Donnerstag, 26. Januar 2023

Neue Preiszonen: Muss Süddeutschland bald mehr für Strom bezahlen?

 BR  hier  23.01.2023, Von Lorenz Storch

Weil es zu wenig Stromleitungen zwischen Nord- und Süddeutschland gibt, überlegt die EU eine Aufteilung Deutschlands in mehrere Preiszonen. In Bayern (und BW) könnte der Strompreis dadurch steigen. Es gibt aber noch einen weiteren Vorschlag.

Vergangenen Sonntag war es mal wieder so weit: Der Wind blies stark, die Windparks in Norddeutschland lieferten Strom zu äußerst billigen Preisen, Stromabnehmer im Süden wollten ihn auch sehr gerne haben. Aber die Stromleitungen zwischen Nord und Süd, deren Ausbau Jahre hinter dem ursprünglichen Plan zurückliegt, waren dafür nicht stark genug.

Auf dem Papier haben die Kunden in Bayern und Baden-Württemberg den billigen Strom trotzdem bekommen. In Wirklichkeit mussten die Netzbetreiber jedoch Windräder im Norden abregeln und dafür teure und schmutzige Kohlekraftwerke im Süden hochfahren. Die Kosten für diesen sogenannten Redispatch werden über das Netzentgelt auf alle deutschen Stromkunden und Steuerzahler abgewälzt.

Der Strommarkt soll die physische Realität spiegeln

Dieses Preissystem, das so tut als wäre ganz Deutschland eine Kupferplatte, auf der Strom in beliebigen Mengen hin- und hergeschickt werden kann, könnte abgeschafft werden. Seit Jahren wird diskutiert, Deutschland in mehrere Strompreiszonen aufzuspalten.

Ein Treiber dafür ist die Europäische Union. Sie verfolgt den Grundsatz, dass die Marktgebiete beim Strom die physischen Gegebenheiten des Stromnetzes widerspiegeln sollten. Das heißt: Dort, wo es nur wenig Leitungen gibt, sollten Preiszonen voneinander abgetrennt werden. In anderen Ländern ist das bereits der Fall. Norwegen mit seiner großen Nord-Süd-Ausdehnung hat sechs Preiszonen, Italien sogar sieben, und auch das kleine Dänemark mit seinen Inseln zwei.

EU hat Vorschläge für neue Preiszonen vorgelegt

Im vergangenen August hat die EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vorgeschlagen, Deutschland in bis zu fünf verschiedene Strompreiszonen aufzuteilen.

EU-Vorschläge für Strompreiszonen

Bildrechte: ACER/BR



Die Übertragungsnetzbetreiber untersuchen derzeit im Auftrag der EU, was diese verschiedenen Möglichkeiten zur regionalen Aufteilung des Strommarkts für Auswirkungen hätten. Insgesamt werden dabei 22 Parameter berechnet, unter anderem geht es dabei um die Auswirkungen solcher Veränderungen auf Unternehmen.

Diese Auswertungen seien sehr kompliziert, so Manuela Wolter vom Netzbetreiber Tennet auf BR-Anfrage. Das Ergebnis der Untersuchung soll im Sommer vorliegen, und dem könne man nicht vorgreifen. Klar sei: "Wir als Netzbetreiber liefern die Datengrundlage, aber wir positionieren uns nicht zur Frage der Strompreiszonen."

Experte: Einheitlicher Strompreis für Deutschland nicht haltbar

Eine klare Meinung hat dagegen Andreas Jahn. Er arbeitet für die Denkfabrik Regulatory Assistance Project (RAP), die unter anderem von der European Climate Foundation finanziert wird. Seiner Ansicht nach wird die einheitliche Preiszone in Deutschland auf Dauer nicht zu halten sein, schon wegen der hohen Kosten für den Redispatch.

Im Jahr 2021 kosteten diese für die Stabilität nötigen Eingriffe ins Stromnetz bereits über 1,2 Milliarden Euro, wegen der allgemein gestiegenen Strompreise sind auch die Redispatch-Kosten zuletzt weiter explodiert. Die Bundesregierung springt deshalb inzwischen mit Steuergeld ein, sie hat die Entgelte für das Übertragungsnetz gedeckelt.

Stromerzeugung wird schneller ausgebaut als das Netz

Um die angestrebte Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen werde der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik so schnell vorangehen, dass das Stromnetz gar nicht Schritt halten könne, so Jahn: "Das heißt: dieser Netzengpass, der ist strukturell. Und er ist auch nicht zu beseitigen in der gegebenen Zeit. Das heißt, wir müssen irgendwie damit umgehen."

