Mittwoch, 4. Januar 2023

Forscherin über Transformation: Zwölf Ideen, um die Welt zu ändern

 Ja genau, möchte ich schreien,  dieser Artikel trifft ins Schwarze.

"Als kleine Hel­d:in­nen brauchen wir deshalb unseren ganzen Mut.
Wir stoßen an Grenzen, aber wir lassen nicht locker und wachsen an unseren Aufgaben."

das steht unten, und genau dieses Gefühl erlebe ich, ebenso wie viele Andere auch, tagtäglich in meinem eigenen Leben, seit die Klimakrise so unübersehbar geworden ist.
Ich will und ich muss tatkräftig mitarbeiten an einer Veränderung, die für uns alle zum Besseren führt. Ich überlasse das Feld nicht mehr kampflos den Verharmlosern mit den Ideen aus dem letzten Jahrhundert.


TAZ hier   Maike Sippel  1.1.2023

Alles muss sich ändern. Nur wie? Maike Sippel, Professorin für Nachhaltige Ökonomie, weiß, wie Wandel gelingt. Eine Anleitung für Kopf, Herz und Hand.

Als Wissenschaftlerin interessiert mich vor allem die Frage, wie der Wandel in die Welt kommt. Wie können wir den Paradigmenwechsel schaffen, mit dem wir die Klimakrise meistern und eine lebenswerte Zukunft sichern? Wie kann der tiefgreifende Wandel gelingen, mit dem wir uns von ökonomischen Wachstums- und Konsumzwängen verabschieden und zu einer sozialgerechten Entwicklung aufbrechen, die die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde respektiert?

Es ist offensichtlich, dass diese sozial-ökologische Transformation veränderte Strukturen braucht. Aber sie braucht auch Menschen wie Sie und mich. Menschen, die nicht mehr länger darauf warten, dass sich irgendwann einmal das System verändert, sondern die jetzt anpacken und ihren Teil dazu beitragen, dass diese Systemänderung wahrscheinlicher wird.



Zu den Transformationskompetenzen zählt
neben Faktenwissen
auch das „Mindset“, also unsere Denkweise und Haltung.


Als Hochschullehrerin beschäftigt mich die Frage, wie ich meine Studierenden gut auf eine Rolle als Ge­stal­te­r:in­nen des Wandels vorbereiten kann. Was kann das Rüstzeug für diese Aufgabe sein? Anfangs habe ich noch rein auf die Vermittlung von Faktenwissen gesetzt: Was sind die katastrophalen Folgen von drei Grad Erderhitzung, wie sieht der erneuerbare Energiemix der Zukunft aus, warum müssen wir für die Energiewende unseren Lebensstil ändern? Doch mittlerweile bin ich zu dem Schluss gekommen: Ebenso wichtig wie Faktenwissen ist das „Mindset“, also unsere Denkweise und Haltung. Transformationskompetenzen umfassen Kopf, Herz und Hand.

Als Nachhaltigkeitsprofessorin würde ich mich normalerweise ans Forschen und Lehren rund um diese Transformationskompetenzen halten. Aber seit September 2019, als weltweit Millionen Menschen für Klimaschutz demonstrierten und zeitgleich die damalige Bundesregierung ihr völlig unzureichendes Klimaschutzpaket vorlegte, ist für mich die Normalität vorbei.
Wir stehen an einem Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte: Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen des Weltklimarats IPCC sagen uns klar, dass unser Handeln oder Nichthandeln in den 2020er Jahren über die Lebensbedingungen auf der Erde für die nächsten tausend Jahre entscheiden wird. Werde ich da mit einem Weitermachen in meiner gewohnten Rolle meiner Verantwortung gerecht? Müsste ich nicht versuchen, meine Fähigkeiten und Erkenntnisse über den Hörsaal hinaus weiterzugeben – auch wenn ich damit aus dem herausfalle, was von mir als Wissenschaftlerin erwartet wird?

