Freitag, 28. Juli 2023

Ravensburger Neubaugebiete müssen nach Gerichtsurteil gestoppt werden

Der Flächenfraß-§13b, der jahrelang vor allem in Oberschwaben enormen Flächenfraß verursacht hat und dabei viele  ökologisch wertvolle Obstwiesen vernichtet hat, ist aufgrund der Unvereinbarkeit mit EU-Recht gefallen.  Eine Bankrott-Erklärung für alle Kommunen, die den lästigen Naturschutz mal eben schnell los werden wollten. Der Richterspruch kommt zwar spät, aber für manche Gebiete noch nicht zu spät. Man denke an Langenargen und die Schafswiese in Weingarten, deren Bebaubarkeit erst vor Kurzem heftig diskutiert wurden.

Kommentar von Annette Vincenz

Die Gier rächt sich bitter

Schwäbische.de-Redakteurin Annette Vincenz kommentiert die Auswirkungen der Gerichtsentscheidung zum Paragrafen 13b auf die Bautätigkeiten in Ravensburg.
Veröffentlicht:27.07.2023, 19:00

Ein Urteil mit Wumms. Nachdem manche Kommunen jahrelang aufgrund des umstrittenen Baurechtsparagrafen 13b eine Neubausiedlung nach der anderen auf die grüne Wiese gesetzt haben, ohne sich um Bodenversiegelung, Tierreich und Pflanzenwelt zu scheren, hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht jetzt ein Machtwort gesprochen. 13b widerspricht EU–Recht. Basta. Der Paragraf gilt nicht mehr. Tausende geplante Neubaugebiete in Außenbereichen müssen in Deutschland gestoppt werden. Wahrscheinlich auf Jahre, vielleicht ein Jahrzehnt.

Jetzt rächt sich bitter, dass viele Städte und Gemeinden ohne Rücksicht auf die Natur das schnelle Geld machen wollten. Mit dem Totschlagsargument der Wohnungsnot wurde jede Kritik im Keim erstickt. Dabei entstanden in Baindt oder Bad Wurzach, also Kommunen, die den Flächenfraßparagrafen ganz besonders genutzt haben, gar nicht so viele Wohneinheiten, schon gar nicht größere Mehrfamilienhäuser für Menschen mit kleinem Geldbeutel. Sondern fast ausschließlich Einfamilienhäuser, Doppelhäuser und Reihenhäuser und als Feigenblatt ein paar wenige Mehrfamilienhäuser — in denen eine Wohnung aber auch gerne 5000 Euro und mehr pro Quadratmeter gekostet hat. Das Kalkül: Wohlhabende Häuslebauer spülen Geld in die Gemeindekassen (in Form von anteiliger Einkommenssteuer), Sozialhilfeempfänger dürfen gerne draußen bleiben.

Dabei wäre es möglich gewesen, den tatsächlich dringend benötigten Wohnraum auch auf regulärem Weg zu schaffen: durch saubere Bebauungsplanverfahren inklusive Umweltprüfung und ökologischem Ausgleich für den Schaden, den der Eingriff in die Natur nun mal darstellt. Das hätte etwas länger gedauert und wäre etwas teurer, aber eben auch nachhaltiger gewesen.

Die Folgen dieser Gier werden mancherorts dramatisch sein: Baustopp über Jahre hinaus, fehlende Einnahmen aus Grundstücksverkäufen für die kommunalen Haushalte, erhöhte Kosten durch Neuplanung, stark verzögerte Verfahren, weil es nicht genug Planungsbüros gibt, um die riesige Menge an Umweltberichten zu erstellen. Ausbaden werden das aber auch jene Menschen, die den Traum vom Eigenheim begraben müssen, weil sie noch keine Baugenehmigung für ihr Traumgrundstück in einem 13b–Gebiet bekommen haben.

Schwäbische Zeitung hier  27.07.2023,     Annette Vincenz

Ungewisse Zukunft

In Taldorf-Süd darf die nächsten Jahre nicht weiter gebaut werden. Die Planung muss wahrscheinlich komplett neu aufgerollt werden, obwohl das Gebiet schon erschlossen ist. 

Ein Urteil mit Wumms. Nach der höchstrichterlichen Entscheidung zum Bauparagrafen 13b müssen drei von vier Neubaugebiete in Ravensburg vorerst gestoppt werden. Mit schweren Folgen.

Sämtliche Neubaugebiete in Deutschland, die nach dem umstrittenen Paragrafen 13b des Baugesetzbuches geplant wurden, müssen nach einem höchstrichterlichen Urteil gestoppt werden. Es sei denn, sie sind in Planung und Erschließung so weit fortgeschritten, dass die Baugenehmigungen bereits erteilt wurden. In Ravensburg betrifft das den Andermannsberg, den Hüttenberger Weg und — besonders bitter, weil schon voll erschlossen — Taldorf–Süd. Die „Schwäbische Zeitung“ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Er erlaubte seit 2017 Städten und Gemeinden, neue Wohngebiete im Außenbereich ohne Umweltprüfung oder ökologischen Ausgleich in einem beschleunigten Verfahren auszuweisen. Eigentlich wollte der Gesetzgeber damit als Reaktion auf den Zuzug vieler Flüchtlinge in Folge des Syrienkriegs ermöglichen, schnell provisorischen Wohnraum in Form von Containern oder einfachen Holzbauten am Stadtrand zu schaffen. Schnell bemerkten viele Kommunen jedoch, dass sie dank des neuen Paragrafen viel billiger und schneller Neubaugebiete am Siedlungsrand schaffen konnten. Unter dem Eindruck des steigenden Wohnungsmangels erlagen manche sogar der Versuchung, laufende reguläre Bebauungsplanverfahren zu stoppen und in 13b–Verfahren umzuwandeln. Bei Umweltschützern war der Paragraf verhasst, weil er die Versiegelung großer Flächen ohne ökologischen Ausgleich ermöglichte.