Strom könnte in Bayern teurer werden

Hätten Bayern und Baden-Württemberg eine eigene Strompreiszone, würde der Strompreis in Süddeutschland vermutlich steigen, weil das Stromangebot hier wegen des schwachen Ausbaus der Windkraft verhältnismäßig niedrig ist und der Strombedarf wegen der vielen Industrie hoch. Das zeigen unter anderem Erfahrungen aus Österreich: Dessen Strommarkt wurde 2018 von Deutschland abgekoppelt. Seitdem kann es nicht mehr unbegrenzt billigen Windstrom aus Norddeutschland importieren. Dort stiegen die Preise im ersten Jahr nach der Strompreiszonentrennung um acht Prozent.

Billigerer Strom in Norddeutschland

Höhere Strompreise böten einen Anreiz, auch im Süden mehr Windräder zu bauen. Im Norden dagegen würde der Strompreis sinken – ein Anreiz, energieintensive Industrie oder auch Elektrolyseure zur Wasserstoffproduktion eher dort anzusiedeln, wo das Stromangebot hoch ist.

In einer Situation wie am vergangenen Sonntag würde dann künftig mit dem Windstrom, den der Norden nicht selbst verbraucht, beispielsweise Wasserstoff produziert, anstatt ihn virtuell nach Baden-Württemberg zu verkaufen und die Kosten dafür der Allgemeinheit aufzubürden.

Politischer Schlagabtausch zwischen Nord und Süd

Im Vorfeld der Landtagswahl in Niedersachsen gab es im Herbst einen Schlagabtausch zu diesem Thema: Die Energieminister der norddeutschen Länder Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen forderten die Aufteilung der Strompreiszonen. Es sei den Menschen im Norden nicht zu vermitteln, warum sie für den schleppenden Ausbau von Windrädern und Stromnetzen in Bayern die Zeche zahlen sollten. Mitglieder der bayerischen Staatsregierung nannten den Vorschlag dagegen "absurd" und "unverschämt".

Biogas und Stromspeicher würden sich in Bayern mehr rentieren

Energieexperte Andreas Jahn dagegen betont, dass es bei einer Aufteilung der Strompreiszonen in Bayern durchaus auch Profiteure gäbe: Nicht nur Betreiber von Windrädern, sondern auch Biogasanlagen und Wasserkraftwerke würden mehr Geld verdienen.

Auch das Speichern von Strom oder die Verschiebung von Stromverbrauch würde sich eher lohnen. Und in Stunden, in denen die vielen Photovoltaikanlagen in Bayern einspeisen, könnte der Strompreis im Süden auch niedriger sein als in Norddeutschland.

Extreme Preisunterschiede nur in wenigen Stunden zu erwarten

Nach Jahns Einschätzung würden sich die Preise in Nord- und Süddeutschland in den meisten Stunden des Jahres aber ohnehin gar nicht unterscheiden, weil keine Netzengpässe auftreten. Von den 8.700 Stunden eines Jahres würden die Preise in vielleicht 1.500 Stunden auseinanderfallen, meint der Experte, und zwar meist um zehn bis 20 Prozent.

In einigen wenigen Stunden könnte es aber auch Preisunterschiede um das zehnfache geben. "Und das ist natürlich ein dynamischer Prozess. Je mehr Flexibilität in Bayern entsteht oder neue Erzeugung oder neue Leitungen, desto geringer ist natürlich die Preisdifferenz."

Preiszonen helfen für Gleichgewicht im Stromsystem

Genau hier sieht Jahn auch den Vorteil getrennter Preiszonen: Der Markt würde dabei helfen, ein Gleichgewicht im Stromsystem herzustellen, Erzeugung und Verbrauch von Energie regional stärker zusammenzubringen und den richtigen Grad an Stromnetzausbau zu bestimmen. Die Denkfabrik RAP schlägt sogar vor, noch weiter zu gehen und ein so genanntes "nodales Preissystem" einzuführen, wie es beispielsweise in einigen US-Bundesstaaten und in Neuseeland praktiziert wird. Dabei wird an jedem Netzknoten (also an jedem Punkt in der Grafik oben) ein eigener, lokaler Preis gebildet.

Der Vorteil dabei ist, dass das Netz effizienter genutzt wird und dezentrale Strukturen angereizt werden – so lässt sich der Leitungsbau minimieren. Allerdings benötigt ein nodal organisiertes Strompreissystem mit mehreren hundert verschiedenen Strommärkten für Deutschland auch eine stärkere Überwachung und Regulierung – damit beispielsweise nicht ein einzelner Stromerzeuger vor Ort Preise diktieren kann. Eine Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2018 warnt vor viele Schwierigkeiten, die ein nodales Preissystems für Deutschland mit sich brächte.

Ampelkoalition hat neues Strommarktdesign angekündigt

Ob und wie viele neue Preiszonen es für den künftigen Strommarkt in Deutschland geben wird, entscheidet am Ende nicht die Europäische Union, sondern Bundesregierung und Bundestag. Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, ein neues Strommarktdesign zu erarbeiten. Dieser Prozess hat erst begonnen. Wie das Ergebnis aussieht, wird sich zeigen.

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