Deshalb teile ich im Folgenden zwölf Gedanken, die helfen können, den notwendigen Wandel zu gestalten und in diesen Zeiten stimmig zu leben. Diese zwölf Gedanken sind keine Weltformel, sondern Bausteine einer Transformationsakademie. Ich hoffe, Sie können etwas daraus mitnehmen für Ihr Denken und Handeln 2023.

1. Sehen Sie sich als Teil dieser Welt

Wir sind als Menschen ein Teil der Welt, ein Mosaikstein innerhalb des Lebens, das sich bis heute auf der Erde entfaltet hat. Und wir sind aufs Engste mit diesem Leben um uns herum verbunden, ja wir sind von ihm abhängig. Der Vordenker Jeremy Rifkin sieht ein „biophiles Bewusstsein“, also ein Denken, das von der Liebe zum Lebendigen geprägt ist, als Voraussetzung dafür, dass die Menschheit überlebt.

Zur Eingebundenheit in die Welt gehört auch die zeitliche Dimension: Wir sind ein Teil einer Kette der Generationen, eine Art Bindeglied zwischen den vielen Generationen vor uns und den Generationen nach uns. Der folgende Gedanke, der ursprünglich einer Philosophie der Irokesen entstammt und von vielen indigenen Völkern weltweit geteilt wird, drückt die Verantwortung aus, die sich daraus ergibt: Was für Auswirkungen haben unsere heutigen Aktivitäten auf unsere Nachfahren in der siebten Generation?

2. Seien Sie dankbar

Haben Sie sich schon mal durch den Kopf gehen lassen, was es eigentlich für ein Wunder ist, dass die Dinge in der Erd- und Menschheitsgeschichte gerade so gelaufen sind, dass es Sie gibt? Wie wäre es, dies sacken zu lassen und inmitten der ganzen Alltagsbaustellen Platz zu schaffen, um für das Wunder des Lebens dankbar zu sein. Mich immunisiert dieses Bewusstsein gegen den Überkonsum in unserer Gesellschaft: Wir brauchen gar nichts Neues zu kaufen, zu besitzen oder zu tun, um einfach wunderbar zu sein.

Im Hinblick auf die Aufgaben, die vor uns liegen, kann eine Besinnung darauf, wofür wir dankbar sind und was wir eigentlich lieben in der Welt, eine Art Sprungfeder für unser Engagement bilden. Es führt uns vor Augen, warum es sich lohnt, jetzt aktiv zu werden.

Aus zahlreichen Studien in der Psychologie wissen wir, dass die Kultivierung von Dankbarkeit uns zufriedener machen kann. Eine Möglichkeit, das umzusetzen, ist das Führen eines „Dankbarkeitstagebuchs“. Darin notieren Sie, zum Beispiel täglich vor dem Schlafengehen oder auch in einem wöchentlichen Rhythmus, drei Dinge, für die Sie dankbar sind.

Über das Individuum hinaus hat das Empfinden und Äußern von Dankbarkeit auch einen Effekt, der vielleicht eine große Rolle in der Entwicklung menschlicher Gesellschaften gespielt hat: Es stärkt unsere Verbundenheit und Großzügigkeit untereinander. Warum nicht all das nutzen als Kraftquelle für unser Handeln angesichts der Klimakrise?

3. Lassen Sie Schmerz und Trauer zu

Achtung! Wenn wir uns bewusster sind, was in dieser Welt so „wunderbar“ ist, dann sind wir auch empfindsamer für das, was auf dem Spiel steht und was gerade in der Welt zerstört wird.
Täglich erfahren wir in den Nachrichten von Menschen, deren Häuser überflutet wurden oder deren Ernte verdorrt ist, und von brennenden Wäldern, aus denen die Tiere fliehen. Was macht das mit uns? Und auch die anstehenden Veränderungen in unserem Leben können einem als Zumutung erscheinen: Sprechen wir eigentlich darüber, wie wir den emotional schweren Abschied vom fossilen Zeitalter schaffen? Und wie wir mit der Unsicherheit umgehen, wohin die Reise gehen wird?

