Donnerstag, 31. Oktober 2024

Igel in Deutschland vorm Aussterben bedroht

Deutschlandfunk Nova  hier 28. Oktober 2024

Weltnaturschutzunion: Igel erstmals als bedrohte Art gelistet

Igel sieht man bei uns seltener als früher.

Laut Weltnaturschutzunion ist der Bestand des westeuropäischen Igels in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Darum hat sie die Art zum ersten Mal auf ihre Rote Liste gesetzt. Der westeuropäische Igel gilt jetzt als potenziell gefährdet, dass ist die zweite von sieben Stufen, wobei die siebte "ausgestorben" bedeutet.


Westeuropäische Igel kommen in fast allen west- und mitteleuropäischen Ländern vor. Die Naturschützenden schätzen, dass der Bestand in den letzten zehn Jahren je nach Land um 16 bis 33 Prozent zurückgegangen ist. In Flandern und Bayern waren es sogar geschätzt 50 Prozent. Grund ist, dass der Lebensraum der Igel immer mehr zerstört wird - zum Beispiel weil neue Straßen und Siedlungen gebaut werden und zwischen landwirtschaftlichen Flächen Hecken und Büsche fehlen. Außerdem machen ihnen Mähroboter in Gärten zu schaffen. Mit dem Insektensterben wird auch eine wichtige Nahrungsquelle weniger.

Zum ersten Mal hat die Weltnaturschutzunion auch Bäume beurteilt. 38 Prozent der weltweiten Arten sieht sie als gefährdet an.


Tagesspiegel hier  28.10.2024,

Erstmals als bedrohte Art gelistet: Das stille Sterben des Igels

Immer mehr versiegelte Flächen, Schottergärten, intensive Landwirtschaft: Für Igel wird es eng. Erstmals tauchen die kleinen Winterschläfer in der Roten Liste der bedrohten Arten auf.

Die Zahl der westeuropäischen Igel geht nach Angaben der Weltnaturschutzunion (IUCN) stark zurück. Sie hat den Winterschläfer in ihrer Roten Liste der bedrohten Arten erstmals als „potenziell gefährdet“ eingestuft.


Insbesondere die Zerstörung ländlicher Lebensräume
durch Intensivierung der Landwirtschaft,
Straßen und Stadtentwicklung,
führt zu einem Rückgang des westeuropäischen Igels.

International Union for Conservation of Nature (IUCN)


Das Problem sei der Mensch, so die IUCN: „Insbesondere die Zerstörung ländlicher Lebensräume durch Intensivierung der Landwirtschaft, Straßen und Stadtentwicklung, führt zu einem Rückgang des westeuropäischen Igels“, heißt es. Igel müssten besser geschützt werden.

Der westeuropäische Igel (Erinaceus europaeus) kommt unter anderem in Deutschland und Österreich, den Benelux-Ländern, Skandinavien und Großbritannien vor.

Die sieben Gefährdungsstufen

Innerhalb der vergangenen zehn Jahre sei die Anzahl nach Schätzungen je nach Land um zwischen 16 und 33 Prozent zurückgegangen. Im Flandern in Belgien und in Bayern sei es ein Rückgang um 50 Prozent gewesen. Gesicherte Angaben über die Gesamtzahl der Igel gibt es nicht. Igel bekommen in der Regel nur einmal pro Jahr Nachwuchs.

„Potenziell gefährdet“ ist Stufe zwei der siebenstufigen Skala, die die IUCN für die Beurteilung der Gefährdung verwendet. Die Skala reicht von „nicht gefährdet“ bis „ausgestorben“. Die Rote Liste gibt es seit 1964. Sie umfasst inzwischen mehr als 166.000 Tier- und Pflanzenarten, von denen rund 46.000 bedroht sind.

Auch Baumarten bedroht

Erstmals hat die IUCN auch global die Bäume beurteilt. 38 Prozent der rund 47.000 Arten weltweit seien gefährdet, heißt es in der Roten Liste jetzt. Die größte Zahl der bedrohten Arten gebe es auf Inseln. Dort seien Bäume durch Städtebau, Landwirtschaft, invasive Arten und den Klimawandel, stärkere Stürme und steigende Meeresspiegel bedroht.

