Freitag, 18. Oktober 2024

"Wir sind wasserblind. Wir sehen es, aber wir verstehen es nicht, begreifen seinen Wert nicht."

Zeit hier Von Ronja Gronemeyer 17. Oktober 2024, 

Wasserversorgung: Expertengremium berechnet enorme Kosten der Wasserkrise

Wassermangel gefährde bis 2050 über die Hälfte der globalen Lebensmittelproduktion, warnt ein Bericht. Forschende begrüßen die Analyse, kritisieren aber dessen Methoden.

Wasser ist selbstverständlich. Es plätschert aus dem Wasserhahn, trommelt gegen unsere Fensterscheiben, nährt unsere Pflanzen und brodelt im Kochtopf für die Pasta. Und trotzdem: "Wir sind wasserblind", sagt Johan Rockström, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. "Wir sehen es, aber wir verstehen es nicht, begreifen seinen Wert nicht." 

Rockström ist einer der Köpfe hinter der Global Commission on the Economics of Water, die in einem neuen Bericht vor den Konsequenzen einer sich abzeichnenden globalen Wasserknappheit warnt. Eine versteckte Bedrohung, die im Schatten der Klima- und Biodiversitätskrise oft übersehen werde. An seiner Seite im Vorsitz hat Rockström die einflussreiche Wirtschaftsprofessorin Mariana Mazzucato, die Generaldirektorin der Welthandelsorganisation, Ngozi Okonjo-Iweala, und Tharman Shanmugaratnam, den Präsidenten von Singapur. Das Land ist für sein fortschrittliches Wassermanagement bekannt, mit dem bis zu 40 Prozent des täglichen Wasserbedarfs aus wiederaufbereitetem Abwasser gedeckt werden.

Wassermangel gefährdet die Nahrungsmittelproduktion
Der Bericht der Kommission liest sich gleich zu Beginn alarmierend: Ein aus den Fugen geratener Wasserkreislauf könnte demnach bis 2050 mehr als die Hälfte der weltweiten Nahrungsmittelproduktion gefährden, warnen die Autorinnen und Autoren. Schon heute seien fast drei Milliarden Menschen und über 50 Prozent der globalen Lebensmittelherstellung von Dürren oder unzuverlässiger Wasserversorgung betroffen. Die Kommission fordert daher Regierungen weltweit zum Handeln auf, um die Ernährungssicherheit auch in Zukunft sicherzustellen. Es braucht also ein Umdenken im Wassermanagement, damit auch in Deutschland Menschen beispielsweise weiterhin Pasta genießen können – deren Hartweizen stammt nämlich oft aus den wasserarmen Regionen Südeuropas.

Auch die wirtschaftlichen Folgen der bereits spürbaren Wasserknappheit beschreibt der Bericht dramatisch. Er prognostiziert den Ländern dieser Welt einen durchschnittlichen Rückgang ihres Bruttoinlandsprodukts, also des Gesamtwerts aller nationalen Waren und Dienstleistungen, von bis zu acht Prozent. Werden nur einkommensschwächere Staaten betrachtet, seien es sogar bis zu 15 Prozent. So würden kurzfristige Gewinne auf Kosten von Klima und Umwelt langfristig zu Kosten führen, die diese kurzfristigen Gewinne bei Weitem übersteigen. Im Zusammenspiel mit der globalen Erwärmung kann ein instabiler Wasserzyklus zu Dürren und Hitzewellen, aber auch zerstörerischen Starkregenereignissen führen, die ebenfalls hohe Kosten für die Wirtschaft bedeuten. Der Verlust von Bodenwasser könnte sogar den Boden von Städten herabsinken lassen. So entstehen bleibende Verluste für kommende Generationen. 

Auch die Gesamtmenge an nutzbarem Süßwasser könnte laut Bericht zukünftig zurückgehen. "Wenn wir Wasser nutzen, gehen wir oft davon aus, dass immer dieselbe Menge Wasser zurückkommt – schließlich ist es ein Kreislauf", sagt Rockström. Aber: "Durch den Klimawandel und intensivierte Landnutzung verändert die Menschheit den Niederschlag, die Quelle allen Süßwassers, was zu mehr Überschwemmungen, Dürren und Wasserknappheit führt. Damit verringern wir langfristig die Gesamtmenge an verfügbarem Süßwasser."

