Montag, 2. Januar 2023

Zeitenwende in Brasilien?

Handelsblatt  hier  02.01.2023 dpa

Lemke: Abholzung des Regenwaldes hat Folgen für ganzen Planeten

Ein weiteres Abholzen des Amazonas-Regenwaldes hätte nach Darstellung von Bundesumweltministerin Steffi Lemke auch negative Folgen für das Klima in Deutschland. "Wir müssen den Amazonas retten, wenn wir die Klimakrise stoppen wollen, wenn wir das Artenaussterben stoppen wollen", sagte die Grünen-Politikerin während ihrer Brasilien-Reise mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Mit der neuen brasilianischen Regierung erhalte die internationale Staatengemeinschaft die Chance, einen der wichtigsten Kipppunkte bei der Klimakatastrophe aufzuhalten. "Wenn der Kipppunkt Amazonas erreicht wird, würde einer der wichtigsten Klimaregulatoren für unseren Globus, für unseren Planeten ausfallen", warnte Lemke. "Das würde schwere Störungen im Klimasystem nach sich ziehen, die wir zwar nicht genau prognostizieren können, aber die den gesamten Planeten betreffen würden."

Der Amazonas-Regenwald ist verteilt auf neun Staaten Südamerikas, Brasilien hat den größten Anteil. Der größte Regenwald der Welt mit einer Fläche von sieben Millionen Quadratkilometern bindet laut Naturschutzorganisation WWF zwölf Prozent des Süßwassers der Erde und ist Heimat für zehn Prozent aller Arten auf der Welt. Der WWF warnt davor, dass bereits rund 20 Prozent des Amazonas-Regenwaldes zerstört seien. Bei 25 Prozent vernichtetem Wald würde ein Kipppunkt erreicht, das System sei dann nicht mehr zu retten.

Lemke sagte, es sei wichtig, schnell erste Projekte auf den Weg zu bringen. Daher sei es gut, dass die Bundesregierung jetzt 35 Millionen Euro für den Amazonas-Fonds zugesagt habe. "Ich bin sicher, wenn es an der Frage weiterer Gelder hakeln würde, wir auch Möglichkeiten finden als internationale Staatengemeinschaft, dafür mehr Geld zur Verfügung zu stellen."

Bei den 35 Millionen Euro handelt es sich um eine Einlage in den Amazonas-Fonds, die Deutschland in der Zeit des rechtsgerichteten Präsidenten Jair Bolsonaro eingefroren hatte.
Unter ihm hatte die Vernichtung des Regenwaldes deutlich zugenommen. Jetzt wird das Geld wieder freigegeben.

Steinmeier und Lemke wollen an diesem Montag die Forschungsstation ATTO im Regenwald sowie das Monitoringzentrum für Entwaldung in Manaus besuchen. Die Station wird gemeinsam von deutschen und brasilianischen Wissenschaftlern betrieben. Sie erforschen die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Regenwald und Klima.




ARD Tagesschau hier

Luiz Inacio Lula da Silva und Sonia Guajajara | EPA

Amtsantritt von Lula

Zeitenwende in Brasilien?

Stand: 01.01.2023 Von Anne Herrberg,

Die Hoffnung auf eine neue Ära nach vier Jahren Bolsonaro ist groß - auch im Ausland. Doch einfach wird es für Brasiliens neuen Präsidenten Lula nicht. Er erbt ein gespaltenes Land und einen Haushalt in Schieflage.

"Für die Verteidigung der Demokratie", sagt Simone Caoxeiro und packt ein knallrotes T-Shirt mit dem Konterfei Lulas in ihren roten Rollkoffer,......

Erleichterung - das habe sie gespürt, als Lula gewählt worden sei, sagt auch Simone. Beide engagieren sich politisch, vertreten linke Ideen. Für das Engagement hätten sie in den vergangenen Jahren immer wieder Drohungen erhalten, erzählt die kräftige Frau mit den langen, schwarzen Locken. Am Wahltag hätten sie als Wahlhelfer gearbeitet und seien dabei von Milizen mit einer Waffe bedroht worden. "Aber wir haben die Regierung von Bolsonaro besiegt. Eine Regierung, die schlimm war, die Gewalt und Hass gestreut hat, die mit Milizen paktiert, den Staat zerstört hat und bewiesen hat, dass es in Brasilien eine extreme Rechte gibt."

