hier NTV Artikel von Christian Herrmann 10.10.24
Unendlich viel günstige Energie: "Wir stehen an der Schwelle zur nachhaltigen Solarzivilisation"
Seit Jahrzehnten träumt die Menschheit von unbegrenzter Energie. In diesem Jahrhundert könnte der Traum wahr werden, denn die Solarenergie übertrifft seit den 1960er Jahren zuverlässig alle Erwartungen. " Bis heute wird sie jedes Jahr günstiger und besser. Es spricht nicht viel dafür, dass dieser Trend schlagartig endet", sagt sagt Christian Breyer, ein Solarökonom im Interview.Effizienter werden und Kosten trimmen - das sei die "paranoide DNA der Industrie", erklärt der Solarökonom von der Technischen Universität Lappeenranta (LUT) in Finnland im "Klima-Labor" von ntv. Das Ergebnis beeindruckt: "Das Anwendungsprofil kann noch so unterschiedlich sein, es gibt keinen Ort auf dieser Welt, wo man Solarenergie nicht sinnvoll für wenige Cent nutzen kann", sagt Breyer. Ein deutscher Politiker hat es schon in den 90er Jahren kommen sehen.
ntv.de: Befinden wir uns in einer Solar-Revolution? Hat die Sonne "gewonnen"?
Christian Breyer: Kurz und knapp, ja. Wir stehen an der Schwelle, eine nachhaltige Solarzivilisation zu werden. Sollten gewisse Projektionen nicht daneben liegen, können wir tatsächlich den größten Anteil unserer Energieversorgung für die komplette Erde von der Sonne gewinnen.
Der Traum von unbegrenzter und kostenfreier Energie erfüllt sich nicht mit der Kernfusion, sondern mit dem Balkonkraftwerk?
Es geht in diese Richtung. Wir könnten einen Punkt erreichen, an dem Energie sehr günstig ist, aber kostenfrei wird sie nie sein. Diese Idee wurde vor über 50 Jahren für die Kernkraft eingeführt, um sie hoffähig zu machen. Das war Marketing. Heute ist Kernkraft die teuerste Elektrizitätserzeugung aller etablierten Technologien. Und die Kernfusion ist wahrscheinlich der größte Forschungsfehlschlag der Menschheitsgeschichte überhaupt. Seit Jahrzehnten werden weltweit jedes Jahr viele Milliarden ausgegeben und es wurden nicht einmal die grundsätzlichen Probleme gelöst.
Bei der Solarenergie dagegen schon? Bald erhalten wir Energie zum Centpreis?
Ja. Vergangenes Jahr waren 70 Prozent der weltweit hinzugefügten Stromerzeugungskapazität Photovoltaik. Das ist der Stand der Dinge. Kritiker werden jetzt sagen, dass diese Erzeugungskapazitäten je nach Standort nur 1000 bis 2000 Volllaststunden erreichen und damit nur etwa die Hälfte von Wind. Deswegen benötigt man deutlich mehr Solar-Kapazität, um dieselbe Menge Elektrizität zu erzeugen. Aber 70 Prozent beim Zubau bedeuten eine absolute Dominanz. Dazu kommen etwa 15 Prozent Windkraft, 10 Prozent Gas und Kohle. Kernkraft gibt es schon gar nicht mehr, weil sich das kaum jemand leisten kann - ausgenommen neue Projekte mit militärischem Bezug.
Was macht denn Photovoltaik so viel besser als andere Energieformen? Warum dominiert nicht Wind den Zubau?
Wie gesagt, die installierte Windkraftkapazität erzeugt ungefähr zweimal so viel Energie wie dieselbe Menge Solar-Kapazität. Bedenkt man diesen Faktor zwei, relativieren sich die Anteile auf 35 zu 15 Prozent. Ansonsten benötigt Windkraft größere Freiflächen und natürlich Wind. Das mag für uns in Europa schwer vorstellbar sein, aber es gibt auf der Welt viele Regionen wie Regenwälder, die nicht so windig sind. Solarenergie ist das Gegenteil: Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, wo man sie nicht sinnvoll nutzen kann. Der höchste jemals erreichte Tagesertrag einer PV-Anlage wurde in der Antarktis gemessen, weil die Sonne dort im Sommer 24 Stunden am Tag scheint. Außerdem funktioniert Solarenergie auch in netzfernen Gebieten.
Für Selbstversorger und auch für Laien?
Das ist der entscheidende Unterschied, ja. Man kann mit Solarenergie Lampen betreiben, Radio hören und das Mobiltelefon aufladen. Das sind üblicherweise die kleinsten Anwendungen. Die größten Kraftwerke im Multi-Gigawatt-Maßstab stellen mehr Elektrizität als Kernkraftwerke bereit. Das Anwendungsprofil kann noch so unterschiedlich sein, PV funktioniert - privat wie gewerblich. Und weil die Solarzelle als Technologie im Regelfall identisch und global standardisiert ist, ist Photovoltaik außerordentlich günstig. Selbst an windreichen Orten kostet die erzeugte Menge Solarstrom inzwischen tendenziell weniger.