Solche „Klimagefühle“ sind weit verbreitet: Laut der Psychotherapeutin Katharina van Bronswijk berichten in Befragungen zwei Drittel bis neunzig Prozent der Befragten von „Klimaangst“. Der norwegische Umweltpsychologe Per Espen Stoknes wirbt unter der Überschrift „Stand up for your depression“ dafür, sich wie er zu seinen Klimagefühlen zu bekennen. Es tut mir gut zu wissen, dass ich mit diesen Gefühlen nicht allein bin. Nach meiner Erfahrung der letzten drei Jahre eröffnet diese Gefühlskrise auch die Chance auf ein bewussteres Leben mit vielen intensiven Glücksmomenten.

Die Psy­cho­lo­g:in­nen der Psychologists for Future empfehlen zur Bewältigung von Klimagefühlen, sich mit Freunden dazu auszutauschen und sich für den Klimaschutz zu engagieren. Könnte eine Kraft darin stecken, diesen Gefühlen mehr Raum zu geben? Könnte die Klimaangst, wenn wir sie zulassen, auch eine gesellschaftliche Alarmleuchte sein, dass wir jetzt die Krise lösen müssen?

4. Machen Sie Ihre Werte zur Grundlage Ihres Handelns

Ihre größte und wichtigste Entscheidung ist, wofür Sie Ihre Lebenszeit einsetzen. Sie können sich fragen: Was ist mir wirklich wichtig? Was will ich einmal getan haben, für was will ich gestanden haben, wenn ich mein Leben Revue passieren lasse? Und was heißt das für mein Handeln? Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um aus der Zukunft zu denken. Stellen Sie sich vor, Sie haben in vielen Jahren Ihre Urenkelin auf dem Schoß oder die Urenkelin eines lieben Freundes. Sie fragt, was Sie eigentlich getan haben, in den entscheidenden 2020er Jahren. Was wollen Sie antworten?

Interessanterweise ist es ein menschliches Bedürfnis, unsere Werte und unser Handeln in Einklang zu bringen. Klaffen die Einstellungen und das Handeln auseinander, sprechen Psy­cho­lo­g:in­nen von „kognitiver Dissonanz“ – ein Zustand, den wir zu vermeiden versuchen. Dazu können wir an zwei Stellschrauben drehen: Wir können entweder unser Verhalten ändern oder unsere Einstellungen.

Im Alltag kommt es häufig vor, dass wir fragwürdige Haltungen einnehmen und beispielsweise Klimafakten ausblenden, um liebgewonnenes Verhalten beibehalten zu können. Unsere Handlungsroutinen, unser gewohnter Alltag und unsere Prioritäten haben eine Beharrungskraft. So schaffen es selbst viele überzeugte Umweltschützerinnen und Tierliebhaber, beim Stück Fleisch im Restaurant nicht an dessen wahrscheinliche Herkunft aus klimaschädlicher Massentierhaltung zu denken, bei der Flugreise die Umweltwirkungen auszublenden oder auf Grund der vielen persönlichen Verpflichtungen einfach keine Zeit für den nächsten Klimastreik zu finden.

Allerdings wird immer deutlicher, dass diese tradierten Verhaltensweisen nicht zu einem klimafreundlichen Leben passen, das nach einer aktuellen Studie ein großer Teil der Deutschen quer durch alle Bevölkerungssegmente für erstrebenswert hält. Und damit fällt es immer schwerer, die Augen zu verschließen. Es bleibt immer häufiger ein fahler Rest von schlechtem Gewissen.

