bei Autobahnen und Bundesstraßen festzuhalten“, betonte Hilgenberg.

Die Frage der Finanzierung

Es stellt sich denn auch die Frage, wo das Geld für die vielen Projekte herkommen soll. Eine am Donnerstag vorgestellte Studie des renommierten Ökonomen Lars Feld beziffert die nötigen Mittel allein für die Straßeninfrastruktur für die Jahre 2025 bis 2028 auf mehr als 57 Milliarden Euro. Für die Bahn würden 63 Milliarden Euro in diesem Zeitraum benötigt. „Deutschlands Infrastruktur lebt fast nur noch von ihrer Substanz“, sagte Feld, der Wissings Parteifreund und Finanzminister Christian Lindner berät.

In seiner Studie, die im Auftrag der Fondsgesellschaft Union Investment erstellt wurde, kommt der Wissenschaftler zu dem Schluss, dass staatliche Investitionen seit Langem nicht mehr reichten, „um den Bestand zu sichern“. Er empfiehlt deshalb, private Investoren einzubinden – etwa über Infrastrukturfonds. Wenn privatrechtlich organisierte Gesellschaften mit Staatsbeteiligung – wie die Autobahn GmbH – mit Kompetenzen wie einer eigenen Kreditfähigkeit ausgestattet würden, könnten attraktive Geschäftsmodelle entstehen, die sich auch als Anlageobjekte für Fonds anböten, so Feld.



Tagesspiegel hier 25.10.2024, DPA

Verkehrsentwicklung: Forscher fordert Klima-Ausrichtung bei Verkehrspolitik

Rechnungshof wirft Wissing-Ministerium »Greenwashing« vor

Verkehrsentwicklung: Forscher fordert Klima-Ausrichtung bei Verkehrspolitik
Die Bundesregierung sollte ihre Verkehrspolitik an Klimazielen ausrichten, fordert Wissenschaftler Thorsten Koska. Der jüngsten Verkehrsprognose des Bundes unterstellt er einen Zirkelschluss.

Anstatt an Prognosen sollte die Bundesregierung ihre Verkehrspolitik aus Sicht des Wuppertaler Verkehrsforschers Thorsten Koska an Klimazielen ausrichten. „Was fehlt, ist eine strategische Verkehrsplanung des Bundes, die alle Aspekte des Verkehrs integriert betrachtet und ein Zielbild für den Verkehr der Zukunft entwickelt“, sagte der Wissenschaftler am Wuppertal Institut der Deutschen Presse-Agentur. Die am Vortag vorgestellte Verkehrsprognose des Bundes sei in diesem Sinne nicht ausreichend. 

Dieser Prognose zufolge wird der Verkehr bis 2040 deutlich steigen, insbesondere auf der Schiene. Der Straßenverkehr gehe zwar etwas zurück. Das Auto bleibe aber weiterhin das dominierende Verkehrsmittel. Die Studie dient der Bundesregierung als Grundlage für die Verkehrsplanung der kommenden Jahre. 

Für Koska handelt es sich deshalb um einen Zirkelschluss: Die Prognose beruhe auf den bestehenden Investitionsplänen des Bundes in die Infrastruktur, die nach wie vor mehr Mittel für die Straße vorsähen als etwa für die Schiene. „Diese Annahme führt im Modell dann zu weiterhin hohen Anteilen des Straßenverkehrs - im konkreten Fall besonders beim Straßengüterverkehr“, sagte er. Auf diese Prognose reagiere der Bund dann mit mehr Mitteln für diesen Verkehrsträger. „Dadurch entsteht dann tatsächlich mehr Verkehr.“

Die Verkehrsprognose 2040 gehe zudem von äußerst konservativen politischen Prämissen aus, kritisiert Koska. „Diese Prognose schreibt von ihren Annahmen und Rahmenbedingungen her eine weitere Fortsetzung der Straßeninvestitionen selbst herbei.“ 

So nehmen die Studienautoren etwa an, dass die Pendlerpauschale in der aktuellen Form bestehen, oder die Kfz-Steuer konstant bleibe. All das seien aber Stellschrauben, mit denen sich der Straßenverkehr noch stärker reduzieren ließe. „Man muss sich fragen, inwieweit es überhaupt Sinn ergibt, eine Prognose zu erstellen, die eben nicht auf eine Einhaltung der Klimaziele ausgerichtet ist“, sagte Koska.



