Frankfurter Rundschau hier 02.07.2023, Von Joachim Wille.
Steinheim an der Murr zeigt, wie es laufen kann, wenn ein Wille da ist: Die Kleinstadt bei Stuttgart stellt ein ganzes Quartier auf ein Niedertemperatur-Netz um.Bei der Wärmewende kommt es nun auf die Kommunen an. Mit neuen Niedertemperatur-Netzen können sie das Klima schützen – und gleichzeitig die Bürgerinnen und Bürger entlasten.
Cooler Heizen – das erscheint ein Widerspruch. Doch nachdem die Ampel-Bundesregierung sich endlich auf ein Konzept für den klimafreundlichen Umbau der Wärmeversorgung geeinigt hat, könnten in der Tat sogenannte Niedertemperatur-Wärmenetze für viele Haushalte in Deutschland die Lösung sein. Dabei werden Häuser, in denen bisher eine Erdgas- oder Erdölheizung läuft, an ein gemeinsames neues Netz angeschlossen, welches ganz oder zu hohen Anteilen mit Öko-Energien betrieben wird. Der Clou dabei: Das Temperaturniveau ist relativ niedrig ausgelegt, trotzdem wird es in den Häusern angenehm warm. Und: Die Hausbesitzer:innen kommen günstiger weg, als wenn sie selbst in eine Wärmepumpe oder Pelletsheizung investieren müssen.
Die Ampel-Einigung sieht vor, dass alle Städte und Gemeinden bis spätestens 2028 eine flächendeckende Wärmeplanung erarbeiten müssen. Bisher sind bundesweit nur knapp 15 Prozent der Gebäude an Wärmenetze angebunden, vor allem in den Großstädten in Straßen mit einer dichten Bebauung. Künftig könnten es deutlich mehr werden. Denn das Konzept der Niedertemperatur-Netze eignet sich auch für kleinere Kommunen und auch für Wohngebiete, in denen die Häuser nicht so dicht stehen. Fachleute glauben: Stadt- und Gemeindeverwaltungen, die diesen Weg gehen, können den Kurs Richtung Klimaneutralität setzen, ohne Bürgerinnen und Bürger zu überfordern.
Das ist nicht mehr nur Theorie. Die Kleinstadt Steinheim an der Murr bei Stuttgart zum Beispiel zeigt, wie es geht. Dort wird ein ganzes Quartier im Nordwesten der Kommune, in dem rund 1500 Menschen leben, auf ein solches Niedertemperatur-Netz umgestellt. Hier stehen Ein- und Zweifamilienhäuser, Reihenhäuser, aber auch Mehrfamilienhäuser, zumeist aus den 1970er- und 1980er-Jahren, im Zentrum liegt ein Schulcampus.
„Eigentlich nicht das klassische Gebiet für ein Wärmenetz“, sagte der Heidelberger Energieexperte Martin Pehnt, der das Projekt analysiert hat. „Aber es ist durchgerechnet: Es funktioniert, wenn genügend Leute sich anschließen lassen.“ Und gut ein halbes Jahr, nachdem die Stadt im Oktober 2022 den Grundsatzbeschluss zum Bau des Netzes gefasst hat, scheint das gesichert. Dessen Planer:innen von der Energieagentur Kreis Ludwigsburg (LEA) gehen nach zahlreichen Beratungsgesprächen davon aus, dass auf jeden Fall mehr als die Hälfte der Haushalte mitmachen wird. Etwa 40 Prozent sind mindestens nötig. Das bedeutet: Mit dem Bau des Netzes, also der Verlegung der Leitungen in den Straßen, wird bis Mitte 2024 begonnen werden.
Große Fernwärmenetze fahren im Winter mit sehr hohen Temperaturen von teils 110 oder 120 Grad, kleinere Netze werden meist mit 80 bis 90 Grad betrieben. Auch Erdgas- und Ölheizungen in älteren Häusern laufen oft mit bis zu 80 Grad Vorlauftemperatur. Bei Niedertemperatur-Wärmenetzen liegen die Werte deutlich niedriger. Optimal ausgelegt, arbeiten sie auch an den kältesten Tagen des Jahres mit weniger als 60 Grad. „Das geringere Temperaturniveau macht den Einsatz von klimafreundlichen Wärmequellen, etwa Groß-Wärmepumpen und Solarthermie-Anlagen, attraktiver und kostengünstiger“, sagt Pehnt. Weiterer Vorteil: Die Niedertemperatur-Netze verlieren aus physikalischen Gründen weniger Wärme und sparen so direkt Energiekosten ein.
Konkret in Steinheim: Herzstück des Wärmenetzes wird eine große Solarthermie-Anlage werden, die über dem Parkplatz des dortigen Freibads aufgeständert wird, ergänzt durch eine große Luft-Wärmepumpe sowie die Holzhackschnitzel-Heizzentrale, die derzeit schon das vorhandene Wärmenetz der Schulen bedient. Ein großer Wärmespeicher sorgt für eine hohe Flexibilität beim Einsatz der unterschiedlichen Erzeuger. Für Spitzenlasten kommt noch ein Gaskessel hinzu, der vorerst noch mit Erdgas und später eventuell mit Biogas laufen wird. „Dieser Ansatz ermöglicht es, die einzelnen Erzeuger immer in ihrem günstigsten Arbeitspunkt zu betreiben. Zudem wird so die Versorgungssicherheit auch an sehr kalten Tagen und auch, wenn keine Sonne scheint, sichergestellt“, erläutert Raphael Gruseck, der das Steinheimer Projekt bei der LEA und als Geschäftsführer betreut. Bereits zum Start soll der Anteil der erneuerbaren Energien mindestens 80 Prozent betragen.
Das steht im Gesetz
Seit Freitag liegt dem Bundestag der überarbeitete Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) – also des Heizungsgesetzes – vor. Damit wird es wahrscheinlich, dass die GEG-Novelle diese Woche abschließend beraten und verabschiedet wird, wie es die Ampel-Koalition angekündigt hatte.
Das Gesetz sieht im Kern vor, dass nur noch Heizungen neu eingebaut werden dürfen, die auf die Dauer zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden können. Das gilt von 2024 an unmittelbar aber erst einmal nur für Neubaugebiete.
Für Bestandsbauten soll der Dreh- und Angelpunkt eine verpflichtende und flächendeckende kommunale Wärmeplanung sein. Diese soll in Großstädten von 2026 an und für Kommunen mit mehr als 10 000 Menschen von 2028 vorliegen. In manchen Kommunen gibt es eine solche Wärmeplanung schon jetzt.
Es geht also um die Frage: Wo macht ein Nah- und Fernwärmenetz Sinn, wo eher elektrische Lösungen wie eine Wärmepumpe, wo eine Umstellung auf ein Gas- oder Wasserstoffnetz? Länder und Kommunen sollen Pläne vorlegen, wie sie ihre Heizinfrastruktur klimafreundlich umbauen wollen – damit Hausbesitzer:innen auf dieser Grundlage entscheiden können, was sie tun.
Eine funktionierende Gasheizung soll niemand ausbauen müssen, man kann sie auch reparieren lassen. Wenn eine Erdgas- oder Ölheizung irreparabel kaputt ist, soll es eine Übergangsfrist geben – das gilt auch bei geplanten Heizungstauschen. Während der Übergangsfrist von fünf Jahren können Heizungsanlagen eingebaut werden, die nicht die Anforderung von 65 Prozent erneuerbarer Energien erfüllen. Nach Ablauf der Frist sollen dann besagte Wärmeplanungen vorliegen.
Wer nach dem 1. Januar 2024 eine Gas- oder Ölheizung einbauen möchte, soll verpflichtend beraten werden. Gasheizungen, die auf Wasserstoff umrüstbar sein sollen, können bis zur Vorlage einer Wärmeplanung eingebaut werden. Der Einbau einer auf Biomasse (Holz, Pellets) basierenden Heizung soll uneingeschränkt möglich sein.
Milliarden will der Staat in die Wärmewende stecken. Das Geld soll aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen. Für alle Haushalte soll es einkommensunabhängig einen einheitlichen Fördersatz von 30 Prozent geben. Für Haushalte mit einem zu versteuernden Einkommen unter 40 000 Euro soll es eine Förderung von zusätzlich 30 Prozent geben. Zudem ist ein „Geschwindigkeitsbonus“ von 20 Prozent geplant – bis 2028. Danach soll dieser Bonus alle zwei Jahre sinken. Insgesamt ist die Förderung bei 70 Prozent gedeckelt.
Vermieter:innen sollen Anreize bekommen, um in klimafreundliche Heizungen zu investieren – und Mieter:innen sollen vor stark steigenden Mieten geschützt werden. Außerdem sollten Härtefalleinwände beim Heizungstausch zukünftig immer möglich sein.
Damit die Haushalte von alten Öl- und Gas-Heizungen mit ihren höheren Vorlauftemperaturen auf das Niedertemperatur-Netz umstellen können, unterstützt die Stadt die Hausbesitzer:innen zunächst mit einer Energieberatung. Oftmals reicht es, zu kleine Heizkörper in bestimmten, viel genutzten Wohnräumen gegen Modelle mit stärkerer Wärmeabstrahlung auszutauschen. „Meist kommt man mit dem Wechsel von drei Heizkörpern hin“, sagt Gruseck.
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