Montag, 9. Januar 2023

Naturschutztage 2023: Gemeinsames Faktenpapier von NABU und BUND Baden-Württemberg

05.01.2023 Faktenpapier für die Naturschutztage 

Biodiversitätskrise, Klimakrise und Flächenverbrauch – was hat das mit unseren Streuobstwiesen zu tun?

Der Flächenverbrauch betrifft uns alle massiv, ist aber für viele schwer greifbar. Die aktuelle Lage, die damit zusammenhängenden Probleme und ihre Auswirkungen wollen wir am Beispiel der Streuobstwiesen verdeutlichen.

Streuobstwiesen und Flächenverbrauch:

Auf Streuobstwiesen leben mehr als 5.000 Arten. Davon sind viele streng geschützt und bedroht, etwa Fledermäuse oder Vögel wie Halsbandschnäpper, Wendehals und Steinkauz.

Baden-Württemberg hat eine besondere Verantwortung für den Erhalt, denn nirgendwo sonst kommen so viele Streuobstwiesen vor: Im Land stehen 7,1 Millionen Bäume (Stand 2015, Landesweite Streuobsterfassung Baden-Württemberg, Prof. Dr. Klaus Schmieder, Universität Hohenheim).

In Streuobstwiesen sind im Boden und im Baumbestand bis zu 220 Tonnen Kohlenstoff je Hektar (je nach Standort und Landschaftstyp) gespeichert (hier). Jedes Jahr nehmen sie zwischen 2,4 und 12,5 Tonnen CO₂ pro Hektar auf. Sie sind damit eine wichtige CO₂-Senke (hier).
Versiegelte Böden können diese Aufgaben nicht mehr erfüllen. 

Der tägliche Flächenverbrauch lag 2021 mit 6,2 Hektar pro Tag in Baden-Württemberg immer noch über dem landespolitischen Zielwert von unter 3 Hektar pro Tag.
Damit nahm er im Vergleich zum Vorjahr (5,4) erneut zu und lag damit über dem Durchschnittswert der letzten fünf Jahre von rund 5,8 Hektar.
527 954 Hektar oder 14,8 Prozent des gesamten Landes waren somit zuletzt mit Siedlungs- und Verkehrsflächen bedeckt.
Im Jahr 2000 waren es noch 13,2 Prozent – eine Zunahme 
von mehr als 55.000 Hektar in den letzten 21 Jahren (hier). Das Fatale ist dabei: Seit 1970 hat die Bevölkerung in Baden-Württemberg um 24 % zugenommen, die Siedlungsfläche aber um 100 %. Zwei Generationen haben so viel neue Siedlungsfläche konsumiert, wie 80 Generationen vor ihnen seit Beginn unserer Zeitrechnung.

• Viele Flächen verschwinden unter Teer und Beton. Eine riesige Klimasünde, denn der Gebäudesektor ist für rund 40 % aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dabei ist der durch die Bautätigkeit freigesetzte, vorher im Boden gebundene Kohlenstoff noch nicht eingerechnet. Diese Mengen sind jedoch erheblich: ein Hektar Grünland speichert mehr als 180 Tonnen Kohlenstoff. Wird dieser freigesetzt, entsteht daraus die dreieinhalbfache Menge an CO2, also etwa 630 Tonnen (RegioConsult: Kurzstudie über Klimaschutzbeiträge zur Umweltverträglichkeitsprüfung von Bundesfernstraßen im Rahmen der Umsetzung der Bundesverkehrswegeplanung 2030, München 2022, S, 24).

• Der Flächenverbrauch und die Rodung von Streuobstwiesen tragen also sowohl zur Klimakrise als auch zur Biodiversitätskrise bei.


Rechtlicher Hintergrund:

• Die Landesregierung will laut Klimaschutzgesetz bis 2040 klimaneutral werden.

• Laut Koalitionsvertrag soll bis 2035 die Netto-Null beim Flächenverbrauch erreicht sein.

• Als Reaktion auf das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ hat die Landesregierung 2020 das Biodiversitätsstärkungsgesetz (Biodiv-Gesetz) verabschiedet. Ein zentraler Punkt darin ist mit § 33a Naturschutzgesetz (NatschG) der bessere Schutz von Streuobstwiesen, deren Rodung nur in Ausnahmefällen genehmigt werden darf.


Aktuelle Situation:

Bislang sind bis auf eine Diskussionsveranstaltung noch keine ernsthaften Schritte der Landesregierung erkennbar, um die Netto-Null bis 2035 zu erreichen.

Der Streuobstwiesenschutz scheint wirkungslos zu sein: Die Genehmigung von Rodungen durch die Landratsämter ist die Regel und nicht die gesetzlich gewünschte Ausnahme.

Allein im Zeitraum von März 2021 bis Februar 2022 wurden 54 Rodungsanträge für eine Gesamtfläche von mehr als 30 Hektar gestellt, von denen nur zwei abgelehnt wurden (NABU Baden-Württemberg, 2022):

NABU und BUND haben deshalb gegen nahezu sämtliche Rodungsgenehmigungen Widerspruch eingelegt. Sie wollen erreichen, dass § 33a, wie von der Landesregierung initiiert, umgesetzt wird oder Gerichte klären, wie er umzusetzen ist.

• Die baden-württembergische Landesregierung muss den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt ernst nehmen. Weniger Flächenverbrauch ist ein zentraler Beitrag dafür.

• Die Landratsämter müssen § 33a LNatschG beachten und Streuobstwiesen schützen, statt sie der Bauwut der Kommunen zu opfern. Wenn das nicht gelingt, muss § 33a nachgeschärft werden.

• Die Umweltverbände erwarten, dass die Netto-Null bis 2035 beim Flächenverbrauch im Landesplanungsgesetz gesetzlich festgelegt wird.

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