Blaues und grünes Wasser – und eine neue Perspektive
Gut sichtbar sind diese Verluste, wenn sie flüssiges Wasser in Flüssen, Seen und Grundwasser betreffen, das bei bisherigen Wasserschutzmaßnahmen im Fokus steht. Allein dieses sogenannte blaue Wasser zu betrachten, greife aber zu kurz und würde nur einen Teil der Wasserproblematik berücksichtigen, mahnt die Kommission. Eine kritische und ebenfalls gefährdete Süßwasserressource werde dabei oft übersehen: das grüne Wasser – die Feuchtigkeit in Böden und Pflanzen. Dieses Wasser ist für etwa die Hälfte der Niederschläge verantwortlich, indem es durch Verdunstung in die Atmosphäre zurückkehrt, sich in Wolken sammelt und als Regen wieder auf die Erde fällt. Damit die Niederschläge stabil bleiben, benötigt eine Region also eine intakte Pflanzenwelt. Der Schutz von grünem Wasser stabilisiert damit nicht nur den Wasserkreislauf, sondern erhält die Biodiversität und wirkt auch den Folgen des Klimawandels entgegen, denn Pflanzen speichern das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid.

Wer steckt hinter dem Wasserbericht?
Die Global Commission on the Economics of Water nimmt die ökonomische Dimension der weltweiten Wassernutzung unter die Lupe. Das Gremium, 2022 von der niederländischen Regierung ins Leben gerufen und von der OECD (einem Zusammenschluss reicher westlicher Länder) flankiert, will Grundlagenarbeit leisten. Ähnlich wie vorangegangene Berichte, die langfristige Kosten von Klimawandel (2006) und Biodiversität (2021) vorrechneten, will die Kommission die ökonomischen Folgen des instabiler werdenden Wasserzyklus aufzeigen. Ihr aktueller Bericht soll Entscheidungsträgern vor allem in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weltweit als Orientierung für den nachhaltigen Umgang mit der kostbaren Ressource dienen. Viele Aussagen des Berichts beruhen auf einem globalen Gleichgewichtsmodell, das die Auswirkungen des Klimawandels auf Temperatur, Niederschlag und alle Formen des Wassers modelliert und dann die dadurch entstehenden Kosten berechnet.

Was der Bericht sehr deutlich macht: Es braucht einen besseren Schutz und klügeres Management aller Formen des Wassers. Darin sind sich auch unbeteiligte Forschende einig. Allerdings gibt es Bedenken und Kritik am Vorgehen der Autorinnen und Autoren: Mehrere Darstellungen und Berechnungen seien irreführend, schreibt etwa Stefan Siebert, Professor für Agrarwissenschaften an der Universität Göttingen in einer Stellungnahme des deutschen Science Media Centers (SMC).  

Die alarmierende Prognose, dass 50 Prozent der Nahrungsmittelproduktion gefährdet seien, basiere auf der unbegründeten Annahme, landwirtschaftliche Bewässerung sei in Zukunft gar nicht mehr möglich. Auch würden beispielsweise einige Analysen im Bericht nur lokale Wasserressourcen berücksichtigen. Dicht besiedelte Gebiete zum Beispiel im Westen Deutschlands landen damit in der höchsten Knappheitskategorie – obwohl die Bewohnerinnen und Bewohner dort von dem angeblichen Wassermangel wenig mitbekommen. Schließlich wird etwa Trinkwasser oft über Hunderte Kilometer aus der Eifel und dem Bergischen Land in Gebiete rund um Köln und Düsseldorf transportiert. Auch wasserintensive Lebensmittel wie Kaffee, Reis oder Schokolade sowie andere Güter werden in diese eigentlich wasserknappen Regionen importiert, sodass die Bewohner real gar keinen Mangel erleben.

Eines der Hauptprobleme des Berichts sei aber vor allem, dass er kein in der Wissenschaft übliches Begutachtungsverfahren durch andere Fachexperten durchlaufen hat. So ein Prozess hätte einige Unstimmigkeiten in den Analysen und Berechnungen aufdecken können. Trotz aller Kritik lobt der Agrarforscher Siebert hingegen das Kernanliegen der Kommission: Um den weltweiten Wasserbedarf langfristig zu sichern, müssen Wasserressourcen nachhaltiger und global strategisch genutzt werden.
Eine Voraussetzung dafür ist eine faire Bepreisung von Wasser. Denn was für einen Liter Wasser bezahlt wird, deckt aktuell in vielen Ländern nicht das, was sein Verbrauch an verdeckten Kosten global und langfristig erzeugt. Das führt schnell zu Wasserverschwendung. Die Kommission fordert daher, dass beispielsweise Unternehmen einen Wasserfußabdruck offenlegen sollen, der blaues und grünes Wasser umfasst. Angemessene Wasserpreise, Subventionen und andere Anreize sollen für eine effizientere und nachhaltigere Nutzung sorgen. Die Preisgestaltung soll angemessen, global und sozial gerecht erfolgen – wie genau, bleibt jedoch unklar.