Ich ziehe Kraft daraus, nicht mehr wegzuschauen und meine Prioritäten und Handlungen konsequenter an meinen Werten auszurichten. Das klappt im Alltag natürlich nicht immer und ich komme an Grenzen. Aber genau dieses Hadern erleichtert es, sich mit anderen darüber auszutauschen. Überhaupt lässt sich über diesen Abbau kognitiver Dissonanz gut reden. Eine befreundete Professorin, die seit einigen Jahren nicht mehr fliegt, berichtet, wie gut sich erzählen lässt, wie diese klare Haltung ein großer persönlicher Gewinn für sie ist.

5. Machen Sie sich ein Bild von der Zukunft

Anstatt nun in einen reinen Abwehrkampf gegen den die drohende Klimakatastrophe zu gehen, lasst uns einen hoffnungsfrohen Blick in die Zukunft wagen und mutig überlegen, wo wir eigentlich hinwollen. Was ist die schönste Vorstellung von der Zukunft, die ich mir machen kann?

Wenn ich zum Beispiel in meinen Gedanken losreise und mir mein eigenes Stadtviertel in zwanzig Jahren anschaue, dann, wenn wir die Transformation geschafft haben, was sehe ich? Viel mehr Grün und Menschen im Straßenraum und viel weniger Autos. Menschen, die sich begegnen und die sich zum Quatschen auf eine gemütliche schattige Bank unter einen Baum setzen. Neben Vogelgezwitscher, dem gelegentlichen Klingeln einer Fahrradglocke und dem Surren des Elektrobusses sind die Freunde hörbar, die sich ein Stück weiter zum Boulespielen getroffen haben.

Indem wir unsere „Welt neu denken“, wie die Transformationsforscherin Maja Göpel es nennt, setzen wir der Alternativlosigkeit des Krisen- und Gewohnheitsmodus ein Ende. Dabei geht es nicht um ein naives Hoffen darauf, dass wir wie durch Zauberhand in diese neu gedachte Zukunft gelangen. Sondern um ein „Hoffen durch Handeln“: Mit einem Bild von wünschenswerter Zukunft vor Augen selber Hand anzulegen und unser Mögliches dazu beizutragen, dass diese Zukunft wahrscheinlicher wird.

6. Erinnern Sie sich, dass Wandel möglich ist

Laut einer im Oktober 2022 vom britischen Think Tank Climate Outreach veröffentlichten Studie sehen junge Erwachsene in Europa die Klimakrise nicht nur als ernste Bedrohung für die Zukunft, sondern sie wollen auch Teil der Lösung sein. Fast zehn Prozent der Befragten gaben sogar an, dass sie bereit wären, dafür Gesetze zu übertreten. Allerdings zeigt dieselbe Studie auch, dass die Befragten kein Bild davon haben, wie der erforderliche systemische Wandel aussehen soll und welche Rolle sie darin spielen könnten. Wie kann so eine tiefgreifende technologische und gesellschaftliche Veränderung gelingen?

Hilfreich und stimmig scheint mir das Bild vom Wandel, das die Ex­per­t:in­nen des Wissenschaftlichen Beirats für globale Umweltveränderungen (WBGU) skizzieren. Da gibt es Pioniere des Wandels – Menschen, Organisationen, Unternehmen – die einfach loslaufen und sich innerhalb falscher Strukturen „richtig“ verhalten. Diese Pio­niere machen Lust auf Zukunft, sie zeigen, was möglich ist an klimafreundlichen Lebensstilen und Produktionsweisen, sie entwickeln neue Technologien und wenden sie an, und sie sind damit wahrnehmbare Vorbilder für andere.

Damit diese Innovationen nicht in einer Nische bleiben, sondern sich ausbreiten und zur neuen Normalität werden, braucht es als zweite wichtige Zutat zum Wandel Unterstützung in Form geeigneter Rahmenbedingungen. Eine transformative Klimapolitik gibt klar die Richtung vor für den raschen Aufbau einer Infrastruktur erneuerbarer Energien, macht Klimaschutz für alle einfacher und fordert ihn, insbesondere auch von Unternehmen, umfassend und verbindlich ein. Dabei dürfte die Akzeptanz entscheidend davon abhängen, dass der große Wunsch sehr vieler Deutscher nach einer für den Einzelnen bezahlbaren und sozialgerechten Klimapolitik umgesetzt wird.