Die Herstellungskosten sind in den vergangenen 15 Jahren um 90 Prozent gesunken und sinken weiter. Gleichzeitig werden Solaranlagen immer effizienter. Hält dieser Trend an?
Mehr Effizienz erreicht man oft dadurch, dass man eine Technologie komplizierter macht. Dann wird es selten günstiger. Die Solarindustrie wurde dagegen jahrzehntelang darauf getrimmt, immer günstiger zu werden. Das ist die paranoide DNA der PV-Industrie. Im jahrzehntelangen Mittel sinken die Kosten für Photovoltaikmodule deswegen um 25 Prozent, sobald sich die historisch hergestellte Modulmenge verdoppelt. Das geschieht aktuell alle drei Jahre. Seit 15 Jahren werden die Module allerdings nicht mehr um 25 Prozent günstiger, sondern sogar um 40 Prozent.
Sie werden schneller günstiger als gedacht?
Ja. Das hat Mitte oder Ende der 2000er Jahre angefangen. Es gab eine kurze Unterbrechung durch die Pandemie, aber diese Lieferkettenprobleme wurden wieder aufgeholt. Die Entwicklung ist aber nicht überraschend, denn PV ist letztlich eine Halbleitertechnologie. Dort sieht man dieselben extremen Skaleneffekte. Wie lange dieser Trend anhält, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Aktuell beobachten wir: Er hält an, obwohl Photovoltaik bereits die günstigste Form der Elektrizitätsbereitstellung ist, und momentan spricht nicht sehr viel dafür, dass dieser Trend schlagartig endet.
Ist das eine Konsequenz der massiven Subventionen, mit denen die Branche in China unterstützt wird?
Nein. Durch diese Unterstützung wurde die Skalierung nur beschleunigt. Würde man sie komplett vom Tisch nehmen, wäre PV heute vielleicht 20 bis 30 Prozent teurer. Bei der Industrialisierung der Technologie können wir uns als Deutschland übrigens auf die Schulter klopfen, denn das ist wahrscheinlich unser größter Beitrag zur positiven Entwicklung der Menschheit neben dem Buchdruck von Gutenberg: Extrem günstige Photovoltaik wurde vor etwa 25 Jahren mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz angeschoben. Dadurch konnte sich die Industrie entwickeln, automatisieren und investieren - bis China uns die Butter vom Brot genommen hat. Die halbherzige Unterstützung war deutsches Politikversagen. Die chinesische Regierung hat dagegen verstanden, um welche außergewöhnliche Technologie es geht und die Industrie konsequent ausgebaut.
Woher kam diese Skepsis der deutschen Politik?
Solarenergie war über Jahrzehnte einfach die teuerste Form, Elektrizität bereitzustellen. Sie konnte sich trotzdem entwickeln, weil sie von Anfang an die günstigste Lösung für einen hochprofitablen Markt war: die energetische Versorgung im Weltraum. Vorher wurden zu Apothekenpreisen Batterien in Satelliten eingebaut. Für dieses teure Business war Solarenergie immer noch extrem günstig. Das war der erste nachhaltige und stabile Markt. Aber wahrscheinlich sind langfristige Strukturumbrüche nicht kompatibel mit dem kurzatmigen Politikbetrieb.
Heute ist Photovoltaik der Standard im Weltraum?
Genau. Entscheidend ist: Diese Entwicklung hat sich seit den 1960er Jahren mehrfach wiederholt. PV eroberte einen Markt nach dem anderen und wurde nie von einer anderen Technologie verdrängt. Zuerst im Weltraum. Dann auf der Erde, wo kein Stromnetz war, also Off-Grid. Dann kamen Dachanlagen in netzgekoppelten Märkten dazu, mit denen die Kilowattstunde Strom meistens deutlich günstiger ist, als wenn sie vom Energieversorger kommt. Als vierter großer Markt sind vor 15 Jahren große PV-Kraftwerke entstanden, die Strom für das Übertragungsnetz bereitstellen. Heute sind Aufdachanlagen ungefähr eine Hälfte des Weltmarktes und die großen Freiflächen-Anlagen die andere. Der größte wird allerdings der nächste Markt: Wir werden Elektrizität in andere Energieformen umwandeln, um grünes Kerosin und grüne Chemikalien wie Ammoniak oder Methanol für Industrien herzustellen, die wir nicht direkt elektrifizieren können. Das bezeichnen wir als Power-to-X-Wirtschaft. In weiten Teilen der Welt wird es die Solar-to-X-Wirtschaft sein.
Und diese Entwicklung hat niemand vorhersehen können?
Doch. Der wahrscheinlich einflussreichste deutsche Politiker der letzten Jahrzehnte ist Hermann Scheer. Er war einer der beiden Initiatoren des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes und hat 1999 das Buch "Solare Weltwirtschaft" veröffentlicht. Da steht praktisch alles drin - vielleicht nicht in den Details, wie wir das heute diskutieren, aber der Weitblick ist beeindruckend.
Mit Christian Breyer sprach Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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