Schwäbische Zeitung hier Jan Peter Steppat 03.01.2023
Die Initiative „Lebenswerte Städte“ für mehr Tempo 30 in Innenstädten bekommt immer mehr Zulauf. Laut „Spiegel Online“ sind ihr bundesweit inzwischen rund 360 Kommunen und Landkreise beigetreten. Das gilt auch für zahlreiche Städte aus der Region, etwa Ravensburg, Leutkirch, Bad Waldsee und Bad Wurzach. Kurz vor dem Jahreswechsel stieß auch Wangen dazu und nach Angaben des Berichts ist es derzeit im Schnitt eine weitere pro Werktag.
Während es anderswo in den Gemeinderäten oft deutliche Mehrheiten für den Beitritt gab, war die Entscheidung in Wangen vergleichsweise strittig. Erst im zweiten Anlauf rang sich das Stadtparlament nach einem GOL-Antrag vom Sommer dazu im Dezember durch. Das lag zum einen am Widerstand der CDU, zum anderen aber an zeitweiliger Skepsis bei den Freien Wählern.
Überzeugt konnte eine knappe Mehrheit der Wangener Stadträte vor allem durch die städtische Argumentationslinie, generell mehr eigene Entscheidungskompetenz bei der Festlegung von Höchstgeschwindigkeiten auf innerörtlichen Bundes- oder Landesstraßen erhalten zu wollen. Derzeit sieht die Straßenverkehrsordnung vor, dass 30 Kilometer pro Stunde nur bei konkreten Gefährdungen oder vor sozialen Einrichtungen wie etwa Kitas und Schulen angeordnet werden könnten.
Präzedenzfälle aus der Allgäustadt
In Wangen gibt es aber noch andere Präzedenzfälle: Immer wieder ist die Stadt in der Vergangenheit an die Grenzen ihrer Kompetenzen gestoßen, weil sie Maßnahmen umsetzen wollte, aber nicht konnte oder kann – oft zum Verdruss der (jeweils betroffenen) Bevölkerung. Beispiele sind ein langes Ringen um Tempo 70 bei Hatzenweiler, das erst nach einem schweren Unfall durchging, die Erzberger-, aber auch die Leutkircher Straße.
„Spiegel Online“ berichtet, dass die Initiative sich inzwischen nicht nur des Rückhalts von 360 Kommunen erfreut, sondern dass sich darunter neben Großstädten auch zahlreiche kleinere befinden – wie eben jene im Landkreis Ravensburg. Auch parteipolitisch decke die Initiative nahezu das gesamte Spektrum ab, viele Rathauschefs der beteiligten Städte kämen von den Unionsparteien.
Was die Initiative für 2023 plant
Ob die Städte und Gemeinden mit ihrem Anliegen beim Bundesverkehrsministerium Gehör finden, scheint aktuell dennoch mehr als fraglich. „Spiegel Online“ zitiert dazu die Initiative „Lebenswerte Städte“: Dort sei „kaum Bereitschaft erkennbar, sich ernsthaft mit unserem Anliegen auseinanderzusetzen“. Deshalb plane sie im neuen Jahr nun, neben der Arbeit auf politischer Ebene verstärkt in die Öffentlichkeit zu gehen. Ins Leben gerufen worden war die Initiative 2021 von den drei süddeutschen Städten Augsburg, Ulm und Freiburg sowie Aachen, Hannover, Leipzig und Münster.
mit demselben Thema in anderer Aufmachung ist auch der Südkurier heute dabei
03.01.2023 |
5 Argumente... für Tempo 30 innerorts
.Beitrag zum Umweltschutz. Eine vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde könnte ein günstiger und einfacher Weg zu besserer Luft sein. Damit argumentiert die Deutsche Umwelthilfe, da mit diesem Schritt weniger Schadstoffe ausgestoßen würden. Laut Umweltbundesamt ließe sich in Simulationen sehen, dass der CO2-Ausstoß zwar kaum verändert würde, die Belastung mit Luftschadstoffen wie Feinstaub allerdings leicht zurückgehe. In der Realität spielen zusätzlich auch das Wetter und Verkehrsaufkommen eine Rolle.
.Mehr Sicherheit auf der Straße. Häufigkeit und Schwere von Unfällen nehmen mit höherer Geschwindigkeit zu, das legen die physikalischen Grundlagen nahe. Ein weiterer Vorteil von Tempo 30 für die Sicherheit im Straßenverkehr lässt sich daher schon anhand einer einfachen Rechnung verstehen, die jeder Führerscheinbesitzer aus der Fahrschule kennt. Der Anhalteweg eines Fahrzeugs setzt sich zusammen aus Reaktionsweg und Bremsweg. Mithilfe der Faustformeln zeigt sich deutlich: Bei einer Gefahrenbremsung bei Tempo 30 steht ein Auto bereits nach etwa 13,5 Metern. Zu diesem Zeitpunkt ist der Fahrer bei Tempo 50 noch nicht einmal in die Eisen gestiegen, er kommt erst nach etwa 27,5 Metern zum Stehen. Bei höherer Geschwindigkeit steigt auch die Schwere eines Unfalls entsprechend an.
. Mehr Stau ist ein Märchen. Dass bei geringerem Tempo auch alles länger dauert oder es sogar zu verstopften Straßen kommt, ist so nicht richtig. Zwar braucht es bei Tempo 30 mehr Zeit für die gleiche Strecke, als wenn 50 gefahren wird. Die Realität lässt aber nur selten eine gleichbleibende Geschwindigkeit zu. Die sogenannte Leistungsfähigkeit der Straße wird laut Umweltbundesamt von der Höchstgeschwindigkeit kaum beeinflusst. Viel entscheidender für den Verkehrsfluss seien Ampelkreuzungen. Wenn der korrekte Sicherheitsabstand eingehalten werde, kämen gleich viele Autos über die Kreuzung wie bei Tempo 50. Allerdings müsse auch das Zusammenspiel der Ampeln angepasst werden („Grüne Welle“), damit die Rechnung aufgeht. Weitere Faktoren seien Fußgänger, Bushaltestellen, einparkende Autos und solche, die in zweiter Reihe stehen.
. Weniger Lärm in Städten. Die Städte sollen für Menschen da sein, nicht für Autos. Der Geräuschpegel, der vom Straßenverkehr ausgeht, wird oft kritisiert. Einschränkungen der Höchstgeschwindigkeit wegen Lärmschutzes gibt es stellenweise bereits. Verantwortlich für die Lautstärke eines Autos sind laut ADAC vor allem hohe Drehzahlen, die auch bei niedrigerem Tempo erreicht werden können. Der Unterscheid in der Lautstärke zwischen Tempo 30 und 50 liege bei rund zwei Dezibel. Die Annahme, dass diese Differenz nicht wahrnehmbar sei, ist laut Umweltbundesamt schon seit Langem widerlegt. Tempo 30 würde in der Mehrzahl der untersuchten Fälle zu einer wahrnehmbaren Lärmentlastung führen.
.Es wird einfacher für alle. Zwar ist eine Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde die aktuelle Regelung. In der Realität besteht allerdings vielerorts ein Gewirr von Schildern, die andere Geschwindigkeiten vorschreiben. Wenn diese zusätzlich nur zu bestimmten Zeiten gelten, müssen Autofahrer der Beschilderung noch mehr Aufmerksamkeit schenken. Bei festgeschriebenem Tempo 30 ist immer klar, was gilt, sobald das Ortsschild passiert wird, argumentiert die Deutsche Umwelthilfe. Die vielen Verkehrsschilder, die für den aktuellen Flickenteppich nötig sind, dürfte kaum jemand vermissen.
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