Wenn drei bis vier Prozent der Bevölkerung
aktiv und gewaltfrei protestieren,
können Regimewechsel bewirkt werden.


Für politische Entscheidungen der erforderlichen Tragweite haben soziale Bewegungen im Lauf der Geschichte eine wichtige Rolle gespielt. Das zeigt ein Blick auf uns bekannte Beispiele, wie die Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei, zur Erkämpfung von sozialen Standards für Ar­bei­te­r:in­nen oder zur Einführung des Frauenwahlrechts.

Dabei reicht es, wenn schon ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung aktiv wird: Erica Chenoweth, Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r:in aus den USA, forscht zu gewaltfreiem Widerstand und hat Protestbewegungen gegen Regime aus den letzten 100 Jahren untersucht. Chenoweths Forschungsergebnisse sind ermutigend und haben unter anderem Extinction Rebellion und die Letzte Generation inspiriert: Schon der aktive und gewaltfreie Protest von nur drei bis vier von hundert Personen in der Bevölkerung hat verlässlich zu Regimewechseln geführt.

Der anstehende Wandel wird noch anspruchsvoller, weil wir die Klimakrise nicht auf der nationalen Ebene lösen können. Treibhausgase kennen keine Grenzen. Entwicklungsländer, die kaum zur Klimakrise beigetragen haben, müssen bei der Bewältigung der Klimaschäden unterstützt werden. Es braucht alle großen Länder beim Klimaschutz, der WBGU spricht von einer „Globalen Koopera­tionsrevolution“. Ein wichtiger Teil dessen, was wir in Deutschland tun können, besteht darin, zu dieser globalen Aufgabe beizutragen.

Dazu sollten wir erstens dafür sorgen, dass Deutschland auf einen klimaverträglichen Pfad kommt. Damit können wir den Beweis antreten, dass die sozialökologische Transformation in einer wohlhabenden, industrialisierten und bisher sehr ressourcenintensiven Volkswirtschaft möglich ist. In Allianz mit anderen Pionierländern können wir dann eine mitreißende globale Dynamik entfachen. Zweitens sollten wir die internationale Zusammenarbeit zur Zukunftssicherung anschieben. Dazu gehören Energiepartnerschaften mit sonnenreichen Ländern ebenso wie ein deutlich höherer Mitteleinsatz, um ärmere Länder beim Klimaschutz und bei der Anpassung an die Klimakrise zu unterstützen.

Mir ist bewusst, dass ein Wandel nach diesem Bild kein Selbstläufer ist. Die Herausforderung ist in der Tat historisch einmalig und es gibt keine Erfolgsgarantie. Aber die Dinge sind in Bewegung. Die Anzahl der Projekte, Initiativen und Politiken weltweit wächst. Die Dynamik dieser Entwicklung wird weiter zunehmen und im positiven Sinne zu einem Kippen führen. Das ist dann endlich ein Kipppunkt zum Jubeln!

7. Auch der Handabdruck zählt

Das gerade beschriebene Bild vom Wandel zeigt, warum es jetzt unser Handeln braucht. Es zeigt auch die zwei unterschiedlichen Bereiche, in denen wir Einfluss haben: die Ebene des „Fußabdrucks“ und die des „Handabdrucks“.

