Samstag, 8. Juli 2023

Spanier lösen Hauptproblem der Klimawende und schonen sogar die Umwelt


 hier  Focus Carlos Chavarria Freitag, 30.06.2023,

Nominiert für „Constructive World Award“

Grüner Wasserstoff soll die Energiewende bringen, aber um ihn herzustellen, braucht man erst mal Energie aus erneuerbaren Quellen und Süßwasser. Das fehlt nur genau in den sonnigen Gegenden, wo Wasserstoff bevorzugt produziert werden soll. Deshalb müssen Entsalzungsanlagen gebaut werden, deren Rückstände allerdings den Meeren schaden. Kein Ausweg in Sicht? Durchaus. Er wird bisher nur gern übersehen.

Es klingt harmlos, was das Bundesforschungsministerium schreibt. Für seinen sogenannten Potenzialatlas hat es ermittelt, welche Weltregionen sich als Lieferanten für grünen Wasserstoff eignen. Dass dieser etwa in Afrika auch aus entsalztem Meerwasser hergestellt werden soll, wird in einer Präsentation des Projektes zwar erwähnt – nicht aber, was das bedeutet.

Entsalzungsanlagen haben zwei Nachteile: Auch sie benötigen viel Energie, und es bleibt Wasser mit einer sehr hohen Salzkonzentration übrig, das oft genug einfach zurück ins Meer geleitet wird. Was dann passiert, haben Forscherinnen und Forscher vielfach dokumentiert: Die Salzlauge sinkt zum Meeresboden und schadet Plankton und Fischlarven.

Und sie kann Seegraswiesen zerstören, die wichtige klimaschützende Eigenschaften haben. Hinzu kommt, dass Entsalzungsanlagen das Meerwasser gewöhnlich durch Rohre einsaugen – mitsamt vieler kleiner Lebewesen. Deshalb braucht man diverse Chemikalien, um das Wasser vorzubereiten. Diese bleiben in der Salzlösung zurück, werden mit ins Meer zurückgeleitet und richten dort noch mehr Schaden an.

Dass bei dem Prozess giftige Substanzen zurückbleiben, ist auch ein Grund dafür, dass man aus dem salzigen Rest nicht einfach Speise- oder Streusalz machen, genügsame Pflanzen wässern oder gar das Tote Meer auffüllen kann – all das wurde schon vorgeschlagen.

In Europa will Spanien eine wichtige Rolle bei der Produktion von Wasserstoff spielen. 2022 kündigte die spanische Regierung an, sie wolle bis 2030 rund 1,5 Milliarden Euro zu diesem Zweck investieren. Dann wolle man zwei Millionen Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr exportieren, unter anderem nach Deutschland. Die Europäische Kommission billigte im gleichen Jahr, dass der spanische Staat den Konzern Grupo Cobra mit 220 Millionen Euro beim Bau von zwei Elektrolyseuren an der spanischen Mittelmeerküste unterstützt. Diese würden mit erneuerbarer Energie betrieben, heißt es in einer Pressemitteilung der Kommission. Wo das Süßwasser für die Produktion herkommen soll, bleibt jedoch unklar.

„Wasser als Ausgangsstoff für die Produktion von Wasserstoff kommt in Wissenschaft und Politik als Thema gerade erst auf die Agenda“, sagt Görge Deerberg, Professor für Umwelt- und Prozesstechnik an der Ruhr-Universität Bochum. Je nachdem, wie jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt werden, kann der Klimaschutz die Umwelt schädigen – oder eben nicht. Denn es gibt Entsalzungsanlagen, die zeigen, wie es besser geht.

Jávea, Spanien

..Er ist verantwortlich für die Entsalzungsanlage, die vom spanischen Baukonzern Acciona betrieben wird und die Region mit Trinkwasser versorgt. Mit der Produktion von Wasserstoff hat die Anlage nichts zu tun, und doch kann sie ein Vorbild sein, denn hier gelingt die Entsalzung umweltschonender als in anderen Anlagen. Um die Jahrtausendwende beschloss der örtliche Wasserversorger Amjasa, dass es so nicht weitergehen könne. Die Qualität des Trinkwassers aus Süßwasserquellen war zu schlecht, deshalb wollte man auf entsalztes Wasser umsteigen. Der Wasserversorger beauftragte Acciona mit dem Bau einer Anlage, die auch umweltfreundlich sein sollte. Also kontaktierte die Firma Umweltwissenschaftler von der Universität Alicante. Diese begleiteten von da an den Bau der Anlage, die 2002 in Betrieb ging.

..Sánchez Lizaso und seine Kollegen von der Universität Alicante berieten die Betreiber beim Bau der Anlage. Dann prüften sie 17 Jahre lang, ob ihre Tipps sich bewährten. Im Meer vor der Anlage nahmen sie immer wieder Proben, sowohl dort, wo die Salzlauge ins Wasser geleitet wird, als auch an zwei Kontrollstellen. Sie beobachteten das Leben in den Seegraswiesen, achteten auf Seesterne und andere Stachelhäuter, die besonders empfindlich auf eine veränderte Salzkonzentration im Wasser reagieren, zählten Fische und maßen deren Größe. Das Ergebnis veröffentlichten sie 2020 in der Fachzeitschrift „Marine Pollution Bulletin“: Ihr Plan war aufgegangen. Die untersuchten Organismen hatten nicht messbar unter der Anlage gelitten.

So funktioniert die Technik

1. Das Meerwasser wird nicht wie üblich über Rohre eingesaugt. Stattdessen bohrten die Betreiber der Anlage etwa 200 Meter tiefe Brunnen in den Boden nahe der Küste, durch die sie das dort hin durchgesickerte Meerwasser hoch pumpen. Da dabei keine kleinen Lebewesen eingesaugt werden, braucht es keine chemische Vorbehandlung. „Der Erdboden zwischen dem Meer und der Stelle, an der wir das Wasser hochpumpen, wirkt wie ein natürlicher Filter“, sagt Alfaro, es sei keimfrei und müsse nicht desinfiziert werden. Erst bevor es zum Verbraucher geht, werde etwas Chlor zugesetzt, für den Fall, dass in den Rohren Keime sind.

2. Die Salzlösung wird nicht pur ins Meer geleitet, sondern verdünnt. Dazu baute man unterirdisch einen Kanal, durch den Meerwasser fließt. Sánchez Lizaso nennt es einen „Bypass“. Die Salzlauge wird dort hineingeleitet und mit dem Meerwasser verquirlt, sodass die Salzkonzentration so weit sinkt, dass sie dem marinen Ökosystem nicht schadet.

3. Die Wissenschaftler ermittelten, wo dieses Wasser am besten ins Meer geleitet wird: zur Sicherheit nicht dort wo nah der Küste die Seegraswiesen wachsen, sondern bei einem Strand, wo im Sommer die Touristen baden. Obwohl das Konzept der Umwelt gut tut, wird es in Anlagen dieser Größenordnung nur selten angewendet. Ist es teurer? „Nicht unbedingt“, sagen Alfaro und Sánchez Lizaso. Brunnen zu bohren koste in der Regel nicht mehr, als Rohre ins Meer zu legen. Es könne sogar billiger sein, da man die Chemikalien für die Vorbehandlung einspare und die Maschinen länger hielten. Eher sei das Interesse nicht so groß, vermuten sie. Viele Anlagenbauer seien froh, wenn sie die notwendigen Vorschriften erfüllten....

Könnte man nicht Wasserstoff direkt aus Meerwasser herstellen und sich die aufwendige Entsalzung sparen? „Nein“, sagt Ulrike Beyer, Ingenieurin am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz und Leiterin der sogenannten ReferenzfabrikH2. „Für die Energiewende setzt man auf Elektrolyseure mit Protonen Austausch-Membran (PEM). Die Membrane darin sind sehr empfindlich, die feinen Poren können leicht verstopfen. Deshalb braucht man Süßwasser, und zwar stark gereinigtes.“

Diese Elektrolyseure hätten den Vorteil, dass sie sich leicht hoch- und runterfahren lassen. „Das ist entscheidend, weil erneuerbare Energiequellen nicht konstant Strom erzeugen, sondern schwankend.“ Andere Typen von Elektrolyseuren kämen zwar eher mit Salzwasser zurecht, müssten aber konstant mit Strom versorgt werden.

Im Projekt H2 Mare des Bundesforschungsministeriums, an dem auch Ulrike Beyers Team beteiligt ist, wird an der Elektrolyse mit Meerwasser gearbeitet. Das wäre ein Durchbruch: Man könnte an der Küste oder direkt in Offshore-Windparks auf dem Meer Elektrolyseure betreiben, genügend Meerwasser stünde zur Verfügung. Diese Technik sei aber noch ganz am Anfang, sagt Ulrike Beyer. Da es mit der Energiewende aber schnell gehen muss, wird man vorerst Süßwasser brauchen. Die Entsalzungsanlage im spanischen Jávea könnte im Rahmen der Produktion von Wasser stoff also noch zum Vorbild werden. Die Seegraswiesen vor Jávea leben, den Fischen geht es gut.

Berlin, Deutschland

...Al-Hakim exportiert Entsalzungsanlagen, die er mit seinem Partner gemeinsam entwickelt hat, in arme und abgelegene Regionen. Dort produziert er Trinkwasser aus Meer- oder Brackwasser und verkauft es so billig, dass die Menschen vor Ort es sich leisten können. Und er hat an beide Probleme gedacht, die das Entsalzen mit sich bringt: Stromverbrauch und Salzlauge. Die Anlagen werden mit einfachen Solarpaneelen betrieben, manche zu sätzlich mit kleinen Windturbinen. So eignen sie sich für Regionen, in denen es kein Stromnetz gibt. Ähnlich wie die Betreiber der spanischen Anlage bohrt Al-Hakim Brunnen, in Küstenregionen meist allerdings nur etwa zehn Meter tief. Das Wasser, das er aus solchen Löchern holt, ist weit weniger salzig als das Meerwasser.

„Das macht alles einfacher: Man braucht weniger Druck, um das Wasser durch die Membrane zu pressen, also benötigt man auch weniger Energie.“ Zudem ist die Lösung, die übrig bleibt, dann weit weniger salzig. Um das Wasser zu desinfizieren, bestrahlt Al-Hakim es mit UV-Licht, statt es mit Chlor zu versetzen. Auch das hilft, um die Lauge weiterzuverwenden: In Kenia beispielsweise nutzen die Menschen sie, um salzresistente Pflanzen zu bewässern oder Meeresfische zu züchten. „An den Becken stellen wir helle Lampen auf“, sagt Al-Hakim. „Das lockt Insekten an, die von den Fischen gefressen werden. So ist unser Abfallstoff optimal genutzt, und wir müssen uns nicht einmal um Futter kümmern.“

Für sein Verfahren zur Entsalzung hat Al-Hakim ein Patent, die Firma ist für ihr Engagement mit diversen Preisen ausgezeichnet worden. Hilfsorganisationen kaufen die Anlagen, für andere hat die Firma selbst die Kosten vorgestreckt, sie refinanzieren sich über den Verkauf des Wassers.

Bislang hat Ali Al-Hakim noch nichts mit Wasserstoff zu tun, aber er hätte gern. Fraglich ist, ob sich sein System für die Produktion des Gases im großen Stil eignet. Nur wenige Meter tief in die Erde zu bohren und auf weniger salziges Wasser zu hoffen würde beispielsweise bei der größeren Anlage in Spanien nicht funktionieren. „Je nachdem, ob es regnet oder nicht, schwankt dann der Salzgehalt“, sagt der Wissenschaftler Sánchez Lizaso. „Für eine größere Anlage muss der jedoch konstant sein.“

Auch die Desinfektion mit UV-Licht hat Nachteile, wie Al-Hakim einräumt: Sie hält nur ein paar Tage lang, anschließend können sich wieder Keime bilden. Doch vielleicht wird es auch einen Markt geben für die Wasserstoffproduktion im Kleinen. Denn neben der Frage, wie Afrika Wasserstoff für den globalen Norden herstellen kann, zählt auch eine andere: Wie können ihn die Menschen dort für sich selbst produzieren?

„Mir ist sehr wichtig, dass die europäischen Länder beim Import von Wasserstoff nicht neokolonialistisch auftreten“, sagt Ulrike Beyer. Ihr Institut, das Fraunhofer IWU, arbeitet bei dem vom Bundesumweltministerium geförderten Projekt Hytra mit der südafrikanischen Firma Alu-Cab zusammen, die Aufbauten für Offroad-Fahr zeuge herstellt. Mit Sonnenenergie wird dort ein kleiner Elektrolyseur betrieben. Außerdem steht eine Brennstoffzelle bereit, die den Wasserstoff wieder in Strom umwandeln kann. So lassen sich Phasen überbrücken, in denen kein Strom aus dem lokalen Netz zur Verfügung steht – Blackouts kommen dort häufig vor.

Von dem Projekt sollen beide Seiten profitieren: Deutschland liefert die Technik, die südafrikanische Firma erprobt die Systeme in der Praxis und teilt ihre Erfahrungen mit den Entwicklern. Es wird am Ende viele kleine und große Ideen brauchen, damit der Klimaschutz nicht der Umwelt schadet. Und die Bereitschaft hinzusehen.

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