Focus hier Florian Reiter • 8. März
Für ein Gelingen der Energiewende muss Deutschland genügend grünen Strom produzieren - doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Deutschlands Netze müssen auch in der Lage sein, den Strom von A nach B zu bringen. Doch hier lauert die wahre Gefahr für die Energiewende, schlussfolgert eine neue Studie: Denn für die Anforderungen der Zukunft sind Deutschlands Netze einfach zu dumm.
Die deutschen Stromnetze sind nach derzeitigem Stand nicht in der Lage, die Energiewende zu stemmen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC im Auftrag des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI. Demnach mangle es vor allem an einer intelligenten Steuerung der Netze, die dem komplexeren Stromsystem der Zukunft gerecht werden kann.
Komplizierte Zukunft
Das grundlegende Problem ist, dass die Energiewende die Steuerung der Netze wesentlich komplizierter macht. Früher kam der Strom in Deutschland aus wenigen, großen Kraftwerken, die nah an den Bevölkerungszentren und über die ganze Republik verteilt waren. Die größten Stromversorger der Zukunft werden aber nicht mehr Kohlekraftwerke im Ruhrgebiet sein, sondern große Windparks in der Nordsee. Hinzu kommt die sogenannte „dezentrale Versorgung“, in Form von hunderttausenden Photovoltaikanlagen auf Haus- und Hallendächern. Sie alle müssen ans Netz angeschlossen werden - und weil nicht immer die Sonne scheint und nicht immer der Wind weht, muss der Strom geschickt verteilt werden.
„Ein Klimaneutralitätsnetz muss künftig ganz neue technische und betriebliche Fähigkeiten und Dienstleistungen erbringen“, schreiben Anke Hümeburg, Leiterin Energie bei ZVEI, und PWC-Energieberater Volker Breisig im Vorwort zur Studie. Die Digitalisierung der Netze nehme hierbei „eine zentrale Rolle“ ein. Die Studie legt insgesamt 39 Funktionalitäten fest, die ein krisensicheres Netz der Zukunft beherrschen muss, etwa eine vollständige Datenabbildung des Netzes in Echtzeit, eine flexible Netzsteuerung mit Hilfe von Algorithmen oder auch das sogenannte „bidirektionale Laden“: Elektroautos sollen nicht nur Strom aus dem Netz entnehmen, sondern auch als Speicher dienen und bei Bedarf zurück ins Netz speisen können.
„Nahezu vollkommen unberücksichtigt“
Von den 39 Anforderungen erfüllen die deutschen Netze derzeit nur zwei, heißt es in der Studie. Im Hinblick auf den Klimawandel müsse die Transformation des Netzes „mit einer noch nie realisierten Geschwindigkeit vollzogen werden“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Die Anforderungen an die Netze seien jedoch „in den bisherigen Planungen nahezu vollkommen unberücksichtigt geblieben“. Die Folge: Würden alle bis 2030 geplanten Elektroautos und Wärmepumpen ans Netz angeschlossen, würde das die Netze in die Knie zwingen, schlussfolgert die Untersuchung.
Zwar plant die Bundesregierung, das Stromnetz bis 2030 zu digitalisieren - das ist jedoch zu spät, heißt es aus der Branche. Ab 2025 sollen außerdem alle Verbraucherinnen und Verbraucher intelligente Messteile erhalten, sogenannte „Smart Meter“. Diese Systeme speichern nicht nur den Stromverbrauch, sondern senden ihn auch an den Netzbetreiber. Theoretisch könnten die Netzbetreiber mit diesen Daten bis zur letzten Dorfstraße punktgenau Probleme identifizieren - aber dafür muss es noch viele Verbesserungen an der Schnittstelle zwischen „Smart Meter“ und Netze geben, warnt die Studie. Sonst kann das Messgerät unter Umständen gar nicht richtig mit dem Netz „sprechen“.
Neue Optionen zum Sparen
Für Verbraucherinnen und Verbraucher hat die Digitalisierung der Netze vor allem zwei Folgen. Zum einen führen die notwendigen Investitionen zu einer Erhöhung der Netzentgelte bei der Stromrechnung. Ein Netz ohne Digitalisierung würde Experten zufolge aber langfristig sehr viel höhere Kosten nach sich ziehen.
Zum zweiten ergeben sich mit einem digitalisierten Netz ganz neue Optionen zum Geldsparen. Bis 2025 müssen alle Stromanbieter zum Beispiel „dynamische Tarife“ anbieten, also Tarife, deren Preis sich je nach der Menge an verfügbarem Strom flexibel ändern kann. Wenn gerade viel Windstrom im Netz ist, wird der Tarif günstiger. Ein digitalisiertes Stromnetz könnte dann den günstigsten Zeitpunkt verraten, um die Waschmaschine anzuwerfen. Doch solange das deutsche Netz noch „dumm“ bleibt, ist das Zukunftsmusik.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen