Sonntag, 8. Januar 2023

Der Kampf um Lützerath

Süddeutsche Zeitung  hier  6. Januar 2023,  Kommentar von Jana Stegemann

Protest gegen Braunkohle-Abbau: Der Kampf um Lützerath ist überflüssig

Denn eigentlich hat die Klimabewegung den Kampf gegen die Braunkohle längst gewonnen - sie müsste das nur verstehen.

Die Bilder, die Anfang der Woche aus Lützerath gesendet wurden, waren martialisch: Brennende Barrikaden vor dunkelgrauem Himmel, schmale Vermummte, die sich Polizeiketten in schwerer Ausrüstung entgegenstellten. Im Hintergrund drehte sich der gigantische Braunkohle-Schaufelradbagger an der Abbruchkante, fraß sich unaufhörlich weiter in das für den Essener Energiekonzern RWE so wertvolle Flöz am Rande des Protestdorfs in Nordrhein-Westfalen. Auch wenn es vor Ort nicht so angespannt war, wie die Bilder suggerieren, schmissen einzelne Aktivisten Böller, Steine und Flaschen auf die Polizisten - verheerend für die Außenwirkung und Akzeptanz der Klimabewegung.

Schließlich beteuern beide Seiten seit Wochen, dass alles friedlich bleiben soll in Lützerath - anders als im "Hambi", wo es 2018 zum teuersten Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens kam. Es ist zwingend nötig, dass Besetzer und Polizei die Situation nicht weiter eskalieren lassen.

Lützerath taugt nicht länger zum Symbol im Kampf gegen die Klimakrise, die Zukunft des nur noch von Aktivisten besetzten Ortes mit den sechs Häusern ist längst geklärt: Der Weiler gehört RWE. Anders als der "Hambi" wird sich Lützerath auch nicht mehr retten lassen. Sogar das als äußerst vorsichtig bekannte Verwaltungsgericht Aachen schmetterte einen Eilantrag gegen die Räumung ab.

Klar, jede Tonne Braunkohle, die noch gefördert wird, ist eine zu viel im Bemühen um die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Doch das Abbaggern von Lützerath ist Teil eines Deals, den die Klimaaktivisten eigentlich als Sieg für sich verbuchen können: Lützerath ist zwar das Bauernopfer in NRW, aber dafür werden fünf andere Dörfer gerettet - und, viel wichtiger, RWE steigt in NRW sogar schon 2030 aus der Braunkohle aus. Mit dem acht Jahre vorgezogenen Kohleausstieg bleiben geschätzte 280 Millionen Tonnen CO₂ unter der Erde. Die Klimabewegung hat die Bagger in NRW eigentlich schon gestoppt.


Mehr zur Räumung Lüzerath


Süddeutsche Zeitung hier  8. Januar 2023  Von Markus Balser, Berlin

Klimapolitik:  Auch den Grünen droht ein Tag X

Das Braunkohledorf Lützerath steht vor der Räumung. Klimaaktivisten kritisieren die Grünen dafür scharf. Die Öko-Partei will nun ihren Klimakurs verschärfen.

Sie ahnen, dass der Untergang näher rückt. Weichen aber wollen sie nicht. Seit Dienstag gilt im Weiler Lützerath schon der Tag X. Klimaaktivisten von "Fridays for Future" haben einen bundesweiten Aufruf gestartet, das längst verlassene Dorf zu besetzen. Die Bagger des Braunkohletagebaus sind bereits in Sichtweite. Rund 200 junge Klimaschützer sollen sich in Hofanlagen und Baumhäusern verschanzt haben, um die Zerstörung des Dorfes doch noch zu verhindern. "Lützi wird verteidigt", kündigt "Fridays for Future" an.

Auch den Grünen droht damit eine Art Tag X. Jahrelang kämpfte die Partei mit den Aktivisten um den Erhalt der vom Braunkohletagebau Garzweiler II bedrohten Dörfer. Jetzt aber wird die Polizei zur Räumung anrücken, um das durchzusetzen, was der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine Parteifreundin und nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Herbst mit dem Energiekonzern RWE ausgehandelt haben: Das Aus des Kohletagebaus im Rheinischen Revier wird zwar auf 2030 vorgezogen, fünf Dörfer werden doch nicht mit Baggern abgetragen. Lützerath aber muss noch dran glauben, damit der Strom in der Krise fließt.

Es war ein Kompromiss von vielen im vergangenen Jahr. Laufzeitverlängerung, mehr Kohlestrom, neue Flüssigerdgas-Terminals: Gleich reihenweise haben die Grünen Entscheidungen gegen die eigenen Prinzipien getroffen, um die Folgen des Ukraine-Kriegs abzumildern. Unter Aktivisten wächst vor allem im Fall Lützerath die Wut. Luisa Neubauer, eine der Hauptorganisatorinnen von "Fridays for Future", machte ihrem Ärger gerade via Twitter Luft. "Die Grünen machen damit einen großen Fehler", warnte sie und warf der Partei eine "kalkulierte Unterwanderung der Pariser Klimaziele" vor. Für die Energiesicherheit in der Krise brauche es laut Gutachten die Kohle unter Lützerath gar nicht.

Entfremden sich die Klimagegner noch weiter von den Grünen?

Das sieht man in der Partei ganz anders. Dennoch wächst intern die Sorge, die Klimabewegung könnte sich noch stärker von den Grünen entfremden. Mit Kompromissen könne man zwar regieren, sagt ein führender Grüner. Nur die Wählerherzen gewinne man so nicht.

Offen spricht der frühere Fraktionschef Anton Hofreiter aus, was inzwischen viele in der eigenen Partei und Fraktion denken. "Ich würde mir wünschen, dass wir um wichtige Themen noch härter kämpfen", sagt Hofreiter der Süddeutschen Zeitung. "In einer Koalition mit drei unterschiedlichen Partnern hat man es nicht leicht. Kompromisse dürfen aber nicht auf Kosten unserer Lebensgrundlagen gehen. Beim Schutz unseres Klimas und der Artenvielfalt läuft uns schlicht die Zeit davon."

Die Parteispitze will schon zu Wochenbeginn ein Zeichen setzen. Am Montag und Dienstag berät der sechsköpfige Parteivorstand um die Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour in Berlin bei einer Klausur darüber, wie die Partei stärker mit den eigenen Themen punkten kann. Die Koalition habe sich zwar als handlungsfähiger inmitten der Krise erwiesen als viele Vorgängerregierungen in ruhigeren Zeiten, sagt Emily Büning, Politische Bundesgeschäftsführerin der Partei, der SZ. Aber sie habe sich schon "ein wenig mehr Ergebnisorientierung und Sachlichkeit insbesondere von einem der Koalitionspartner gewünscht". Etwa "mehr Elan etwa beim Erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor".

Dafür wollen in der Koalition nun die Grünen sorgen und das zu Wochenbeginn bei dem Treffen beschließen. 2023 müsse zum "Klimaschutzjahr" werden, fordert Büning. "Es ist an der Zeit, das Land auch langfristig krisenfester und nachhaltiger aufzustellen."

Doch offen ist, ob das gelingt. Denn während die Ökopartei den Kohleausstieg auch in Ostdeutschland beschleunigen und die Mobilität schneller umbauen will, hofft der Koalitionspartner FDP auf ganz andere Erfolge. Aufgeweichte Klimaziele für den Verkehrssektor etwa. Oder auf eine erneute Verlängerung der deutschen Atomlaufzeiten. Bis zum endgültigen Abschalten der Meiler Mitte April dürfte sich der Kampf um die Atomkraft in der Koalition verschärfen.

Geschadet haben die Streitereien den Grünen bislang nicht. Mit zuletzt 19 Prozentpunkten steht die Partei in der aktuellsten Umfrage, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, deutlich besser da als bei der Bundestagswahl im September 2021. Die Grünen liegen damit sogar knapp vor der SPD. Die FDP dagegen hat deutlich an Zuspruch verloren. Verlassen aber will man sich in der Partei nicht darauf, dass die Wähler derart geduldig bleiben.

Nach der Parteiklausur am Montag und Dienstag wird sich am Donnerstag auch die Führung der Bundestagsfraktion für einen ganzen Nachmittag treffen, um den eigenen Kurs für dieses Jahr abzustecken. Auch in der Fraktion wächst der Wunsch, 2023 kampflustiger zu werden und die Koalitionspartner auch mal härter anzugehen. Die Fraktionsspitze deutet schon mal an, wo es zur Sache gehen könnte. "Bei der Energiewende geht es schnell voran, doch besonders im Verkehrssektor gibt es noch zu viele Blockaden, die endlich beseitigt werden müssen", sagt Fraktionschefin Katharina Dröge.

In Lützerath bereiten die Aktivisten derweil die nächste Stufe des Protests vor: eine Großdemo am 14. Januar mit Tausenden Teilnehmern. Das kleine Örtchen ganz im Westen des Landes, sagen die Organisatoren voraus, werde dann wohl zum neuen "Hotspot der Klimabewegung". Mit einem Besuch von grünem Spitzenpersonal rechnen sie in der Klimabewegung diesmal jedoch nicht.


TAZ hier

Kurz vor der Räumung des Dorfs für Kohle:  Tausende protestieren in Lützerath

Vor der geplanten Räumung für den Braunkohletagebau versammeln sich Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen in dem Dorf in NRW. 15 Bundesländer schicken Polizei.


Tagesspiegel hier  08.01.2023

Potsdamer Klimaforscher sieht Räumung von Lützerath kritisch:  „Noch ist es nicht zu spät, einen schlimmen Fehler zu vermeiden“

Es sei keine Lösung, die Aktivisten zu kriminalisieren, twitterte Klimaforscher Stefan Rahmstorf. Die Politik müsse überlegen, auf welcher Seite sie stehe.

„Die Politik sollte sorgfältig darüber nachdenken, wie ein massiver Polizeieinsatz für Kohle und gegen Klimaschützer im Rückblick in 4 oder 5 Jahren beurteilt werden wird, wenn die Klimaschäden noch massiver und offensichtlicher geworden sind“, schrieb der Leiter für Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) am Sonntag bei Twitter. „Noch ist es nicht zu spät, einen schlimmen Fehler zu vermeiden und die Räumung abzublasen!“

Der Energiekonzern RWE will das Dorf abreißen, um die Kohle darunter abzubaggern. Klimaaktivisten haben die verlassene Siedlung besetzt und wollen sich der Räumung widersetzen. „Diese Menschen zu kriminalisieren und Hundertschaften Polizei zu schicken ist keine Lösung“, schrieb Rahmstorf. Klimaziele seien seit 1991 immer wieder versprochen und gebrochen worden.

Die Politik sollte sorgsam überlegen, auf welcher Seite sie hier steht. Auf Seite von Wissenschaft & IPCC, von Klimaschutz & Pariser Abkommen, vom Bundesverfassungsgericht, vom UN-Generalsekretär & den zahllosen Menschen, die auf eine sichere Zukunft hoffen? Oder auf der Seite von Kohlebaggern, Klimaschmutzlobby & Europas größtem CO2-Verursacher RWE?“, mahnte Rahmstorf auf Twitter. (dpa)

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