Wenn Bäume sterben, sei dies auch eine große Bedrohung für andere Pflanzen, Pilze und Tiere. „Als entscheidender Bestandteil vieler Ökosysteme sind Bäume aufgrund ihrer Rolle im Kohlenstoff-, Wasser- und Nährstoffkreislauf, bei der Bodenbildung und der Klimaregulierung von grundlegender Bedeutung für das Leben auf der Erde“ schreibt die IUCN. (dpa)


hier  Tagesspiegel  Von Gerrit Bartels  29.10.2024

 „Nix bleibt. Haben keinen Ort. Finden kaum noch Futter“

Igel in Deutschland vom Aussterben bedroht: „Nix bleibt. Haben keinen Ort. Finden kaum noch Futter“
Der Schriftsteller Peter Kurzeck warnte schon in seinem 2011 veröffentlichten Roman „Vorabend“ davor, dass gegen die Igel ein „Ausrottungs- und Vernichtungskrieg“ geführt werde.

Der Igel ist in Not. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) hat das Tier auf ihrer Roten Liste der bedrohten Arten erstmals als „potenziell gefährdet“ gelistet. Das ist die Stufe zwei einer siebenstufigen Skala auf dieser Liste, die von „nicht gefährdet“ bis „ausgestorben“ reicht.

„Insbesondere die Zerstörung ländlicher Lebensräume durch Intensivierung der Landwirtschaft, Straßen und Stadtentwicklung führten zu einem Rückgang des Westeuropäischen Igels“, so die IUCN. Die Igel müssten besser geschützt werden.

Ein Alarmzeichen, zweifelsohne. Auch wenn das „potenziell gefährdet“ noch klingt, als gäbe es gute Chancen, den Rückgang der Populationen (in Deutschland je nach Bundesland zwischen 16 und 33 Prozent) zu stoppen. Doch fragt sich auch, warum der Igel erst jetzt in Not sein soll. Denn im Grunde ist er seit Jahrzehnten den genannten Gefährdungen ausgesetzt.

Wer das besser wusste als viele andere und darauf wortreich hingewiesen hat, das war der 2013 verstorbene Schriftsteller Peter Kurzeck. „Vorabend“ heißt der Roman, den Kurzeck 2011 veröffentlichte. „Vorabend“ ist der fünfte Teil seines monumentalen, schließlich aus acht Bänden bestehenden Erinnerungswerkes „Das alte Jahrhundert“, seinerseits der monumentalste Band mit knapp über tausend Seiten.

50 Seiten mit den Igeln als Hauptfiguren
Und wie heißt es darin? „Ein Krieg, sagte ich. Seit zehn, fünfzehn Jahren Krieg. Oder vorher schon und man hat es nicht gleich gemerkt. Einseitig. Ein Krieg, den die Igel nicht wollen. Verstehen das nicht. Ein Ausrottungs- und Vernichtungskrieg.“ 2011 mag das Veröffentlichungsdatum des Romans gewesen sein, doch als Erinnerungskünstler ging es Kurzeck zuvorderst um die Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart.

Das Jahr 1984 ist Dreh- und Angelpunkt von „Das alte Jahrhundert“. Kurzeck erzählt darin „die ganze Gegend, die Zeit“, so einer seiner Formulierungen. Das, was vor 1984 war. Es geht um die Gegend von Gießen, Lollar und seinem Heimatdorf Staufenberg, und um die Zeit der fünfziger bis siebziger Jahre. Auch das sollte man bedenken, wenn Kurzeck in „Vorabend“ die Nöte der Igel thematisiert. Wie hellsichtig dieser Schriftsteller war!

Mehr zu Peter Kurzeck im Tagesspiegel
Peter Kurzecks Romanfragment "Bis er kommt" Schreiben und bleiben
Kultur Erzählen, um die Zeit anzuhalten Der Schriftsteller
Kurzeck-Roman "Vorabend" Vom Leiden der Igel
Über fünfzig Seiten von „Vorabend“ handeln von den Igeln und wie sie sich nicht wehren können. Als leidende, ihren Lebensraum immer mehr verlierende Hauptfiguren treten sie in diesem Roman auf, in immer wieder neuen Wendungen: „Die Igel begreifen es nicht!“, macht Kurzeck sich zu ihrem Anwalt. „Wie um sie alles wegverschwindet. Nix bleibt. Haben keinen Ort. Finden kaum noch Futter. Und auch keine Ruhe mehr. Abgase. Rußwolken. Blei. Und dazu noch das Gift, das die Bauern spritzen.“


Viel klarer hat es die Weltnaturschutzunion dieser Tage auch nicht ausgedrückt. Erstaunlich ist vielleicht nur, dass sich die Igel trotz Kurzecks schon früher Klage so lange so tapfer gewehrt haben gegen die Zurichtungen der Moderne.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen