Mittwoch, 19. Juli 2023

Sensations-Rechtsprechung: Der Flächenfraß- §13b ist und war europarechtswidrig

Schade, das Urteil kommt für viele Fehlentscheidungen zu spät.
Möglicherweise kann es aber auch noch einige Naturschutz-Freveltaten verhindern.

SWR  hier  19.7.2023

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT ENTSCHEIDET

Erfolg für BUND: Bebauungsplan für Neubaugebiet in Gaiberg unwirksam

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat Umweltschützern Recht gegeben, die eine Streuobstwiese in der Gemeinde Gaiberg (Rhein-Neckar-Kreis) retten wollen. Es kippte den Bebauungsplan für das geplante Neubaugebiet und hob damit eine frühere Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim auf.

Bebauungsplan ohne Umweltprüfung nicht rechtens

Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde dürften nicht im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung überplant werden, heißt es in der Begründung des BVerwG. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND hatte geklagt. Es geht um das Neubaugebiet "Oberer Kittel/Wüstes Stück".

Früher war die Fläche am Ortsrand von Gaiberg eine Streuobstwiese. Der vor vier Jahren beschlossene Bebauungsplan der Gemeinde erlaubt dort Wohnhäuser mit bis zu zwei Geschossen. Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Bebauungsplan nun unwirksam.


Kommentar des BUND hier

zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu § 13 b BauGB

BUND-Klage stoppt Flächenfraß -Bundesverwaltungsgericht gibt Klage gegen § 13 b BauGB statt

Flächenfressende Einfamilienhausgebiete am Ortsrand ohne Umweltprüfung und ohne Ausgleichmaßnahmen – damit ist nun Schluss. Denn heute hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den vom BUND angegriffenen Bebauungsplan in Gaiberg bei Heidelberg wegen der Europarechtswidrigkeit des § 13 b Baugesetzbuch (BauGB) für unwirksam erklärt. 

Die Vorsitzende des BUND Baden-Württemberg, Sylvia Pilarsky-Grosch, begrüßt das Urteil: „Deutsches Baurecht darf europäisches Umweltrecht nicht aushebeln. Daher  freuen wir uns sehr über diese Entscheidung des obersten deutschen Verwaltungsgerichts., Denn § 13 b BauGB hat dazu geführt, dass hier in Gaiberg, wie auch in vielen weiteren Kommunen, Baugebiete ohne Umweltprüfung ausgewiesen wurden. Gerade in Baden-Württemberg wurden dabei naturschutzfachlich wertvolle Gebiete wie etwa die  Streuobstwiesen im Fall Gaiberg zerstört. 

Einmal mehr hat der BUND damit seine Rolle als Anwalt der Natur bewiesen. Dabei dürfen wir uns bei unseren Aktiven und die uns unterstützende Bürgerinitiative für ihren unermüdlichen Einsatz bedanken. Da Kommunen noch bis Ende 2024 begonnene Verfahren zur Bebauung nach § 13 b zu Ende führen dürfen, ist diesem Naturfrevel nun ein Riegel vorgeschoben.“

Bundesweite Bedeutung

Der den BUND vertretende Frankfurter Rechtsanwalt Dirk Teßmer ergänzt: „Das Urteil geht in seiner Bedeutung weit über den konkreten Fall hinaus. Da § 13 b BauGB für europarechtswidrig befunden wurde, gilt das - deutschlandweit - auch für alle anderen Bebauungspläne, die im Verfahren nach § 13 b BauGB aufgestellt wurden.“ Die Regionalgeschäftsführerin des BUND Rhein-Neckar-Odenwald, Dr. Bianca Räpple, freut sich ebenfalls über das Urteil und hofft, „dass Bebauung nunmehr endlich verstärkt im Innenbereich der Kommunen stattfindet und nicht mehr weiter auf der grünen Wiese unter Verlust wertvoller natürlicher Lebensräume“.


Pressemitteilung Nr. 59/2023 vom 18.07.2023  hier

§ 13b BauGB ist mit Unionsrecht unvereinbar

Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde dürfen nicht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 BauGB ohne Umweltprüfung überplant werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Antragsteller, eine gemäß § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin. Dieser setzt für ein ca. 3 ha großes Gebiet am südwestlichen Ortsrand der Gemeinde im planungsrechtlichen Außenbereich ein (eingeschränktes) allgemeines Wohngebiet fest. Der Bebauungsplan wurde im beschleunigten Verfahren nach § 13b BauGB ohne Umweltprüfung aufgestellt. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag als unbegründet abgewiesen. Die Durchführung des beschleunigten Verfahrens begegne keinen Bedenken. § 13b BauGB sei mit der SUP-Richtlinie vereinbar, seine Tatbestandsvoraussetzungen lägen vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil aufgehoben und den Bebauungsplan für unwirksam erklärt. Der Plan leidet an einem beachtlichen Verfahrensfehler im Sinne von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Er ist zu Unrecht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 BauGB erlassen worden. Die Vorschrift verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 der SUP-RL. Art. 3 Abs. 1 SUP-RL verlangt eine Umweltprüfung für alle Pläne nach den Absätzen 2 bis 4, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben. Ob dies der Fall ist, bestimmen die Mitgliedstaaten für die in den Absätzen 3 und 4 genannten Pläne entweder durch Einzelfallprüfung, Artfestlegung oder eine Kombination dieser Ansätze (Art. 3 Abs. 5 SUP-RL). Der nationale Gesetzgeber hat sich in § 13b BauGB für eine Artfestlegung entschieden. Diese muss nach der Rechtsprechung des zur Auslegung des Unionsrechts berufenen Europäischen Gerichtshofs gewährleisten, dass erhebliche Umweltauswirkungen in jedem Fall von vornherein ausgeschlossen sind. Der Gesetzgeber darf sich folglich nicht mit einer typisierenden Betrachtungsweise oder Pauschalierung begnügen.

Diesem eindeutigen und strengen Maßstab wird § 13b Satz 1 BauGB nicht gerecht. Anders als bei Bebauungsplänen der Innenentwicklung nach § 13a BauGB, die der Inanspruchnahme von Flächen außerhalb des Siedlungsbereichs entgegenwirken sollen, erlaubt § 13b BauGB gerade die Überplanung solcher Flächen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13b Satz 1 BauGB – Flächenbegrenzung, Beschränkung auf Wohnnutzung sowie Anschluss an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil – sind nicht geeignet, erhebliche Umwelteinwirkungen in jedem Fall von vornherein auszuschließen. Das gilt schon wegen der ganz unterschiedlichen bisherigen Nutzung der potenziell betroffenen Flächen und der Bandbreite ihrer ökologischen Wertigkeit.

§ 13b BauGB darf daher wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden. Die Antragsgegnerin hätte somit nach den Vorschriften für das Regelverfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans eine Umweltprüfung durchführen sowie einen Umweltbericht erstellen und der Begründung des Bebauungsplans beifügen müssen. Dieser beachtliche, vom Antragsteller fristgerecht (§ 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) gerügte, Verfahrensmangel hat die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge.

BVerwG 4 CN 3.22 - Urteil vom 18. Juli 2023

Vorinstanz: VGH Mannheim, VGH 3 S 3180/19 - Urteil vom 11. Mai 2022 - 

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