01.01.2023 Südkurier hier
Todesfall befeuert Böller-Debatte
Schwere Unfälle und Straftaten mit Feuerwerkskörpern sowie Angriffe auf Einsatzkräfte haben die Rückkehr des großen Silvesterböllerns in Deutschland überschattet. Ein 17-Jähriger in Leipzig verletzte sich beim Einsatz von Pyrotechnik so schwer, dass er im Krankenhaus starb, wie die Polizei mitteilte. Als Reaktion auf Angriffe gegen Einsatzkräfte rund um den Jahreswechsel und auf mehrere schwere Böller-Unfälle wird wieder über ein generelles Verbot von Feuerwerk in den Händen von Privatleuten diskutiert.
„Unsere Befürchtungen wurden von der Realität noch übertroffen“, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch. Er sei fassungslos, dass selbst der Tod eines 17-Jährigen nicht zu sofortigen Reaktionen verantwortlicher Bundespolitiker führe. Als Reaktion auf Angriffe mit Böllern und Raketen auf Polizisten und Feuerwehrleute verlangt auch die Gewerkschaft der Polizei Berlin, mit einem weitgehenden Böllerverbot Ernst zu machen.
Politiker von Union und FDP wandten sich gegen ein Böllerverbot. „Die Angriffe auf Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte sind geradezu absurd und verachtenswert“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU). Das Verhalten von Kriminellen dürfe aber nicht bedeuten, „dass auch die vielen friedlich Feiernden einem generellen Feuerwerksverbot unterliegen sollten“.
Stern hier Christian Hensen 01.01.2023
MEINUNG: CHAOS, TOTE UND BRANDSTIFTUNG
Die Silvesternacht hat bewiesen: Ein Böllerverbot muss dringend her
Endlich wieder Böller! Endlich Raketen! Nicht wenige haben sich auf den uneingeschränkten Verkauf von Pyrotechnik offenbar tierisch gefreut – und anschließend eindrücklich bewiesen, dass ein Verbot unabdingbar ist.
Es ist der 1. Januar 2023, Mittagszeit. Aus meinem Büro höre ich, was ich die letzten Tage von nachmittags bis spätabends ertragen musste: Böller. Schier unendliche Vorräte der nervigen Kracher, nicht selten illegal aus dem Ausland beschafft, reißen mir meinen Geduldsfaden entzwei. Den Höhepunkt der hemmungslosen Sprengung jeglicher Vernunft haben wir – zum Glück – hinter uns. Mit einer absolut niederschmetternden Bilanz. Verbotspolitik hin oder her: Das muss aufhören. Sofort.
Zündeln im Namen der Freiheit
Die Liste der Nachteile von privatem Feuerwerk ist ellenlang: Es ist gefährlich für die Anwender. Es ist – besonders in der heutigen Zeit – eine absolute Umweltsauerei. Es versetzt Tiere aller Art in Angst und Schrecken. Und es stellt eine Gefahr für Leib und Leben Unbeteiligter dar. Die Liste der Vorteile? Es ist laut, macht Krach, leuchtet schön und ist Tradition. In einem gewissen Rahmen wäre das auch irgendwie zu tolerieren – aber diesen Spielraum haben rücksichtslose "Idioten" (Zitat der Polizei Berlin) gleich mit in die Luft gejagt. Im Namen der Freiheit.
Was man in den sozialen Medien unter dem Hashtag "Welcome110" lesen muss, könnte als Drehbuchvorlage für Hollywood dienen – ist aber Realität. Besonders die Berliner Polizei zeigt, was Sprengstoff in den Händen einiger weniger anrichten kann. Eine Handvoll Highlights: "Aus dem 14. Stock eines Hochhauses in Waidmannslust sollen Kinder Böller auf Passanten und Tiere werfen", "In Kreuzberg werden vom Dach des NKZ Pyros auf Passanten geworfen", "In Haselhorst ist ein Betrunkener ins Auto gestiegen, hat mit Pyros auf Personen und Gebäude geballert und ist dann davon gefahren" und "Beim Löschen eines brennenden Fahrzeuges auf der Sonnenallee wurden unsere und die Kollegen der Berliner Feuerwehr massiv mit Böllern angegriffen."