Beim Fußabdruck geht es um den durch den eigenen Lebensstil verursachten Ausstoß an Klimagasen. Als ersten Schritt im Rahmen unseres Projekts „Climate Challenge“ an der Hochschule Konstanz laden wir Studierende seit mittlerweile acht Jahren dazu ein, sich mit ihrem Fußabdruck zu befassen. Erst wird gerechnet und der eigene Fußabdruck analysiert – oft mit der Erkenntnis, dass der eigene Lebensstil nicht klimafreundlich ist. Die Analyse zeigt auch, wo die großen Stellschrauben im eigenen Verhalten sind, die sogenannten „Big Points“, die einen Unterschied für die persönliche Klimabilanz machen.

Dann wird ein vierwöchiges Veränderungs­experiment aufgesetzt. Nach eigener Wahl und mit einem Fokus auf „Big Points“ werden dabei neue klimafreundliche Alternativen ausprobiert und deren Wirkung untersucht, zum Beispiel der Einstieg ins vegetarische oder rein pflanzliche Essen, die temporäre Abschaffung des eigenen Autos, die Organisation der Anreise ins Auslands­semester mit der Bahn. Es hat sich gezeigt, dass vier Wochen ein guter Versuchszeitraum sind: kurz genug, dass auch das Ausprobieren einer einschneidenden Veränderung zu schaffen scheint – und lang genug, dass sich neue Routinen entwickeln können. Da hat sich einer dann an den anderen Geschmack von Hafermilch gewöhnt, eine andere hat eine Sammlung alltagstauglicher klimafreundlicher Rezepte angelegt und wieder andere haben angefangen, ihre Fahrten im eigenen Auto für Mitfahrer anzubieten.

Die Ergebnisse dieser „Footprint Challenge“ sind ermutigend: Unsere wissenschaftlichen Auswertungen zeigen nicht nur, dass für viele Studierende Handlungsspielräume bestehen, sondern auch, dass sich die meisten als erfolgreich beim Handeln erleben.

Die vier Wochen werden eher als Steigerung der Lebensqualität wahrgenommen denn als unzumutbarer Verzicht, und stolz werden Geschichten geteilt, zum Beispiel über den kleinen Bruder, der auch angefangen hat, sich vegetarisch zu ernähren.

Gleichzeitig werden die Teilnehmenden sich während der vier Wochen bewusst, dass unser Verhalten von äußeren Spielregeln beeinflusst wird. Gibt es überhaupt ein leckeres pflanzenbasiertes Angebot in der Mensa oder auf der Grillparty bei Freunden? Oder eine ordentliche Busverbindung ins Heimatdorf? Wie viel kostet mich die Nachtzug­reise nach Barcelona – im Vergleich zum Billigflug, der vom steuerbefreiten Kerosin profitiert? Wie würde es ankommen, wenn ich beim Weihnachtsessen Omas Braten nicht essen will? Vielfach sind Preise zu hoch, klimafreundliche Alternativen zu unpraktisch oder es fehlt an sozialer Akzeptanz – alles Rahmenbedingungen, die Klimaschutzhandeln erschweren.

Diese Erkenntnis greifen wir dann für den zweiten Schritt auf: In der „Handprint Challenge“ geht es darum, Verbündete zu suchen und sich eine Veränderung der Rahmenbedingungen zu überlegen, zu der man selber beitragen kann. Das kann bedeuten, mit der Leitung des Studierendenwerks über einen fleischfreien Tag in der Mensa zu sprechen, sich bei der Bürgermeisterin im Heimatort für ein besseres Radwegenetz einzusetzen oder sich in bestehenden Initiativen wie Foodsharing oder Fridays for Future zu engagieren.

Die Handprint Challenge ist eine Einladung, sich selbst nicht nur als Konsument:in, sondern als en­ga­gier­te:n Bür­ge­r:in zu sehen. Das ist anfangs oft sperrig – aber auch die Grundlage dafür, dass zivilgesellschaftliche Initiativen und Bewegungen entstehen können. Und die brauchen wir unbedingt: Wenn wir uns die enormen wirtschaftlichen Interessen anschauen, die von einer Weiternutzung fossiler Energieträger profitieren, dann wird deutlich, wie stark eine Bewegung sein muss, die dafür sorgt, dass Kohle, Öl und Gas im Boden bleiben.