Aber wie viel Wasser braucht eigentlich ein Mensch? Für grundlegende Gesundheits- und Hygienebedürfnisse benötigt eine Person etwa 50 bis 100 Liter pro Tag, schätzt die Wasserabteilung der Vereinten Nationen. Ein angenehmes Leben mit angemessener Ernährung und modernem Konsumverhalten benötigt laut Kommission aber derzeit etwa 4.000 Liter täglich – eine Menge, die in den meisten Regionen undenkbar ist.

Über die Hälfte der Weltbevölkerung, etwa im Süden Europas oder im Norden Afrikas, leidet schon heute unter hohem Wasserstress. Das bedeutet, dass der tägliche Wasserverbrauch bereits mehr als 40 Prozent des verfügbaren Wassers ausmacht. Ausbleibende Niederschläge können hier jederzeit existenzielle Krisen auslösen. Die Kommission fordert daher, Wasser als globales Gemeingut zu betrachten und Wassergerechtigkeit ebenso zu berücksichtigen wie Klimagerechtigkeit. "Wasser muss die gleiche Aufmerksamkeit bekommen wie der globale Klimawandel", sagte auch Harald Kunstmann dem SMC. Er leitet die Arbeitsgruppe Regionales Klima und Hydrologie am Karlsruher Institut für Technologie und war nicht an dem Bericht beteiligt. Die hydrologischen Methoden des Berichts seien aber angreifbar, was die Belastbarkeit der ökonomischen Schlussfolgerungen infrage stelle.

Fünf Missionen für eine gerechte Wasserzukunft
Die Autorinnen und Autoren des Wasserreports schlagen schließlich auch Lösungswege für die Wasserkrise vor. Die Kommissionsvorsitzende Mariana Mazzucato hat als Expertin für nachhaltiges Marktwachstum maßgeblich an der Erarbeitung von fünf sogenannten Missionen mitgewirkt. Maßnahmen, um die knappe Ressource Wasser auch künftig ausreichend zu erhalten. Sie plädiert zugleich für Wasserinvestitionen, die nicht nach kurzfristigen Kosten und Nutzen bewertet werden, sondern nach langfristigen, gesamtwirtschaftlichen Vorteilen.

1. Transformation der Lebensmittelindustrie: Ausweitung der Mikrobewässerung, Steigerung der Wassereffizienz, Umstellung auf regenerative Landwirtschaft und schrittweise Verlagerung von tierischer auf pflanzliche Ernährung.

2. Schutz des grünen Wassers: Bis 2030 sollen 30 Prozent der bedrohten Wälder erhalten und weitere 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt werden.

3. Kreislaufwirtschaft für Wasser stärken: Abwasser soll in großem Maßstab aufbereitet und wiederverwendet werden, um jeden Tropfen optimal zu nutzen.

4. Wasserfreundliche Zukunftsbranchen aufbauen: Wachstumssektoren wie erneuerbare Energien, Halbleiter und künstliche Intelligenz sollen die globale Wasserknappheit nicht verschärfen. Gerade Rechenzentren in der Techindustrie verbrauchen derzeit noch enorme Mengen an Wasser und Energie.

5. Sauberes Wasser für alle garantieren: Bis 2030 soll der Zugang zu sauberem Wasser für ländliche und schwer erreichbare Gemeinden sichergestellt werden, um zu verhindern, dass Kinder an verunreinigtem Wasser sterben.

Auch an diesen ambitionierten Vorschlägen gibt es Kritik. Maßnahmen zur Verbesserung der Wassernutzung dürften nicht isoliert betrachtet werden, sagte etwa der Agrarwissenschaftler Siebert dem SMC. Beispielsweise könnte durch Gewächshäuser zwar Bewässerungswasser eingespart werden, für deren Bau würden jedoch energieaufwendige Ressourcen benötigt. Statt alarmierender neuer Forderungen brauche es ganzheitliche Ansätze und Lösungen, die alle Krisen mitdenken.

Die Autorinnen und Autoren sehen dabei die Ökonomie des Wassers im Zentrum. Um den Wasserkreislauf zu stabilisieren und eine gerechte Wasserzukunft aufzubauen, müsse diese letztlich nachhaltig transformiert werden. Eine Mammutaufgabe: Verbindliche Partnerschaften, Eigentumsrechte und Verträge müssten die Umsetzung sicherstellen. Ob dies gelingt und ob es irgendwann ähnlich weitreichende internationale Vereinbarungen für den Wasserschutz geben wird, wie für den Klimaschutz oder die Biodiversität, bleibt abzuwarten. Die entscheidende Frage angesichts der multiplen Krisen scheint nicht, was Maßnahmen kosten, sondern einmal mehr: Was kostet es, wenn die Welt nichts tut?

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