FAZ hier Corinna Budras, Wirtschaftskorrespondentin in Berlin, 27.01.2023
Grüne und FDP führen eine erbitterte Auseinandersetzung um den Wert der Straße. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Das ist nur ein Vorgeschmack auf die gesellschaftlichen Grabenkämpfe.
....Der „motorisierte Individualverkehr“ war über Jahrzehnte hinweg der Stolz einer ganzen Nation, Ausdruck einer prosperierenden Wirtschaft und grenzenloser Freiheit. Ganze Generationen der ausschließlich männlichen Verkehrsminister verbanden mit der Straße die Lust und mit der Schiene den Frust. Milliarden von Euro sind in diesen Verkehrsträger geflossen, sehr zum Verdruss der wachsenden Branche der privaten Schienengüterunternehmen, die die Schiene zum „Aschenbrödel“ der deutschen Verkehrspolitik degradiert sieht.
Während das Schienennetz über Jahre zurückgebaut worden sei, habe die Bundesregierung nicht nur beim Straßen-Neubau, sondern auch beim Straßen-Anbau nicht gekleckert. „Der Ausbau der Straße hatte massiven Einfluss auf die Marktanteile von Straße und Schiene“, kritisiert Ludolf Kerkeling, Vorstandsvorsitzender vom Verband die Güterbahnen. Inzwischen transportieren Lastwagen zehnmal so viel Güter durch das Land wie die sehr viel klimaschonenderen Güterzüge. Dazu habe auch der Anbau weiterer Spuren beigetragen. Während in den vergangenen siebzig Jahren das Straßennetz auf rund 840.000 Kilometer fast verdoppelt wurde, ist das Schienennetz auf etwa 38 000 Kilometer geschrumpft. Auch der aktuelle Bundesverkehrswegeplan, erstellt noch von der schwarz-rote Koalition im Jahr 2016, listet Hunderte von Straßenbauprojekten wie den Lückenschluss in der A66, die nun bis 2030 eigentlich abgearbeitet werden müssen.
Die Fixierung auf die Straße geht den Grünen gehörig gegen den Strich. Der Verkehr ist schließlich der ewige Sünder im Bereich des Klimaschutzes und der einzige Bereich in dem die Emissionen von Treibhausgasen in den vergangenen Jahren sogar gestiegen und nicht gesunken ist, von einer kleinen Corona-Delle einmal abgesehen. Doch damals, im Jahr 2016, waren sie noch eine kleine Oppositionspartei. Jetzt sitzen sie mit in der Regierung, wenn auch nicht im Verkehrsministerium am Invalidenpark, wo FDP-Mann Wissing das Sagen hat. Im Parlament sind einige kampfeslustige Grüne, die sich zumindest in der Verkehrspolitik dazu entschlossen haben, offen in die Opposition zu gehen.
„Männliche Sicht auf den Autoverkehr“
Da ist die grüne Verkehrspolitikerin Nyke Slawik, die es in ihrer ersten Amtszeit im Parlament gleich zur Stellvertretenden Vorsitzenden des Verkehrsausschusses gebracht hat. Sie treibt es in das traditionell männlich dominierten Gremium, nicht wegen einer glühenden Liebe zum Automobil, sondern wegen der stinkenden Autobahn in ihrer Heimatstadt Leverkusen, die in ihren Augen einen ganzen Landstrich in den Ruin treibt. „Die Verkehrspolitik muss sich dringend ändern“, sagt Slawik. „Sie wurde viel zu lange von einer männlichen Sicht auf den Autoverkehr geprägt.“ Dabei ist doch in ihren Augen klar: „Der Fokus auf Straßenbau versiegelt zu viele Flächen, macht die Einhaltung unserer Klimaziele unmöglich, führt zu Lärm und mehr Abgasen. Das macht Menschen krank.“
Die Haltung der Grünen ist noch unerbittlicher geworden seit dem Debakel um die Räumung und Abriss des kleinen Dörfchens Lützerath. In den vergangenen Wochen hat das die Grünen beschäftigt und fast gespalten, wie kaum ein anderes Thema in den vergangenen Jahren. Die Zustimmung der Grünen zum neuen Kohlekompromiss mit dem Energiekonzern mit RWE hat ihnen viel Sympathien bei ihrer Kernklientel gekostet. Erstmals schlug der Partei sogar der Hass der Klima-Aktivsten entgegen. Slawik selbst hatte sich die größte Mühe gegeben, den Kompromiss in der Öffentlichkeit selbstkritisch zu erläutern, und wurde dennoch von allen Seiten als Heuchlerin bezeichnet. „Ein beschleunigter Neubau von Autobahnen wäre eine weitere bittere Pille fürs Klima“, sagt sie nun. „Wir brauchen endlich eine Verkehrspolitik, die die Menschen und die Klimaziele in den Mittelpunkt stellt.“
Die Grünen wähnen die Vernunft auf ihrer Seite: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten,“ argumentieren sie. Besser also, dem Elend ein Ende zu bereiten und sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu beschränken: Windräder, Solaranlagen, Schienenverkehr.
