SPIEGEL Klimabericht Susanne Götze hier
Das Wichtigste zum größten Thema unserer Zeit 7. Juli 2023Fachleute haben errechnet, wie die Klimaziele 2030 erreicht werden könnten. Doch das nutzt wenig, wenn Regierung und Opposition beratungsresistent sind. Das Drama um die Wärmewende ist das beste Beispiel.
Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineinkommt. Dieses derzeit viel zitierte »Struck’sche Gesetz« – benannt nach dem Bundestagsabgeordneten Peter Struck (SPD) – soll schönreden, was Regierung und Opposition in den vergangenen Wochen beim Gebäudeenergiegesetz (GEG) vergeigt haben. Demokratie ist, wenn Gesetze breit diskutiert und im Parlament und der Koalition verbessert und angepasst werden, so das Argument.
Und es stimmt. Allerdings ist es zugleich demokratisches Versagen, wenn Klimaschutz bis zur Unkenntlichkeit verwässert wird, wie es derzeit beim Gebäudeenergiegesetz passiert – aus wahltaktischen Gründen, aus Populismus, Ignoranz und Machtgier. Kritiker von solchen Einigungen als Antidemokraten hinzustellen, ist lächerlich.
Auf die Spitze treibt die demokratische Posse nun die erfolgreiche Klage des CDU-Abgeordneten Thomas Heilmann vor dem Bundesverfassungsgericht, die nun eine Abstimmung des sogenannten Heizungsgesetzes vor der Sommerpause verhinderte. Heilmann wird zwar nicht müde zu betonen (S+), dass es ihm nicht um einen Stopp der Wärmewende gehe, sondern um das demokratische Prozedere. »Dem Klimaschutz habe ich damit eher gedient als geschadet«, sagte er. Wie genau er das meint, bleibt allerdings nebulös. Denn immerhin fordert seine Partei und die mittlerweile recht starke AfD, dass das Gesetz völlig scheitert. Keine Wärmewende wäre also der bessere Klimaschutz?
Selbst wenn Heilmann »nur« demokratische Absichten hatte, schadet das trotzdem der Akzeptanz der Wärmewende. Es dreht die seit Monaten andauernde Negativspirale aus Populismus, Fake News, Schlamperei und Chaos in der Ampelregierung, schlechter Kommunikation und Timing weiter. Gewonnen haben bisher Klimaleugner wie die AfD – sie liegen nun bei rund 20 Prozent –, verloren hat der Klimaschutz.
Zwar haben einige der Änderungen das ursprüngliche Gesetz sicherlich verbessert, etwa eine verpflichtende Beratung beim Einbau einer Heizung und die geplanten Hilfen von bis zu 70 Prozent der Kosten. Die meisten haben die Wärmewende jedoch einfach abgeschwächt und verschoben. Die 111-seitige GEG-Formulierungshilfe ist ein Abgesang auf das einst ehrgeizige Gesetz für eine Wärmewende. Die drei dicksten Brocken:
• Ohne eine kommunale Wärmeplanung können in Bestandsbauten (das sind mind. 90 Prozent) weiter Gasthermen eingebaut werden. Große Städte müssen erst bis 2026 entsprechende Pläne aufgestellt haben, kleinere Gemeinden haben Zeit bis 2028. Das heißt drei beziehungsweise fünf Jahre gibt es an vielen Orten Deutschlands nur eine freiwillige Wärmewende.
• Der Hammer kommt für die Verbraucher und Verbraucherinnen, die sich weiter Gasthermen einbauen, erst später: Wenn dann alle ab 2029 ihre Wärme mit mindestens 15 Prozent Biomethan, grünem oder blauem Wasserstoff oder dessen Derivaten erzeugen sollen – Tendenz steigend. Wer das kontrollieren und die dann dafür nötigen Kosten tragen soll – unklar. Technologieoffenheit als Bumerang für Hausbesitzer.
• Holzheizungen dürfen als erneuerbare Alternative in Bestand und Neubau ohne Einschränkungen eingebaut werden. Dabei weisen Fachleute seit Jahren daraufhin, dass Heizen mit Holz nicht nachhaltig ist und die Ressource aus Umwelt- und Klimagründen lieber anderweitig genutzt, etwa verbaut werden sollte. Außerdem sorgen sie für schlechte Luftqualität.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Wie der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, in der Anhörung im Bundestag am Montag erklärte, ist fraglich, ob die Mieter vor hohen Verbrauchskosten durch Fehlentscheidungen der Vermieter geschützt werden können. Und auch die Vertreterin der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisierte die »Kostenfalle« aufgrund voraussichtlich knapper Verfügbarkeit von Wasserstoff und hohen Erdgaspreisen.