Der Schlüssel liegt darin, doppelstrategisch im Fußabdruck und im Handabdruck voranzugehen. Also zum einen den eigenen Lebensstil klimafreundlicher gestalten – mit Mut zur Lücke und ohne sich auf Nebenschauplätzen wie der Diskussion um die Herkunft des Mineralwassers oder die eingeschweißte Biogurke zu verlieren. Und zum anderen mit dem Handabdruck einen individuellen Beitrag für klimafreundlichere Strukturen zu leisten. Dabei ergänzen sich die beiden Ebenen: Fußabdruckhandeln baut kognitive Dissonanz ab und erhöht die Glaubwürdigkeit, Handabdruckhandeln entlastet davon, innerhalb eines falschen Systems alles richtig machen zu müssen.

8. Benutzen Sie Werkzeug für Transformationsprozesse

In unserer Zeit des Wandels sind wir mit einer wachsenden Zahl an Transformationsprozessen konfrontiert, in die häufig unterschiedliche Gruppen eingebunden sind. Deswegen besteht ein großer Bedarf an offiziellen oder informellen Pro­zess­be­glei­te­r:in­nen und Moderator:innen: Menschen, die Freude an der Begleitung von Gruppen und Prozessen haben und die einen Werkzeugkasten an Wissen und Methoden aufbauen, mit denen sie Veränderungsprozesse unterstützen können. Aus der Analyse gelungener Transformationsprojekte kennen wir nämlich wiederkehrende Erfolgsfaktoren – und diese können in Veränderungsprozessen gezielt gefördert werden.

Wertvolle Ansätze hierzu sind „Art of Hosting“ oder „Collective Leadership“, die man beide in Trainings erlernen kann. Eine Erfolgsgarantie für das Gelingen gemeinsamer Initiativen gibt es auch mit kompetenter Prozessbegleitung nicht. Prozesse haben ihr Eigenleben. Aber es gibt erprobtes Handwerkszeug, das uns helfen kann.

9. Versorgen Sie sich mit guten Nachrichten

Wie leicht verliert man sich im Wirrwarr der Katastrophenmeldungen, die uns in jeden Tag zugespielt werden. Weil sie Klicks, Leserzahlen und damit Anzeigenkunden bringen, sind schlechte Neuigkeiten überrepräsentiert. Neu­ro­wis­sen­schaft­le­r:in­nen wie Maren Urner weisen darauf hin, dass das unser Gehirn in Dauerstress versetzt und überfordert. Keine gute Ausgangsbasis, um mutig Veränderungen anzupacken. Deshalb wurde der konstruktive Journalismus entwickelt. Dabei geht es nicht darum, die Welt durch eine rosa Brille zu sehen, sondern lösungsorientiert und mit Fokus auf kritischem Denken. Hört sich das nicht verlockend an?

10. Sprechen Sie darüber

Früher habe ich im Alltag wenig über Klimaschutz gesprochen, weil ich Konflikte vermeiden und nicht missionieren wollte. Das mache ich anders, seit ich aus wissenschaftlichen Studien weiß, wie sehr wir alle unser Denken und Handeln an den Menschen in unserem Umfeld orientieren. Wenn dem so ist, denke ich mir, dann will ich, dass mein Denken und Handeln für die Menschen um mich herum auch deutlich erkennbar ist. Und dann muss ich darüber sprechen. Meistens zumindest – wenn ich nicht gerade zu gemütlich bin oder einfach nur einen ruhigen Kneipenabend mit meinen Vol­ley­ball­kol­le­g:in­nen verbringen möchte.

