Freitag, 20. Januar 2023

Klimaaktivismus: Die neue Mitte

Zeit hier  Ein Kommentar von Lea Schönborn  19. Januar 2023

Ist die Klimabewegung tatsächlich an einem toten Punkt? Im Gegenteil: Die Proteste von Lützerath haben Bürgerlichkeit und zivilen Ungehorsam zusammengebracht.

Greta Thunberg wollte gar nicht mehr weg. Nachdem sie am Samstag auf der Demonstration bei Lützerath eingekesselt wurde, tauchte sie Dienstag schon wieder auf, dieses Mal wurde sie weggetragen. Sie lächelte dabei beinahe schelmisch in die Kamera. Auf Twitter schrieb jemand neben ein Foto ihres herangezoomten Gesichtes: "Ich, wenn ein Plan aufgeht."

Auch Luisa Neubauer wurde am Donnerstag abgelichtet, als sie von drei Polizisten weggetragen wurde: Die Hose schlammverdreckt, in ihrer Hand ein Schild, "Klimaschutz ist Handarbeit". Und über diejenigen, die sich am Samstag aus der angemeldeten Demo lösten und versuchten, bis zur Abbruchkante zu kommen, sagte Neubauer am Sonntag bei Anne Will: "Das war nicht legal, aber in den Augen der Demonstration legitim." 

Mit solchen Aktionen und Statements betreten Thunberg, Neubauer und mit ihnen der bürgerliche Teil der Klimabewegung neues Gelände. Bisher beschränkte sich Neubauers Aktivismus auf Reden, Talkshowauftritte, Interviews und Bücher. Auch von Thunberg lässt sich kein Bild finden, das sie in den Armen der Polizei zeigt, dafür umso mehr auf Podien und großen Bühnen, auf denen sie in den vergangenen Jahren nicht zuletzt zu einer Ikone in bürgerlichen Jugendzimmern geworden ist.

Doch in Lützerath normalisierten die beiden Klimaaktivistinnen und mit ihnen viele Tausende andere vor den Augen der Welt jenen zivilen Ungehorsam, der bisher Gruppen wie Extinction Rebellion oder der Letzten Generation vorbehalten war. Der bürgerliche Teil des Protests ist näher an den radikalen gerückt. Und der klimaaktivistische Ungehorsam zieht endgültig in die Wohnzimmer der gutbürgerlichen Familien ein. Damit ist auch die Antwort auf die Frage gekommen, was nach der Phase der Massenmobilisierung für die Klimabewegung kommt. Sie lautet nicht Ratlosigkeit, sondern noch mehr und noch unbequemerer ziviler Ungehorsam, mit immer mehr Menschen.

Für alle, die jetzt mit dem Hufeisen werfen wollen: Ziviler Ungehorsam ist nicht dasselbe wie Gewalt gegen Polizisten oder andere Menschen. Diejenigen, die bewusst Gewalt einsetzen, sind verschwindend wenige im Vergleich zu denen, die friedlich ihren Körper als Mittel des Widerstands nutzen. Es stimmt: Die Aktivistinnen haben sich von denen, die gewalttätig wurden, um der Geschlossenheit willen nicht distanziert. Das kann man kritisieren. Man sollte dann aber auch nicht unerwähnt lassen, wohin es führt, wenn man sich von konservativen Medien- und Politikakteuren die Agenda diktieren lässt: Die absurde Debatte um eine angebliche "Klima-RAF" ist ein Beispiel dafür, wie schnell ziviler Widerstand in die Nähe von Terrorismus gerückt wird.

Thunberg, Neubauer und die teilnehmenden Vereine und Initiativen haben Gewalt nie gutgeheißen. Sie haben allerdings auf die verzweifelte Wut hingewiesen, die hinter solchen Taten steckt.
Und die kann man nicht einfach dauerhaft wegtabuisieren. Ob es die Proteste gegen die A14 sind, der Dannenröder Forst oder jetzt Lützerath: Jedes Symbol des Widerstands gegen die Klimakatastrophe, das abgebaggert und gerodet wird, hinterlässt mehr frustrierte Menschen. Es hinterlässt mehr Leute, die zum ersten Mal mit Polizeigewalt in Kontakt gekommen sind. Das radikalisiert, und das bringt die heterogene Bewegung näher zusammen. Oder, wie es der Protestforscher Daniel Mullis von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) sagt: Die Klimabewegung, die vor Lützerath eher koexistiert hat, ist weiter zusammengewachsen.

Dieser gewachsene innere Zusammenhalt, diese Verzweiflung und die Bereitschaft, mit dem eigenen Körper als Ultima Ratio in den Widerstand zu gehen, kann man beklagen. Doch man sollte auch die Kausalität nicht vergessen. Sie sind das Ergebnis der Entscheidungen von Politikern, die in ihrer offenkundigen Bereitschaft, ein erträgliches Morgen gegen ein bequemes Heute einzutauschen, womöglich mehr gegen das Grundgesetz verstoßen als die Schlammwerfer von Lützerath.

Ja, das sollte Angst machen – aber nicht vor einem terroristischen Flügel des Klimaaktivismus, wie er von manchen imaginiert wird. Es sind die Protestler, deren Ängste hier die realistischen sind. Die verborgene Wahrheit hinter Lützerath ist: Sie sind in ihrem entschlossenen Einsatz für das klimatische Gemeinwohl längst bürgerlicher als so mancher konservativer Klimabeschwichtiger geworden.

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