Dass es bei der Anhörung so gut wie gar nicht um Klimaschutz ging, ist ebenfalls bezeichnend.
Die Debatte hat schlicht den Anschluss dazu verloren, warum sie jemals geführt wurde: um von Öl und Gas loszukommen, weil deren Verbrennung klimaschädliches CO₂ in die Atmosphäre abgibt und Deutschland in nur 22 Jahren klimaneutral werden muss.
2030er-Ziele im Konjunktiv
Und nun die gute Nachricht: Die deutschen Klimaziele für 2030 können erreicht werden. Theoretisch. Also könnten, würden, hätten. Das hat eine vom Umweltbundesamt (Uba) beauftragte Analyse ergeben , erstellt von Forscherinnen und Forschern des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung, des Öko-Instituts und des Instituts für Ressourceneffizienz und Energiestrategien. Überraschung: Dafür seien vor allem im Verkehrs- und im Gebäudesektor deutlich größere Anstrengungen nötig – aber auch ein Kohleausstieg im Jahr 2030 für ganz Deutschland wird angenommen.
Besonders interessant sind jedoch die Vorschläge für den Gebäudesektor, denn sie zeigen, wie weit man beim verwässerten GEG wirklich danebenliegt. Für die Bundestagsanhörung am Montag hätte man nur einen der Autoren der Uba-Untersuchung einladen müssen, damit er den Verantwortlichen erklärte, was eigentlich nötig ist.
So heißt es in der Uba-Analyse: »Die wichtigsten Treiber sind die ambitionierteren Anforderungen bei der Gebäudesanierung sowie das Verbot fossiler Heizkessel, und der damit verbundene stärkere Umstieg auf Wärmepumpen und Fernwärme.« Mithilfe dieser Maßnahmen würde das Sektorziel von 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten bis 2030 erreicht werden. Konkret hieße das:
• Installationsverbot für neue Gaskessel (also Kessel zur Verbrennung gasförmiger Brennstoffe). Das Verbot tritt im Jahr 2025 in Kraft.
• Installationsverbot für neue Ölkessel. Das Verbot tritt bereits im Jahr 2023 in Kraft (real greift das Verbot ab 2026).
• Ab 2030 wird laut der Analyse dann auch die Installation von Hybridanwendungen, das heißt, die Kombination eines Gaskessels mit erneuerbaren Energien, verboten.
• Es sei davon auszugehen, dass Wasserstoff in der Gebäudewärme keine bedeutende Rolle spielt.
Zudem fordern die Fachleute die Festlegung des Mindeststandards auf das Niveau Effizienzhaus EH-55 (2023) und EH-40 (2025). Laut Koalitionsvertrag will die Ampel tatsächlich bis 2025 den höheren Standard einführen – nach diesem verbraucht ein Neubau dann maximal 40 Prozent des Energiebedarfs eines Standardgebäudes. Aber die Bauministerin kündigte vor Kurzem an, diesen zu kippen: »Wir sind auch gegen die Einführung eines EH40-Standards im Neubau. Es geht um einen breiteren Ansatz«, sagte Klara Geywitz gegenüber dem SPIEGEL (S+) vor einigen Wochen.
Zudem stehen in der Uba-Analyse noch andere spannende Themen, die bisher noch überhaupt keine Rolle in der Wärmewende-Debatte gespielt haben. Man müsse sich auch um die Wahl der Bauweise und der Baustoffe kümmern, mahnen die Autorinnen. Denn bisher geht es ja »nur« um Heizungen. Was erwartet uns wohl, wenn man plötzlich anfängt auch CO2-intensiven Beton infrage zu stellen?
Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser, wir stehen noch ganz am Anfang. Und schon jetzt sind die Widerstände enorm, die Verteidiger des Status quo im Aufwind, die Angst vor Veränderung riesig. Dabei müssen wir in den nächsten zwei Jahrzehnten noch über 80 Prozent unseres Primärenergieverbrauchs von fossil auf erneuerbar umstellen.
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