Wer in Atomkraftwerke oder Gasinfrastruktur investiert, tut nach EU-Regeln etwas Gutes fürs Klima. Das sehen viele anders und klagen. Jetzt kommt Musik in den Streit vor Europas höchstem Gericht.
Der Rechtsstreit zwischen Österreich und der EU-Kommission zur Einstufung von Atomkraft und Gas als klimafreundlich geht in die heiße Phase. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg startete die mündliche Verhandlung, die am Dienstag fortgesetzt werden soll. Mit einem Urteil wird in einigen Monaten gerechnet.
Die Alpenrepublik hatte Klage gegen die sogenannte Taxonomie eingereicht. Die Taxonomie ist eine Art Gütesiegel für nachhaltige Finanzprodukte. Das Klassifizierungssystem soll Unternehmen und Bürgern dabei helfen, klimafreundliche Projekte zu identifizieren und dort Geld zu investieren.
Österreich kritisiert, dass dabei Kernenergie und fossiles Gas als wesentlicher Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel eingestuft wird. Wien wirft Brüssel „Greenwashing“ vor, also dass etwas als klimafreundlich gekennzeichnet wird, obwohl es das gar nicht ist. Auch mehrere Umweltorganisationen - unter anderem Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der World Wild Fund (WWF) - zogen gegen die EU-Einstufung von Gas und Atomkraft als klimafreundlich vor Gericht. Die Verfahren laufen.
In einem neuen Bericht fordert Greenpeace, die entsprechenden Regeln zu Gas und Atom in der EU-Taxonomie dürften die Energiewende in Europa nicht weiter gefährden und müssten für nichtig erklärt werden. „Europa ist gut beraten, den Empfehlungen der Wissenschaft zu folgen und eine erfolgreiche Energiewende zu vollziehen, die zu 100 Prozent auf erneuerbare Energie setzt.“
© dpa-infocom, dpa:241021-930-266644/1
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Heise hier 21.10.2024 Von Andreas Wilkens
EuG verhandelt "Grünes Label für Atomkraft": "Nachhaltigkeit" vor Gericht
Österreich will eine Verordnung kippen, die Atomkraft und Erdgas als "nachhaltig" einstuft. Das Gericht der Europäischen Union verhandelt nun darüber.Für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gehört die Atomkraft zu den Energiequellen, die in Europa mehr genutzt werden sollten. Zum Jahreswechsel 2021/2022 spiegelte sich das in einem von ihrer Kommission vorgelegten ergänzenden delegierten Rechtsakt zur Taxonomie-Verordnung für Investitionen in "grüne Energieträger" wider, in der auch Atomkraft und Erdgas als "ökologisch nachhaltig" eingestuft werden. Österreich reichte dagegen vor zwei Jahren eine Nichtigkeitsklage beim Gericht der Europäischen Union (EuG) ein, die dieser am Montag und Dienstag verhandelt.
Österreich argumentiert dabei, die EU-Kommission dürfe nicht eigenständig derart weitreichende und politisch sensible Entscheidungen treffen, Atomkraft als nachhaltig zu treffen. Der delegierte Rechtsakt sei ohne Wirkungsfolgenabschätzung und öffentliche Konsultation von der EU-Kommission am 9. März 2022 angenommen und am 15. Juli 2022 im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden, erläutert die österreichische Regierung. Seit 1. Januar 2023 ist er in Kraft.
Auf dieser Argumentationslinie bewegte sich im Januar 2022 der Jurist Götz Reichert, Leiter der Abteilung für europäisches Energierecht am Centrum für europäische Politik. Er meinte, das Vorgehen der EU-Kommission dürfte vor dem EuG keinen Bestand haben, denn der Europavertrag verbiete es, "wesentliche Aspekte" durch einen delegierten Rechtsakt zu regeln.
"Glaubwürdigkeit der Taxonomie wird untergraben"
Österreich bringt zudem vor, die Taxonomie sei geschaffen worden, um den Begriff "nachhaltig" klar zu definieren und Investoren Orientierung zu schaffen. Stattdessen werde die Glaubwürdigkeit des Klassifikationsschemas untergraben. Atomkraft erfülle die Vorgaben der Taxonomie-Verordnung nicht nach einem zentralen Kriterium: "Nach dem Prinzip "do no significant harm" dürfen grüne Wirtschaftsaktivitäten keine signifikanten Umweltschäden anrichten." Dabei verweist Österreich auf Reaktorunglücke wie Tschernobyl oder Fukushima. Erdgas als nachhaltig einzustufen sorge für "schädliche Parallelstrukturen bei Investitionen und zögert die notwendige Energiewende in Europa sinnlos hinaus".
Greenpeace hat eine eigene Klage gegen die EU-Kommission eingereicht; diese ist bis zum Ausgang des nun laufenden Verfahrens ausgesetzt. Die Umweltschutzorganisation hat nun einen Bericht vorgelegt. Darin heißt es, es werde 10 bis 19 Jahre dauern, ein neues Atomkraftwerk in Betrieb zu nehmen. "Lenkt die EU-Taxonomie die geplanten Investitionen auch in Atomkraft, fehlen diese Gelder für weit schneller umsetzbare Solar- und Windkraftanlagen. Klimaschädliche Kohle- und Gaskraftwerke würden entsprechend Jahre länger laufen."
Im Frühjahr 2023 fand sich eine "Nuklear-Allianz" aus 16 europäischen Staaten zusammen. Sie geht davon aus, dass bis zum Jahr 2050 durch den Bau von bis zu 45 neuen herkömmlichen Reaktoren und die Entwicklung von SMR (auch Mini-AKW genannt) Atomkraft in der EU bis zu 150 GW Strom liefern könnte. Vorige Woche forderte die Allianz, die Atomkraft in bestehende und künftige Vorschriften der EU aufzunehmen.
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