Wie können solche Klimagespräche im Alltag gelingen? Kli­ma­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ex­per­t:in­nen empfehlen, weder moralisch daherzukommen noch faktisch überzeugen zu wollen: „Studien zeigen, dass es nichts bringt, Menschen Studien zu zeigen“, heißt es. Vielversprechender ist es, sich über Handlungsversuche und Erfahrungen auszutauschen, auch wo es holprig ist. In mehreren Kursen haben wir dazu studentische Projekte durchgeführt. Zum Beispiel haben wir in Workshops aktives Zuhören und das Teilen der eigenen Geschichte geübt. Gerade haben wir erfolgreich ausprobiert, wie es eine Gesprächssituation positiv verändert, wenn wir uns ganz bewusst auf die individuellen Werte und Sorgen des Gesprächspartners zum Klimaschutz einlassen und ein Gespräch darauf aufbauen.

11. Sehen Sie das Ganze als Abenteuer

Diese Transformation ist keine reine Vergnügungsreise – wobei Spaß haben natürlich erlaubt ist. Für einen selbst ist es zunächst eine Herausforderung, Gewohnheiten zu verändern und Prioritäten für das eigene Handeln zu verschieben. Wie schaffe ich es, relevante Teile meiner Zeit für Engagement zu investieren? Natürlich ist das nicht nur für mich anstrengend, sondern wohl für alle Menschen in der Gesellschaft. Wie anspruchsvoll muss es auch für einen Energieversorger oder einen Automobilkonzern sein, das Geschäftsmodell neu zu erfinden, oder für eine Politikerin, die mutig neue Allianzen eingeht und dabei um ihre Wiederwahl bangt.

Es ist also durchaus mit Widerständen zu rechnen – wie in einem richtigen Abenteuer.
Als kleine Hel­d:in­nen brauchen wir deshalb unseren ganzen Mut.
Wir stoßen an Grenzen, aber wir lassen nicht locker und wachsen an unseren Aufgaben.
Von Hürden lassen wir uns nicht abschrecken, sondern sehen sie als Gelegenheit zu lernen und als Herausforderung auf unserem Weg, an der wir wachsen.
Wir feiern unsere Zwischenerfolge.
Wir suchen und finden Verbündete, die zu engen Freun­d:in­nen werden.
Wir merken, dass uns nicht nur Sympathie entgegenschlägt und dass wir nicht hundertprozentig sicher sein können, ob wir auf dem richtigen Weg sind.
Werden wir überhaupt ans Ziel gelangen? Wir wissen es nicht und machen trotzdem weiter.
Aber damit sind wir in guter Gesellschaft.
Den meisten Menschen, die die Welt verändert haben, ist es genau so ergangen.

12. Passen Sie auf sich auf

Ja, es braucht uns für den Wandel. Es braucht, dass wir uns auf die krisenhafte Situation einlassen, dass wir Lösungen ersinnen, es braucht unseren Mut und unsere Kraft und unsere Freude an der Umsetzung von Veränderung. Dabei geht es tatsächlich um nicht weniger als eine lebenswerte Zukunft für die Menschheit auf diesem Planeten.

Angesichts dieser Aufgabe fällt es mir persönlich manchmal schwer, loszulassen und auf meine Balance zu achten. Dabei ist offensichtlich, dass wir für diese Aufgabe einen langen Atem brauchen. Keinem ist geholfen, wenn das innere Feuer zum Burn-out führt, wie das bei Ak­ti­vis­t:in­nen gar nicht so selten ist.

Deshalb lade ich Sie ein, für sich zu sorgen. Wir können unsere Widerstandsfähigkeit stärken, indem wir darauf achten, wie es uns geht und was Alarmzeichen für Überlastung sind, wie viele Bälle wir wirklich in der Luft halten können und wollen und welche Bälle wir vielleicht erleichtert ablegen können. Indem wir für uns sorgen, unsere Beziehungen ganz bewusst pflegen und eine Art „tieferen Sinn“ unseres Lebens finden und kultivieren. Und bietet es sich nicht an, dass dieser tiefere Sinn darin besteht, an einer besseren Welt mitzuwirken?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen