Wenn die Politik um Rat bittet: 160 zufällig ausgewählte Deutsche sollen von September an dem Parlament erklären, was die Deutschen denken. Erstes Thema: eine bessere Ernährung.
Die Ampelkoalition hat sich nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auf die Details eines neuen Bürgerrats des Bundestags geeinigt. Die Parlamentarier wollen nach Angaben aus Koalitionskreisen kommende Woche erstmals offiziell ein derartiges Beratergremium einsetzen und so eine neue Form der Bürgerbeteiligung schaffen. Bislang hatte es nur 2021 ein Modellprojekt gegeben. Die Einzelheiten sollen am Dienstag zunächst den Fraktionen vorgestellt und am Mittwoch im Parlament verabschiedet werden.
SPD, Grüne und FDP wollen mit dem Vorhaben das Versprechen ihres Koalitionsvertrags erfüllen, neue Beteiligungsformen zu etablieren. Die Ampelparteien hatten 2021 zum Start ihrer Regierung beschlossen, neue Formen des Bürgerdialogs "wie etwa Bürgerräte" zu nutzen, "ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben". Sie sollten zu bestimmten Fragestellungen durch den Bundestag eingesetzt und organisiert werden.
Das erste Gremium dieser Art soll sich dem dreiseitigen Einsetzungsbeschluss zufolge mit dem Thema "Ernährung im Wandel" beschäftigen. Der Bürgerrat werde einen "Blick auf die im Alltag bereits stattfindenden Umbrüche der Ernährung" richten und die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger einbringen. Thema soll auch die Rolle des Staates werden, etwa die Frage, inwieweit die Regierung mit Regelungen eingreifen soll.
Dem Rat sollen auch "sich vegetarisch oder vegan ernährende Personen" angehören
Die erste Sitzung des neuen Gremiums ist laut Koalitionskreisen für September geplant. Teilnehmer sollen 160 zufällig ausgeloste Bürger sein. Infrage kommt jeder, der mindestens 16 Jahre alt ist und einen Erstwohnsitz in Deutschland hat. Vollkommen dem Zufall überlässt der Bundestag die Auswahl jedoch nicht. Man will darauf achten, dass Bürgerinnen und Bürger je nach Alter, Geschlecht, regionaler Herkunft, Gemeindegröße und Bildungshintergrund fair beteiligt werden. Zudem solle der Rat den "Anteil sich vegetarisch oder vegan ernährender Personen an der Bevölkerung" abbilden.
Das Gremium wird von einer neutralen Moderation geleitet. Forscher und Praktiker sollen die Bürger unterstützen. Laut Beschlusspapier wünscht sich der Bundestag, "ein genaues Bild davon zu bekommen, welche Maßnahmen Bürgerinnen und Bürger für eine gesündere und nachhaltige Ernährung wünschen oder welchen Beitrag sie selbst dafür bereit sind zu leisten".
Bereits im April 2022 hatte der Ältestenrat des Bundestages beschlossen, bis zu drei Bürgerräte in dieser Wahlperiode einzusetzen. Der Bundestag stellt dafür drei Millionen Euro allein für dieses Jahr bereit. Die Teilnehmer sollen etwa 40 Stunden diskutieren und dann bis Ende Februar 2024 ein Bürgergutachten mit Empfehlungen für die Politik erarbeiten. Der Bundestag will diese im parlamentarischen Prozess aufnehmen können. Umsonst wird die Teilnahme in keinem Fall sein: Der Bundestag will eine Aufwandsentschädigung von 100 Euro je Präsenz-Sitzung und 50 Euro bei digitalen Treffen zahlen.
In der Koalition hofft man, mit dem neuen Gremium die Distanz zwischen Politik und Bürger abzubauen. "Mit dem Bürgerrat holen wir die Meinung der Bürgerinnen und Bürger näher ans Parlament", sagt der Grünen-Abgeordnete Leon Eckert. Der Rat sei ein "innovatives Element der Bürgerbeteiligung" und ein "Beispiel gelebter Demokratie". Das Thema Ernährung eigne sich gut für das Pilotvorhaben. "Ernährung betrifft alle Menschen in Deutschland und viele wollen dazu auch ihre Meinungen artikulieren", sagt Eckert. Sie sei kontrovers und gleichzeitig enorm relevant für den Alltag.
Erster Bürgerrat gerät mit Landwirtschaftsminister in Konflikt
Freigeschaltet am 06.05.2023 hier durch Sanjo Babić
Der erste vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat wird sich mit dem Thema Ernährung beschäftigen und gerät daher inhaltlich in Konflikt mit Gesetzesvorhaben von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Das geht aus dem Einsetzungsbeschluss hervor, über den die Zeitungen des "Redaktionsnetzwerks Deutschland" berichten.
Demnach soll sich der Rat unter anderem mit der Frage befassen, welchen steuerlichen Rahmen der Staat für die Preisbildung bei Lebensmitteln setzen soll. Die Teilnehmer sollen auch diskutieren, wie Lebensmittelverschwendung eingedämmt werden kann. Außerdem soll es um die Frage gehen, wie Umwelt- und Klimaverträglichkeit, soziale Bedingungen und Tierwohl bei der Produktion von Produkten transparent gekennzeichnet werden sollen. Der Beschlussentwurf weist auf Instrumente wie Regulierungen, Mindeststandards und Kennzeichnungspflichten hin, über die der Rat diskutieren kann.
Aus der SPD-Fraktion heißt es, das Thema des Bürgerrats sei insofern nicht ideal, als man ein Thema gewählt habe, das bereits gesetzgeberisch bearbeitet werde. Landwirtschaftsminister Özdemir hatte beispielsweise im Februar vorgeschlagen, an Kinder adressierte Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt zu verbieten. Das Landwirtschaftsministerium erklärte auf RND-Anfrage, es werde sich Empfehlungen des Bürgerrats nicht zu eigen machen: "Das Votum des Bürgerrats richtet sich an den Deutschen Bundestag", sagte eine Sprecherin dem RND. Außerdem habe man bereits ein eigenes Bürgerforum durchgeführt. Der Bürgerrat soll am 29. September seine Arbeit aufnehmen. Laut Beschlussentwurf werden ihm 160 ausgeloste Bürger ab dem Alter von 16 Jahren angehören. Die Zusammensetzung soll sich "ausgewogen" nach Alter, Geschlecht, regionaler Herkunft, Gemeindegröße und Bildung richten. "Zudem soll der Anteil der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen an der Bevölkerung im Bürgerrat abgebildet werden", heißt es in dem Papier.
Quelle: dts Nachrichtenagentur
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