Donnerstag, 17. Oktober 2024

„Soll das alles umsonst gewesen sein, weil man jetzt zaudert? Das wäre falsch“

hier  Frankfurter Allgemeine Zeitung Artikel von Julia Löhr 15.10.24

Habecks Klimaschutzverträge: Eine Wette auf die Zukunft

Die Veranstaltung am Dienstagmorgen im Bundeswirtschaftsministerium war eine Mischung aus Diplomvergabe und Bescherung. 

Vertreter von mehr als einem Dutzend Unternehmen kamen im holzvertäfelten Eichensaal zusammen, um sich von Hausherr Robert Habeck (Grüne) Förderbescheide übergeben zu lassen. Mit den sogenannten Klimaschutzverträgen erstattet der Staat ihnen über einen Zeitraum von 15 Jahren die Mehrkosten einer klimafreundlichen Pro­duktionsweise. „Super“ sei das, befand Habeck. „Es geht was in Deutschland.“

Insgesamt 2,8 Milliarden Euro Fördermittel für 15 Projekte hat das Ministerium in der ersten Ausschreibungsrunde für dieses neue industriepolitische Instrument vergeben. Den höchsten Einzelbetrag erhält mit knapp 564 Millionen Euro die Papierfabrik Adolf Jass aus Fulda, die den im Produktionsprozess nötigen Dampf künftig mit Strom statt mit Erdgas erzeugen will. Der geringste Betrag, 57 Millionen Euro, geht an die Knauf Insulation Operation, die ihre Öfen zur Herstellung von Mineralwolle umrüsten will. In etlichen der Projekte soll perspektivisch mit Wasserstoff produziert werden.

Was die Klimaschutzverträge von anderen Förderinstrumenten wie klassischen Zuschüssen unterscheidet, ist die Herangehensweise über eine Auktion. Ausschlaggebend war, wer am günstigsten eine Tonne CO2 einsparen kann. Die Verträge sind so gestaltet, dass in der Zeit, in der die klimafreundliche Produktionsweise noch teurer ist als die konventionelle, die Unternehmen Geld bekommen. Wenn sich das Verhältnis eines Tages umkehrt, sollen dagegen die Unternehmen dem Staat Geld zurückzahlen.

Wasserstoff als große Unbekannte

Ob und wann das tatsächlich so eintritt, ist noch ein großes Fragezeichen. Viel hängt davon ab, wann das geplante Wasserstoffnetz fertig wird und ob Deutschland ausreichend Wasserstoff – und zwar grünen – zu für die Unternehmen akzeptablen Preisen importieren kann. Thomas Hüser, Vorstandschef der Blei- und Zinkhütte von Glencore im niedersächsischen Nordenham, sagte am Rande der Veranstaltung mit Blick auf die zurückliegende Energiekrise: „Wir waren zweieinhalb Jahre im Überlebensmodus. Für uns ist das jetzt ein großer Sprung nach vorn.“ Er hoffe, dass sich mit dem Umbau der Anlagen auf den Betrieb mit Biokohle und Wasserstoff die Arbeitsplätze langfristig sichern ließen. Technisch möglich sei es. Ob es auch bezahlbar ist? „Im Moment kommen wir als Industrie nicht ohne Subventionen aus. Das ist traurig, aber es ist so.“

Im Wirtschaftsministerium wird betont, dass die Klimaschutzverträge ein für die Steuerzahler vergleichsweise günstiges Instrument seien. Ausgezahlt werde je eingesparte Tonne CO2 – die Unternehmen müssten also liefern, um Geld zu bekommen. Sowohl die zustän­dige Abteilung als auch die Vertreter der Unternehmen gehen davon aus, dass nicht der gesamte Betrag, der auf den symbolischen Förderbescheiden aufgedruckt ist, auch tatsächlich ausbezahlt wird, die Mehrkosten der klimafreund­lichen Produktion letztlich günstiger ausfallen werden als in den Rechenmodellen angenommen. Für Habeck ist es nur eine Frage der Zeit, bis durch die Verknappung der CO2-Zertifikate und den daraus resultierenden Preisanstieg die klimafreundliche Produktion wirtschaftlicher wird als die mit fossiler Energie.

„Industrie-Wirtschaftsprogramm“

Nimmt man die jetzt ausgelobte Gesamtsumme als Ausgangspunkt für einen Kosten-Nutzen-Vergleich, fällt der indes wenig schmeichelhaft aus. Über die Laufzeit von 15 Jahren sollen mit den 2,8 Milliarden Euro bis zu 17 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Rechnerisch wird also die Einsparung einer Tonne mit 165  Euro bezuschusst. Das ist weitaus mehr, als Unternehmen im europäischen Emissionshandel derzeit zahlen müssen, um eine Tonne CO2 in die Atmosphäre ausstoßen zu dürfen.

Dieser Preis liegt aktuell bei rund 65 Euro. Darauf während der anschließenden Pressekon­ferenz an­ge­­sprochen, sagte Habeck: „Diese Rechnung ist aus zweierlei Gründen nicht meine. Die Alternative wäre, dass diese Un­ternehmen wahrscheinlich nicht mehr am Standort wären.“ Zudem würden viele der eingesetzten Techniken gerade erst ent­wickelt. „Von daher ist das hier ein Indus­trie-Wirtschaftsprogramm.“ Der Chemieverband VCI lobte das neue Instrument de­r Klimaschutzverträge. „Viele klimafreundliche Produktionsverfahren sind international noch nicht konkurrenz­fähig.“

Eine zweite Ausschreibungsrunde ist bereits in Arbeit. Bis Ende September konnten Unternehmen dafür Projektskizzen einreichen. 130 kamen nach Minis­teriumsangaben zusammen. Ein niedriger zweistelliger Milliardenbetrag soll dafür aus dem Klima- und Transfor­mations­fonds fließen. Habeck gibt sich optimistisch, dass die FDP ihm dabei keinen Strich durch die Rechnung machen wird. Klären wird sich das aber erst, wenn der Haushalt für das Jahr 2025 steht. Zieldatum dafür ist aktuell die Bereinigungssitzung am 15. November.

Direkt nach der Veranstaltung im Ministerium fuhr Habeck zum Klima­kongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) weiter. Dort erinnerte er an die Klimaschutzziele, die sich Deutschland – 2045 rechnerisch keine CO2-Emissionen mehr – und die EU gegeben haben. Wirbelstürme und Flutereignisse würden nicht weniger, mahnte er. Die Unternehmen hätten sich ohnehin längst auf den Weg gemacht, um Wasserstoff zu er­zeugen oder Elektroautos zu bauen.

„Soll das alles umsonst gewesen sein, weil man jetzt zaudert? Das wäre falsch“, sagte er in Richtung der CDU. Die staatlichen Fördermittel verteidigte er mit den Worten: „Sonst muss man sagen, das wird das Ende der Stahlproduktion in Deutschland sein, oder das Ende des Klimaschutzes.“ BDI-Präsident Siegfried Russwurm kri­tisierte, zwei Drittel der Voraussetzungen für eine wettbewerbsfähige Energieversorgung seien noch nicht geschaffen. Aktuell befinde sich Deutschland „auf der Verliererstraße“.

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