Die Bilanz der Hauptstadt: 38 Angriffe auf Einsatzkräfte, zahlreiche brennende Autos, Dachgeschosse in Flammen. Alleine die Feuerwehr zählt 1700 Einsätze in nur einer Nacht – 700 mehr als im Vorjahr. Um 3:04 Uhr verabschiedet sich die Polizei auf Twitter und schreibt: "Das Lesen der Notrufe ist uns hier zunehmend schwerer gefallen." Die Kollegen auf der Straße sollten noch einige Stunden beschäftigt sein.
"So schlimm wie vorher"
Aber nicht nur in Berlin war es eine Schreckensnacht, an der Zehntausende leiden mussten, während vergleichsweise wenige Personen sich austobten. Dramatische Meldungen kamen auch aus dem Rest der Republik: In Unna explodierte ein "pyrotechnischer Gegenstand" in der Jackenkapuze eines Zweijährigen und verletzte das Kind schwer. In Gotha verlor ein Mann durch die Detonation eines illegalen Böllers beide Unterarme. In Schleiz und Weißenfels sprengten sich zwei Männer die Hand weg, in Leipzig starb ein 17 Jahre alter Teenager durch eine Explosion.
Das bedeutet nicht nur für die Polizei und die Feuerwehr eine Nacht des Schreckens, sondern auch für Ärzte und Pflegepersonal. Die Diskussion um ein generelles Verbot ist deshalb so aktuell, weil man zu dieser Silvesternacht erstmals einen direkten Vergleich zu zwei vorangegangenen Jahren hat, in denen Pyrotechnik nicht offiziell verkauft wurde – und damit deutlich weniger Menschen die Möglichkeit hatten zu zündeln.
Der Deutschen Presse-Agentur sagte Cord Corterier, leitender Oberarzt der Spezialklinik für Handchirurgie und Brandverletzungen des BG Klinikums Bergmannstrost: "Dieses Jahr ging es wieder so schlimm los wie vorher." Gemeint ist 2019, vor der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Einschränkungen.
Eine Debatte sollte daher nicht erst wieder im Dezember 2023 geführt werden, wenn das Chaos erneut seinen Lauf nimmt, sondern jetzt. Mit dieser Meinung bin ich nicht alleine, sondern schließe mich Experten wie dem Landeschef der Gewerkschaft der Polizei an. Man sehe, sagte Stephan Weh, "dass Pyrotechnik ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird." Wie kann man das zulassen?
Ein Appell an Eigenverantwortung hat sich doch nun wirklich erledigt. Die vergangene Nacht – nein, die vergangenen Tage und Wochen – haben gezeigt, dass es eben nicht funktioniert.
Die Freiheit weniger, die meinen, sich durch die Nacht ballern zu müssen, hat so schlimme, so vermeidbare Folgen, dass man es einfach nicht länger hinnehmen sollte, dass die Dinge sind, wie sie sind.
Kontrolliertes, schönes Feuerwerk zu Mitternacht, geplant und gezündet von Profis – gerne, warum nicht. Gigantische Böller und Raketen in den Händen oftmals angetrunkener Personen? Ich meine: Schluss damit – und schreibe diese Zeilen, während es draußen noch immer kracht.
Tagesspiegel hier
„Ausmaß an Zerstörung erschüttert mich zutiefst“: Giffey erwägt Ausweitung von Böllerverbotszonen in Berlin
Eine Neujahrsnacht mit vielen Brandeinsätzen und Attacken auf Helfer in Berlin verschärft die Diskussion über Böllerverbote. Die Regierende will über Konsequenzen reden.
...„Die teils massiven Übergriffe auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht verurteile ich auf das Schärfste“, sagte Giffey am Neujahrstag dem Tagesspiegel. Feuerwehr und Polizei hätten zwar mit mehr Einsätzen als in den vorherigen beiden Silvesternächten gerechnet, die unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie standen. „Dieses Ausmaß an Gewaltbereitschaft und Zerstörung geht darüber hinaus und erschüttert auch mich zutiefst“, sagte die Regierende Bürgermeisterin allerdings am Morgen. „Es schadet unserer Stadt, es schafft Angst und Schrecken und hat mit dem feierlichen Begrüßen des neuen Jahres nichts zu tun.“
....Weiter gehen will die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin. Ihr Landesvorsitzender Stephan Weh forderte am Neujahrsmorgen ein weitgehendes Böllerverbot. „Wir haben deutschlandweit gesehen, dass Pyrotechnik ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird“, kritisierte Weh. Das müsse ein Ende haben.
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