Bei der FDP stößt sie damit auf vehementen Widerstand. Das Gegenteil sei doch richtig, findet FDP-Verkehrspolitiker Jürgen Lenders: „Durch Straßenbau sorgt der Staat dafür, dass der Verkehr flüssig läuft. Das nutzt doch auch dem Klima.“ (??) Lenders sieht in der Gegenwehr der Grünen inzwischen einen ausgeklügelten Plan: „Das trägt schon kampagnenhafte Züge.“ Ob Planungsbeschleunigung, Straßenverkehrsgesetz oder Straßenverkehrsordnung: Alles werde daraufhin durchforstet, ob das Auto zurückgedrängt werden könne. (das trägt schon krankhafte Züge)
Auch Verkehrsminister Volker Wissing hält Prinzip der Verkehrsvermeidung durch die bewusste Schaffung von Engpässen nichts, die SPD weiß er da an seiner Seite. Verkehr jedenfalls erntet Deutschland die ganze Zeit und zwar mit steigender Tendenz. Nicht weil der Bundesverkehrsminister ständig neue Straßen baue, argumentiert Wissing, sondern weil die Menschen so mobil sind, und so viele Güter über die Straße transportiert werden wie niemals zuvor.
Auch er räumt ein: Nichts liege ihm ferner, als das Land mit neuen Autobahnen zuzupflastern. Ein Lückenschluss hier, eine dringend notwendige Umgehungsstraße dort und ansonsten Sanieren was das Zeug hält, vor allem die rund 4000 maroden Brücken im Land, die bei der Gelegenheit auch gleich verbreitert werden können, um den prognostizierten Verkehrsandrang auffangen zu können. Allen voran die Rahmede-Talbrücke, die seit ihrer Sperrung vor mehr als einem Jahr den Menschen in Lüdenscheid den letzten Nerv raubt. Als Verkehrsminister sieht Wissing sich in der Rolle des Verwalters, nicht des Erziehers. Wenn die Menschen stundenlang im Auto sitzen wollen, hält er das nicht notwenigerweise für eine kluge oder auch nur nachvollziehbare Entscheidung. Er will sie aber auch nicht daran hindern.
Die Frage ist, ob er das überhaupt könnte. Oder genauer: Ob es überhaupt jemand könnte. Jahrzehnte der Auto-fixierten Verkehrspolitik lassen sich nicht ungeschehen machen, wenn gleichzeitig die Deutsche Bahn in einem nie dagewesenen Formtief verweilt und gleichzeitig die Konsumlust der Menschen selbst in einer Dauerkrise nicht abzuebben scheint. Die Gesellschaft jedenfalls scheint derzeit nicht bereit für eine radikale Verkehrswende – allen Bekenntnissen zum Klimaschutz zum Trotz.
Das Auto ist das Hauptverkehrsmittel der Deutschen, mehr als die Hälfte aller Fahrten absolvieren sie auf vier Rädern, häufig übrigens allein im Fahrzeug. Die erhoffte Entlastung durch das 9-Euro-Ticket, das die Menschen von der Straße in die Busse und Bahnen locken sollte, war nur von kurzer Dauer. Kam war die Rabattaktion beendet, stiegen die Menschen wieder so oft in ihre Autos wie eh und je. Nun soll es das Deutschlandticket richten.
„Die Verkehrswende findet in den Kommunen statt“
Die Schlacht um den Asphalt ist in der Bundespolitik noch nicht geschlagen. Doch das ist ohnehin nicht der einzige Austragungsort. „Die Verkehrswende findet in den Kommunen statt“, sagt Slawik. Dort werden auf wackligem rechtlichen Fundament schon munter 30er-Zonen eingerichtet. Ebenso Pop-up-Fahrradwege oder improvisierte Fußgängerzonen wie die auf dem einstigen Prachtboulevard der Hauptstadt. „Der Bund muss die Kommunen handlungsfähig machen, mehr Räume für Menschen, Fahrräder und ÖPNV auszuweisen“, findet Slawik. Im Wahlkampf wird das Thema jedenfalls auf absehbare Zeit einen großen Raum einnehmen. ........
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