Bolsonaro-Anhänger erkennen Wahlergebnis nicht an

Eine Rechte, die in den vergangenen Monaten immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut hat und nach wie vor von Betrug spricht, auch wenn es dafür keinerlei Beweise gibt.Seit Wochen kampieren Anhänger des scheidenden Präsidenten Jair Bolsonaro vor militärischen Einrichtungen und fordern ein Eingreifen der Streitkräfte - so auch vor dem imposanten Palacio Duque de Caxias, dem Militärkommando Ost in Rio de Janeiro. Dort steht inzwischen eine Art Zeltstadt, gut ausgestattet mit Chemietoiletten, festen Planen und Gemeinschaftsküche. Etwa 300 Bolsonaro-Anhänger harren dort aus, gekleidet in Grün und Gelb, den Nationalfarben. Sie tragen Schilder mit Aufschriften wie "S.O.S. Streitkräfte" oder "Nationale Intervention jetzt"."Es ist ein Krieg, um die Sache Gottes zu verteidigen", ruft Schwester Terezinha vom Orden der Missionarinnen der Erlösung. "Nein zu Abtreibungen, ja zur Freiheit! Besiege den Kommunismus und den Teufel, sie müssen zur Hölle!" Schwester Terezinha trägt eine Robe und hält den Rosenkranz in die Kamera.

Lula-Gegner sprechen von "Putsch gegen Demokratie

"Die nationalen Medien verschwiegen die Proteste, beschwert sich Samuel Rezende, Oberleutnant der Reserve und digitaler Influencer. Er trägt ein schwarzes Bolsonaro-T-Shirt und überträgt das Interview mit der ARD zur Kontrolle live per Instagram: "Was hier in Brasilien passiert, ist ein Putschversuch gegen unsere Demokratie", sagt Rezende. "Deswegen sind die Menschen hier auf der Straße, um in geordneter, friedlicher Weise zu demonstrieren, weil sie an die Demokratie glauben." Alle Regierungen Brasiliens, außer die von Bolsonaro, seien korrupt und raubten das Land aus, ist er überzeugt - besonders eben jener Lula da Silva, der niemals habe antreten dürfen.

In der Tat war es in Lulas früherer Regierungsallianz zu massiver Korruption und Bereicherung gekommen, für die er politisch nie Verantwortung übernahm. Auch Lula wurde zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt, die Urteile gegen ihn wurden 2021 vom Obersten Gerichtshof annulliert. Doch seinem Bild als Politiker haben die Skandale geschadet, Millionen Brasilianer sprechen ihm die Legitimität ab. "Meine Flagge wird niemals rot sein", singen sie vor dem Palacio Duque de Caxias.Bombenfund sorgt für Aufregung"Es ist sehr besorgniserregend, auch wenn es sich um eine kleine Gruppe handelt", sagt der Sicherheitsexperte Juliano Cortinhas von der nationalen Universität von Brasilia. "Indem das Militär die Proteste gewähren lässt, zeigt es indirekt sein Einverständnis - dabei begehen diese Menschen kriminelle Taten, denn sie propagieren die Auflösung des demokratischen Systems."Für Aufregung sorgte ein Bombenfund in den Weihnachtstagen. Die brasilianische Polizei nahm einen Mann fest, der versucht haben soll, in Brasilia einen Sprengsatz zu zünden. Bei dem Festgenommenen handelt es sich um einen radikalen Bolsonaro-Anhänger. Er habe den Plan verfolgt, zu Lulas Amtseinführung Chaos zu stiften, heißt es dazu von der Polizei. Samuel Rezende glaubt, es seien "vom System bezahlte Unruhestifter" gewesen, die die Pro-Bolsonaro-Bewegung diffamieren sollten.

Gespaltenes Land, klamme Kassen

Auch wenn Lula direkt nach seinem Wahlsieg Ende Oktober die Einheit aller Brasilianer beschwor, bleibt das Land, das er künftig regiert, tief gespalten. So wird Bolsonaro am Sonntag nicht die Präsidentenschärpe an Lula übergeben. Er hat das Land bereits in Richtung Florida verlassen. Seit Lulas Sieg meidet Bolsonaro die Öffentlichkeit, über Wochen verließ er den Palast nicht. Auch hat er bislang Lulas Sieg nicht anerkannt.

Es werde schwer für Lula, sagt Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro. Anders als bei seinem ersten Amtsantritt 2003 könne Lula nun weder auf einen Boom der Rohstoffexporte noch auf eine brummende chinesische Wirtschaft setzen. "Heute haben wir ein polarisiertes Land mit einer extremen Rechten, die sowohl auf der Straße als auch im Netz gut organisiert ist. Und wir leben in einer Welt, die noch unter den Folgen der Pandemie leidet, dazu kommt der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen auf Inflation, Lebensmittelpreise und Öl."

Große Hoffnungen von allen Seiten

Die Herausforderungen sind komplex: Die internationale Gemeinschaft hofft, dass Lula die Abholzung am Amazonas stoppt und eine Führungsrolle beim Kampf gegen den Klimawandel einnimmt - die Menschen im Land fordern von Lula schnelle Lösungen angesichts der gestiegenen Armut, des Hungers und der Ungleichheit. Dabei erbt Lula einen Haushalt in Schieflage und muss mit einem Kongress regieren, in dem rechte und konservative Kräfte die Mehrheit haben.

Lula wird Zugeständnisse machen müssen und Allianzen schmieden. Er hat bereits mit dem Kongress über eine Aussetzung der Schuldenbremse verhandelt, um seine Wahlkampfversprechen aufgestockter Sozialprogramme zu realisieren. Die Finanzmärkte reagierten nervös auf Lulas neue Spendierhosen, die Kurse gaben nach.

Kabinett soll Verbündete zufriedenstellen

Schon die Aufstellung seines Kabinetts glich einem komplizierten Puzzle, dazu gründete Lula 16 neue Ministerien. "Wir versuchen, eine Regierung zu bilden, die so weit wie möglich die politischen Kräfte repräsentiert, die mit uns Wahlkampf geführt haben", sagte Lula. Wichtige Posten wie das Wirtschafts- oder das Sozialministerium gingen an enge Verbündete.

Für Jubel im progressiven Lager sorgte die Ernennung von Anielle Franco, der Schwester der 2018 von Paramilitärs getöteten Stadträtin von Rio de Janeiro, Marielle Franco. Sie wird Ministerin für die Gleichstellung ethnischer Gruppen und erstmals gibt es ein Ministerium für indigene Völker. Lulas Vizepräsident, der konservative Geraldo Alckmin, wird das Industrie- und Handelsressort übernehmen.

Kampf gegen die Zeit

Lula sei einer, der Allianzen schmieden könne und mit Widrigkeiten klarkomme, sagt der Unterstützer Ulysses Peixoto. Ihm mache etwas anderes Sorgen: "Das größte Problem für Lula wird die Zeit sein." Die Menschen wollten einen schnellen Wandel sehen. "Aber die Bolsonaro-Regierung hat so viel zerstört - bei der Sozialpolitik, der Bildung, im Gesundheitswesen, am Amazonas. Es wird Jahre dauern, das wieder aufzubauen, das wird nicht schnell gehen.

"Dann setzt sich die Karawane in Bewegung. Sorgen, dass es beim Amtsantritt zu Konflikten mit Bolsonaro-Anhängern kommen könnte, hat er zwar auch - aber davon dürfte man sich nicht einschüchtern lassen, erklärt Ulysses. Die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Amtsantritt wurden nun allerdings nochmal hochgefahren.


TAZ  hier

Amtseinführung von Lula da Silva: Ein Demokrat regiert wieder Brasilien

Der linksgerichtete Staatschef da Silva will das „Land wieder aufbauen“. Er ernennt elf Ministerinnen und stellt den Klimaschutz in den Mittelpunkt.