Warum wurde er vom Bundesverwaltungsgericht gekippt?

Der Bund für Umwelt– und Naturschutz Deutschland (BUND) hatte gegen ein 13b–Gebiet in der Gemeinde Gaiberg (Rhein–Neckar–Kreis) geklagt. Dort sollte eine Streuobstwiese neuen Häusern weichen — ohne an anderer Stelle Ersatz zu schaffen. Zunächst scheiterten die Umweltschützer vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Doch die höchsten Bundesverwaltungsrichter in Leipzig gaben ihnen nun Recht und machten einen „erheblichen Verfahrensfehler“ aus. 

Das Urteil kann nicht angefochten werden. Es stellt unmissverständlich fest, dass der deutsche Baurechtsparagraf gegen EU–Recht verstößt, welches Umweltprüfungen zwingend vorschreibt. Zwar steht die schriftliche Urteilsbegründung noch aus, Experten gehen jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es deutschlandweite Wirkung entfaltet.

 In der Folge, so erläutert der Ravensburger Baubürgermeister Dirk Bastin, muss die Planung und Erschließung aller 13b–Gebiete sofort gestoppt werden. Nur ältere, die bereits bebaut sind oder in denen die Baugenehmigungen schon erteilt wurden, genießen Bestandschutz. Es müssen also keine Häuser in 13b–Gebieten wieder abgerissen werden, die schon stehen.

Welche Baugebiete sind betroffen?

Ravensburg hatte vier Neubaugebiete nach 13b ausgewiesen: Für die Ortsmitte III in Schmalegg wurden bereits zahlreiche Baugenehmigungen erteilt, diese gelten weiter. Der vor kurzem vorgestellte soziale Wohnungsbau dort kann jedoch vorerst nicht verwirklicht werden. Taldorf-Süd ist bereits voll erschlossen und die Bauplätze zugeteilt, die Baugenehmigungen sind jedoch noch nicht ergangen. Bis auf ein einziges Haus, das stehen bleiben darf, muss auch dort die Planung gestoppt werden.

Gegen die geplanten Neubaugebiete am Andermannsberg und am Hüttenberger Weg hatten Nachbarn geklagt. Die Normenkontrollverfahren sind zwar noch nicht entschieden, werden aber nun, da der Paragraf 13b als Rechtsgrundlage keine Gültigkeit mehr hat, zweifelsfrei im Sinne der Kläger entschieden, so Bastin. Auch dort darf über Jahre hinweg nicht gebaut werden. „Zum Glück haben wir nicht nur auf den Außenbereich gesetzt wie viele andere Kommunen, sondern auch im Innenbereich entwickelt“, ist Bastin froh über das große Neubaugebiet auf dem ehemaligen Rinkerareal, das nicht betroffen ist.

Auch andere Städte und kleinere Gemeinden schauen nun in die Röhre. Die „Schmetterlingswiese“ in Weingarten etwa, die ohnehin nur mit einer hauchdünnen Mehrheit beschlossen wurde, kann ebenfalls nicht mehr auf Grundlage von 13b bebaut werden.

Welche Auswirkung hat die Gerichtsentscheidung, und was kann die Stadt nun tun?

Falls ein Bürgermeister oder Bauamtsleiter auf die Idee kommen sollte, noch schnell Baugenehmigungen für 13b–Gebiete auszustellen, wäre das keine gute Idee: Mit Bekanntwerden des Urteils sei klar, dass das rechtswidrig ist, meint Bastin. Die jeweilige Kommune wäre dann regresspflichtig — etwa den Bauträgern oder den für die Erschließung zuständigen Handwerksfirmen gegenüber.

Im Grunde genommen bleibt jetzt nur der Weg der regulären Bauplanung: Zunächst muss der Flächennutzungsplan vieler Kommunen geändert werden, also der Bedarf nach Wohnbebauung begründet. Danach folgen ordentliche Bebauungsplanverfahren mit Umweltbericht und ökologischem Ausgleich. Diese dauern schon im Normalfall mindestens zwei bis drei Jahre. Doch gibt es nur eine begrenzte Anzahl an Planungsbüros, die solche Umweltberichte im Auftrag der Städte erstellen können. Auf diese kommt nun ein Berg an Arbeit zu, da ja tausende Kommunen in Deutschland neu planen müssen.

Die Verfahren könnten sich also auch ein Jahrzehnt hinziehen. Denn sie sind aufwendig: Biologen müssen das betreffende Gebiet in ökologisch meist wertvoller Stadtrandlage über alle Vegetationsperioden beobachten, seltene Pflanzen und Tiere auflisten, die genauen Auswirkungen des Umwelteingriffs untersuchen. Danach kann festgelegt werden, welcher Ausgleich entweder an Ort und Stelle oder an anderer Stelle notwendig ist.....



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