Spiegel hier aus DER SPIEGEL 44/2024 25.10.2024,

Milliardenprojekt »Digitale Schiene«
Rechnungshof wirft Wissing-Ministerium »Greenwashing« vor

Aussagen des Verkehrsministeriums zum Projekt »Digitale Schiene« seien »irreführend«, kritisiert der Bundesrechnungshof. Der Beitrag zum Klimaschutz werde massiv übertrieben.
Der Rüffel könnte finanzielle Folgen haben.

Der Bundesrechnungshof wirft dem Bundesverkehrsministerium (BMDV) von Volker Wissing (FDP) einen »unseriösen« Umgang mit seinem Mammutprojekt »Digitale Schiene Deutschland« vor. Mit ihrer Kritik stellen die Prüfer auch die Finanzierung über öffentliche Mittel infrage.

Im Zuge des Großvorhabens sollen bis 2040 unter anderem die Stellwerke digitalisiert werden. Laut aktuellen Schätzungen wird das mindestens 53,9 Milliarden Euro kosten. Das BMDV hatte das Projekt damit begründet, dass es die Kapazität des Schienenverkehrs um bis zu 35 Prozent erhöhe und zu geringeren Treibhausgasemissionen führe.

Irreführende Versprechen
Beidem widersprechen die Prüfer deutlich. Die Kapazitätsversprechen seien »irreführend«, moniert der Rechnungshof. Nur ein Bruchteil davon sei realistisch, und das »erst ab dem Jahr 2043«. Auf bereits digitalisierten Strecken sei die Kapazität sogar gesunken. Es sei »nicht hinnehmbar«, dass Wissings Haus sich »seit Jahren weigert, die vorliegenden Ergebnisse von Studien und Untersuchungen« zur Kenntnis zu nehmen. Das Ministerium müsse sich mit der Materie endlich »vertieft fachlich beschäftigen«.

Überzogen seien auch Aussagen, wonach die Digitalisierung »signifikant« beitragen werde, die Emissionswerte zu senken – dafür gebe es »keine annähernd belastbare Grundlage«. Im Gegenteil: Die erwartbaren Minderungen lägen Gutachtern zufolge bei einem Prozent der jährlichen Emissionen des Verkehrssektors und seien somit »marginal«. Die »überhöhte Darstellung« des Ministeriums sei »derart realitätsfern, dass sie als Greenwashing zu bezeichnen ist«.

Die Kritik ist brisant, da dem Projekt Mittel aus Klimaschutzprogrammen des Bundes und der EU zufließen. »Vorhaben ohne signifikante Klimaschutzwirkungen sollten nicht auf der Grundlage von Klimaschutzprogrammen des Bundes finanziert werden«, schreiben die Prüfer.

Es mangelt an Fachkräften und Ersatzteilen

»Herr Wissing gibt vor, im großen Stil CO₂ mit der Digitalisierung der Schiene einsparen zu können«, sagt die Linke Haushaltspolitikerin Gesine Lötzsch, »doch das ist nur heiße Luft, wie der Rechnungshof in seinem Bericht feststellt«. Der Verkehrsminister wolle »davon ablenken, dass er nichts getan hat, um im Straßenverkehr Treibhausgas massiv einzusparen«.

Ein Ministeriumssprecher erklärt auf SPIEGEL-Anfrage: »Der Vorwurf des Greenwashings ist nicht haltbar.« Die Digitalisierung müsse »jetzt und schnell kommen, um den Klimaschutzbeitrag der Schiene zu sichern und zu erhöhen«. Erforderlich sei sie auch, weil für einige bisher eingesetzte Technologien bald keine Ersatzteile mehr produziert würden. Dazu käme der Fachkräftemangel bei analogen Stellwerken. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen