Dienstag, 24. Januar 2023

Steiniger Weg für Brasilien: Wie Lula den brasilianischen Regenwald retten kann

Capital  KLIMASCHUTZ  hier  Marina Zapf  22.01.2023

Ein Ende der Straflosigkeit für Brasiliens fortschreitende Entwaldung wird nicht reichen, um eine Kehrtwende fürs Klima zu vollziehen. Der neue Präsident Lula braucht mehr: internationale Unterstützung

Lange hatten Holzfäller, Landräuber und Schürfer freie Hand im Amazonasgebiet. Präsident Jair Bolsonaro ließ sie gewähren – zur Freude mächtiger Agrar- und Industrielobbys. Doch die Entwaldung in den für das Klima und die Artenvielfalt des Planeten so wichtigen Zonen, dem Regenwald und der Savanne Cerrado, erreicht immer neue Rekorde. Höchste Zeit, dass der neue Staatschef Lula da Silva den Schutz des Amazonas zur obersten Aufgabe erklärt hat, applaudieren Klima- und Umweltschützer. Was aber muss – und was kann er tun?

Lula ist zurück, und sein erklärtes Umweltziel lautet „null Entwaldung“. Einflussreiche Partnerstaaten, darunter Deutschland, wollen Lula tatkräftig unterstützen. Nach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier werden als nächstes Bundeskanzler Olaf Scholz und im März die Außen- und Wirtschaftsminister den willkommenen Kurs durch Besuche unterstützen. Denn erfolgreich kann Lulas Regierung nur sein, wenn sie kriminelle Machenschaften bekämpft, Anreize für andere Entwicklungswege in den betroffenen Regionen schafft, dafür Hürden im Kongress überwindet – und ausreichend Gelder für den steinigen Weg gewinnt.

Im Januar veröffentlichte das brasilianische Institut für Weltraumforschung INPE die jüngste Zerstörungsbilanz der Savanne Cerrado, die die Größe mehrerer europäischer Länder umfasst, wonach 2022 zum zweiten Mal in Folge eine jährliche Rekordfläche an Vegetation verloren gegangen ist. Sie ist Heimat unzähliger bedrohter Arten, und je mehr Flächen die Landwirtschaft verschlingt, desto mehr werden auch klimaschädliche Treibhausgase frei. Von Januar bis Juni 2022 wurden auf einem Siebenjahreshoch mehr als 10.000 Quadratkilometer Natur zerstört – 25 Prozent mehr als im Jahr davor, und mehr als die Fläche Libanons.

Fast die Hälfte der Sojaproduktion

Etwa die Hälfte der ursprünglichen Savannen-Vegetation ist Geschichte: gerodet, abgebrannt und plattgemacht für Ackerland und Viehzucht. Waldschützer des WWF sehen die wachsende Sojaproduktion als größten Treiber. Seit den 1980er-Jahren hat sich die Anbaufläche von Agrarrohstoffen im Cerrado verfünffacht, so der Beobachtungsdienst MapBiomas, auf etwa die Fläche Großbritanniens. Fast die Hälfte der begehrten Exportgüter Soja und Zuckerrohr werden dort geerntet, sowie ein Großteil der Baumwolle.

Um einen weiteren Raubbau in den Amazonas- und Cerradogebieten zu verhindern, müsste der Landraub, der in Brasilien „weder eine Seltenheit noch eine Kleinigkeit ist“, härter verfolgt und strafrechtlich geahndet werden, sagt der WWF-Brasilienexperte Roberto Maldonado. In dem kriminellen Milieu gebe es jedoch kein Interesse an alternativen Geschäftsmodellen als möglichst viel Land zu roden und Flächen zu bewirtschaften – etwa mit Rinderzucht –, um sie dann mit Landtiteln aus dem Gewohnheitsrecht lukrativ an Investoren zu verkaufen, wenn diese etwa auf 10.000 Hektar eine Sojafarm betreiben wollen. „Das ist ein Milliardengeschäft, von dem einzelne Hintermänner bis in die höchsten Ebenen der Politik hineinreichen.“

Als Zielgruppe für einen ländlichen Strukturwandel fällt diese Gruppe also aus. Aber der Agrarsektor brauche für Wachstum auch nicht ständig neue Flächen, sagt Luiza Peruffo, Assistenzprofessorin für Wirtschaft und Internationales an der Universität Rio Grande do Sul. „Brasilien hat die Kapazitäten, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern, ohne der Entwaldung ihren Lauf zu lassen“, sagt sie. Dies sei auch eine zentrale Botschaft der neuen Regierung Lula. „Es gibt Möglichkeiten, die Produktivität von Nutzflächen zu erhöhen und Gegenden intensiver zu bewirtschaften, die schon erschlossen sind.“

Brasilien hat Platz genug

Dass die so wichtige Landwirtschaft wachsen könne, ohne weiter natürliche Ökosysteme zu entwalden und zu entwässern, betont auch der WWF-Experte: Brasilien sei groß und habe brachliegendes Land von der Fläche Deutschlands, sagt Maldonado: zwischen 40 und 60 Millionen Hektar, die landwirtschaftlich nutzbar seien. Auch im Amazonas, dem für das Weltklima so wichtigen CO2-Speicher, der sich auf neun Bundesstaaten von der Größe Westeuropas erstreckt, verweisen Wissenschaftler auf nachhaltige Methoden der Forstwirtschaft und positive Beispiele der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen, so wie indigene Gemeinschaften Paranüsse, Acai-Beeren und Fisch direkt an brasilianische Unternehmen in anderen Regionen vermarkten.

Einschließlich solcher standortgerechten Modelle müsse die Lösung allerdings in einer Kombination aus mehreren Handlungssträngen bestehen, betont Peruffo. „Wir brauchen eine Konstellation aus wieder verschärfter Umweltgesetzgebung, einem Ende der Straflosigkeit, und wirtschaftlichen Anreizen.“ Außerdem müsse das für die Entwicklung des Amazonasgebiets entworfene Modell so umgesetzt werden, dass es von der Realität seiner Bewohner ausgehe. Eine neue Ministerin für indigene Angelegenheiten gibt ihnen eine lautere Stimme.

Zusammengenommen wäre eine komplette Kehrtwende von Bolsonaros Politik zu vollziehen, der stolz darauf war, die Überwachung der Umwelt abgeschafft zu haben. „Er propagierte die falsche Gegensätzlichkeit von entweder Entwicklung oder Naturschutz“, sagt Erika Berenguer, Forscherin am Exosystems Lab der Universität Oxford in einem Interview. Seit dem Bau von Straßen und dem Beginn extensiver Landwirtschaft in den 1950er-Jahren sei das Amazonasgebiet immer noch der ärmste Teil Brasiliens, im Index der menschlichen Entwicklung auf der Stufe einiger afrikanischer Länder.

Politische Hürden

Für einen Ruf als führender Klimaschützer auf der internationalen Bühne wird der ehemalige Arbeiterführer Lula aber mehr auf Ergebnisse als auf Versprechen setzen müssen. Heimische Klimaschützer warnen, die Schattenwirtschaft sei heute ausgedehnter und ausgeklügelter als in seiner ersten Amtszeit. Erschwerend findet Lulas knappe Bündnismehrheit im Parlament ein Haushaltsgerüst vor, in dem Umweltschutzbehörden und -organisationen ausgehungert wurden. Eine Ausgabenobergrenze mit Verfassungsrang engt den Spielraum des Präsidenten zusätzlich ein – etwa zur Finanzierung des von der Umweltministerin Marina Silva neu aufgelegten Aktionsplans zum Schutz der Ökosysteme.

Unter ihrer Führung als frühere Ministerin (2003 bis 2008) ging die Abholzung von 2004 bis 2011 um etwa 75 Prozent zurück (so viel, wie sie unter Bolsonaro zulegte). Reaktivierte bewährte Rezepte sollen nun an vergangene Erfolge anknüpfen: intensiveres Monitoring und Ahndung der zu 80 Prozent illegalen Rodungen, Programme für ein verbessertes Katastersystem im ländlichen Raum und auch Fördergelder für Kleinbauern statt nur für die konventionelle Landwirtschaft. Die bedrohten Regionen stärker zu schützen, kostet Geld. Nur gibt es im Kongress keine Mehrheit umweltbewusster Politiker. Eine befristete Anhebung des Haushaltsdeckels für Sozialprogramme und Investitionen fand die notwendige Mehrheit. Ob dies auch für Umweltschutz gilt, ist offen.

Dabei ist Brasiliens Klimabilanz von weltweiter Bedeutung, wollen die Klimaziele erreicht werden. Brasiliens Emissionen nahmen laut dem Climate Observary 2021 um 12,2 Prozent zu, Entwaldung und veränderte Landnutzung machten dabei mehr als die Hälfte aus. Lula setzt in seinem Feldzug auf globale Verbündete im Klimaschutz.

So haben Deutschland und Norwegen zugesagt, wieder Geld in den 2019 auf Eis gelegten „Amazonienfonds“ zu stecken, der Maßnahmen zum Regenwaldschutz finanziert. (Die offensichtliche Frage ist: überweist Lindner dieses Geld, oder verweigert er auch das?) „Der Fonds war Silvas wichtigstes Instrument, um ihr Programm zu finanzieren“, sagt WWF-Experte Maldonado, der Deutschland noch stärker in der Pflicht sieht: „Die Bundesregierung würde sich blamieren, wenn es bei der Zusage von bereits bewilligten 35 Mio. Euro bliebe.“

Konzerne fürchten Kipppunkt

Keine geringen Hoffnungen setzt Maldonado auch in die Agrarwirtschaft und die großen, global agierenden Agrarrohstoffhändler. Sie stünden zum einen unter wachsendem politischem Druck, wie der neuen EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten, oder auch der „Chinesischen Erklärung für Nachhaltiges Fleisch“, in der sich der Fleischverband und 64 Mitglieder 2017 verpflichteten, Bodendegradierung, Entwaldung und die Umwandlung natürlicher Vegetation für Rinderweiden oder Futtermittel „zu vermeiden“.

Zum anderen bedroht die Aussicht auf ein Erreichen des Kipppunktes die gesamte Agrarwirtschaft des Landes. Wenn der Regenwald sich zum großen Teil in eine Savanne verwandelt, versiegt auch die zentrale Quelle von Wasserwegen und Niederschlägen – die bislang sichere Rendite der Agrarkonzerne geriete ins Wanken. Als ein Positivbeispiel der Vergangenheit nennt Maldonado ein Soja-Moratorium für den brasilianischen Amazonas, das Soja-bedingte Entwaldung im Amazonas von 30 Prozent auf unter drei Prozent verringern konnte. Ähnliches wäre im Cerrado denkbar.

Dort engagieren sich seit einiger Zeit die „Big Five“ im globalen Agrarhandel – ADM, Bunge, Cargill, Viterra und Louis Dreyfus Company sowie die chinesische Cofco International – für entwaldungsfreie Soja-Lieferketten zum Schutz des bedrohten Ökosystems, in dem sich Savanne mit Grasland und Wäldern vermengen. Erreichen will das so genannte „Soft Commodity Forum“ des World Business Council for Sustainable Development das mit finanziellen Anreizen für den Verzicht auf die Umnutzung von Savannenlandschaften sowie mit Berichtspflichten, und produktionsnahem Monitoring. Noch am Anfang steht die von der UN unterstützte brasilianische Initiative „Responsible Commodities Facility“, die ebenfalls mit Geldern nachhaltige, entwaldungsfreie Soja-Lieferketten fördern will.

Rodungsausgleich für Farmer

Am Ende wird es vermutlich darum gehen, Farmer dafür zu bezahlen, dass sie in den schutzbedürftigen Ökosystemen auf neue Abholzungen und Brandrodungen verzichten und die natürlichen Ressourcen respektieren. Angeblich kursiert in den Agrobusiness-Reihen eine Zahl, mit welchem Preis das insgesamt verbunden wäre. Womöglich würden die Kosten eines zunehmend gestörten Wasserhaushalts im Land stärker zu Buche schlagen.

Jedenfalls ist die Mitverantwortung der Handelspartner und Agrarkonzerne mittlerweile unbestritten – und wird auch anerkannt. Verschiedene Studien haben gezeigt, wie sich der Fußabdruck europäischer oder chinesischer Importeure darstellt, wenn es um Rodungen für Agrarrohstoffe geht – ob für Rindfleisch oder für Soja, das auch der Tierfutterproduktion dient. So wurde auch die EU ermahnt, dass etwa 20 Prozent der Soja- und mindestens 17 Prozent ihrer Rindfleischimporte aus Brasilien „mit illegaler Entwaldung kontaminiert“ sein könnten.

Brasilien ist nun einmal der weltweit führende Exporteur von Soja und Rindfleisch, und die Agarlobby in dem Land hat den Ruf, eine der mächtigsten zu sein. Trotz aller Widrigkeiten gibt sich der WWF-Experte überzeugt, dass Lula genug politischen Willen aufbringen wird, seine Strategie zum Schutz der großen Ökosysteme des Landes zu verwirklichen. „Die Ausgangslage ist schwierig, aber er wird am Ende seiner Amtszeit messbare Erfolge vorweisen können.“

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