Nach vier Jahren unter einem rechtsradikalen Präsidenten regiert in Brasilien wieder ein bekennender Demokrat: Der Politikveteran Luiz Inácio Lula da Silva legte am Sonntag vor dem Kongress in Brasília seinen Amtseid ab. Der 77-Jährige versprach, die Spaltungen zu überwinden und das Land wieder zu versöhnen. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs nahmen an der Amtseinführung teil, unter ihnen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Lulas Vorgänger Jair Bolsonaro boykottierte die Zeremonie; er war zwei Tage zuvor in die USA gereist.....

Die Amtszeit Bolsonaros hatte zu einer tiefen Spaltung der brasilianischen Gesellschaft geführt; Lula sprach von einer „verheerenden“ Bilanz seines Vorgängers. Dieser habe das Gesundheits- und das Bildungssystem ebenso geschwächt wie Wissenschaft und Kultur. Den Umweltschutz habe er „zerstört“. Der linksgerichtete Präsident versprach, die unter Bolsonaro vorangetriebene Abholzung des Amazonas-Regenwaldes zu stoppen. Brasilien brauche keine Abholzung zugunsten der Landwirtschaft, sagte er.

Zehntausende Anhänger hatten sich schon Stunden vor Lulas Amtseinführung unter sengender Sonne im Regierungsbezirk von Brasília versammelt. Als der 77-Jährige in Begleitung seiner Frau Rosangela „Janja“ da Silva sowie des neuen Vizepräsidenten Geraldo Alckmin im traditionellen Rolls-Royce-Cabrio vorbeifuhr, brandete lauter Jubel auf.

Keine Bürger zweiter Klasse mehr

„Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren und nicht nur für diejenigen, die mich gewählt haben“, rief Lula später der Menschenmenge zu. Er werde den Hunger bekämpfen, „das schlimmste aller Verbrechen“, und er werde „alle Formen der Ungleichheit bekämpfen“, sagte Lula, der von der Hitze und den Zeremonien sichtlich erschöpft war und teils mit den Tränen kämpfte. „Niemand wird mehr ein Bürger zweiter Klasse ein“, rief Lula, der in den 80er Jahren einer der Mitbegründer der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (PT) in Brasilien war.

Begleitet wurde die Amtseinführung von einem massiven Polizeiaufgebot, nachdem ein Bolsonaro-Anhänger an Heiligabend einen Anschlagsversuch mit einer Autobombe verübt hatte. Für Lula ist es die dritte Amtszeit – er war bereits von 2003 bis 2010 Präsident des größten lateinamerikanischen Landes. Zwischen 2018 und 2019 saß er mehr als anderthalb Jahre lang wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis.

Das Idol der lateinamerikanischen Linken hatte sich am 30. Oktober in der Stichwahl mit hauchdünnem Vorsprung gegen Bolsonaro durchgesetzt. Der rechtsradikale Amtsvorgänger, der mit der Amtsübergabe seine Präsidenten-Immunität verlor, verließ Brasilien am Freitag Richtung Florida. In einem seit dem Ende der Militärdiktatur 1985 beispiellosen Vorgang brach er mit der demokratischen Tradition und weigerte sich, Lula im Palácio do Planalto, dem Amtssitz des Präsidenten, die traditionelle Schärpe des Staatsoberhaupts zu übergeben.

Die Schärpe übergab stattdessen eine Gruppe von Bürgern, unter ihnen der international bekannte Häuptling des indigenen Kayapó-Volkes, Raoni Metuktire, der seit langem für den Erhalt des Amazonas-Regenwaldes kämpft.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen ernannte Lula 34 Minister, 14 mehr als unter der Vorgängerregierung und darunter elf Frauen, so viel wie noch nie in Brasilien. Auch unterzeichnete er mehrere Dekrete, welche den unter Bolsonaro erleichterten Zugang zum Waffenbesitz rückgängig machten und die Umweltinstitutionen im Amazonasgebiet stärkten.

Bundespräsident Steinmeier war am Samstag nach Brasilien gereist, um dem Amtsantritt Lulas beizuwohnen. Er sicherte dem neuen Staatschef die Unterstützung Deutschlands zu: Die Bundesrepublik stehe bereit, Lula „bei seinen ambitionierten Plänen zum Schutz des Regenwaldes bestmöglich zu unterstützen“....

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